Kampf ums Mobilitätsgesetz: Die Weiche soll weichen

Mit seinem Widerspruch gegen die Fahrradweiche an der Schillingbrücke piesackt ein Radaktivist die Senatsverkehrsverwaltung. Die verspricht Besserung.

Mutiger Weichen-Radler, hier auf der Wilhelmstraße in Kreuzberg Foto: Claudius Prößer

Jens Blume hat es wieder getan. Der Umweltingenieur, der sich im Verein Changing Cities für die Verkehrswende engagiert, hat am Wochenende bei der Senatsverkehrsverwaltung schriftlich Widerspruch eingelegt – gegen das, was RadaktivistInnen seit Längerem als „Angstweiche“ bezeichnen. Je nachdem, wie das Haus von Regine Günther (Grüne) auf Blumes fünfseitiges Schriftstück reagiert, behält dieser sich eine Klage beim Verwaltungsgericht vor.

Konkret geht es um die Straßenmarkierung an der Ecke Schillingbrücke/Stralauer Platz, unweit des Ostbahnhofs. Radfahrende, die die Brücke von Kreuzberg aus überquert haben, müssen sich seit Kurzem entscheiden, ob sie sich zum Abbiegen am rechten Straßenrand halten oder aber zum Geradeausfahren den „Radfahrstreifen in Mittellage“ wählen, wie es amtlich heißt.

Für Vereine wie Changing Cities sind diese „Weichen“ ein rotes Tuch, denn die geradeaus Fahrenden befinden sich plötzlich zwischen fahrenden Kraftfahrzeugen. Schlimmstenfalls rollen links und rechts Sattelzüge, gleichzeitig besteht immer das Risiko, dass AutofahrerInnen doch noch nach rechts ausscheren wollen oder den Streifen einfach aus Nachlässigkeit überfahren.

Für Blume ein No-Go: „Ein sicheres Befahren der Fahrradweiche, insbesondere mit meinen Kindern, ist mir per Rad nicht möglich“, schreibt er im ersten Absatz seines Widerspruchs. Es folgt eine Aufzählung von nicht weniger als zehn Punkten des im Juni 2018 verabschiedeten Mobilitätsgesetzes, gegen die die „Angstweiche“ seiner Ansicht nach verstößt. An erster Stelle die „Vision Zero“-Leitlinie (§ 10), die der Politik den Auftrag gibt, Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden perspektivisch auf null zu reduzieren.

Radfahrende würden rechts und links „mit teils hohen Geschwindigkeiten“ und „mit viel zu geringem Seitenabstand“ überholt, argumentiert Blume. Der erforderliche 1,5-Meter-Abstand, der schon lange in der Rechtsprechung gilt und nun auch Eingang in die Straßenverkehrsordnung gefunden hat, könne „aufgrund der jeweiligen Spurbreiten nicht eingehalten werden“. Der für Radfahrende bisweilen tödlich endende Rechtsabbiegekonflikt an der Straßenecke werde lediglich vorgelagert. Wirklichen Schutz böten nur getrennte Ampelphasen.

Auch Fußgänger gefährdet

Für die FußgängerInnen ändere sich im Übrigen nichts – schlimmstenfalls seien sie sogar stärker gefährdet, weil KraftfahrerInnen die Konfliktzone vermeintlich schon hinter sich gelassen haben. Zu den weiteren von Blume ins Feld geführten Punkten gehört das verfehlte Ziel einer gesteigerten Leistungsfähigkeit des Umweltverbunds (§ 5), also aller VerkehrsteilnehmerInnen außer Autofahrenden. Er hat nämlich beobachtet, dass die Fahrradweiche bei hohem Kfz-Aufkommen zugestaut wird.

„Ich bin die erste Person überhaupt, die den juristischen Weg geht“, sagt Blume der taz. Dass er Erfolg haben könnte, zeigt der wenige Wochen alte Fall der Oberbaumbrücke, wo der Aktivist ebenfalls Widerspruch gegen den aus seiner Sicht zu schmalen und ungeschützten Radweg einlegte. „Frau Günther hat mittlerweile baulichen Schutz für diesen Radweg angekündigt“, so Blume, „es sieht also so aus, dass ich nicht klagen muss.“ Könnte das auch an der Schillingbrücke klappen? „Es gibt mobilitätsgesetzkonforme Lösungen. Wenn eine solche Anwendung findet, bin ich zufrieden.“

Was heute als „Angstweiche“ gilt, fand noch vor zehn Jahren Zuspruch bei der Radlobby. Deren VertreterInnen, sagt Jens Blume, machten nämlich lange „Politik für alle, die sich eh schon aufs Rad trauen“. Außer diesen jungen und körperlich robusten, meist männlichen StraßenfahrerInnen, „die schnell von A nach B kommen wollen“, gebe es aber noch viel mehr Menschen „von 8 bis 108“, deren Recht auf sicheres Radfahren spätestens seit dem Fahrrad-Volksentscheid im Mittelpunkt stehe und deren Sicherheit auch durch bauliche Maßnahmen geschützt werden müsse.

Senat: „Wir optimieren“

Kurz vor Redaktionsschluss erreichte die taz noch die Stellungnahme der Verkehrsverwaltung: „Fahrradweichen können unter bestimmten Bedingungen für mehr Sicherheit sorgen, sie werden aber oft als subjektiv unattraktive Verkehrslösung empfunden und kritisiert“, so Günthers Sprecher Jan Thomsen. „Deshalb werden wir alle neuen, hoch frequentierten Fahrradweichen nochmals bei einer Vor-Ort-Begehung prüfen und gegebenenfalls durch weitere Sicherheitselemente wie Leitboys oder farbliche Unterlegungen optimieren.“

Thomsen fügte hinzu, die Senatsverwaltung strebe „darüber hinaus eine Verständigung über sichere Kreuzungsdesigns insgesamt an“, in einem „Diskussionsprozess mit den Fachverbänden“ werde an „alternativen Lösungsansätzen für Knotenpunkte gearbeitet, die in unterschiedlichen Verkehrssituationen eine möglichst sichere Infrastruktur gewährleisten“.

Auch die Verkehrswissenschaft betrachtet Fahrradweichen übrigens kritisch, wenn auch nicht ganz so negativ wie die AktivistInnen: Die TU Berlin führte 2015–2017 eine Untersuchung an 48 Kreuzungen durch, die einen Radfahrstreifen in Mittellage erhalten hatten. Im Ergebnis, so die ForscherInnen, habe sich gezeigt, „dass diese Führungsform im Knotenpunktbereich nicht generell positiv auf die Sicherheit wirkt“. Die Unfälle im vorgelagerten Bereich resultierten „deutlich häufiger in schweren Verletzungen“ als solche direkt an der Kreuzung. Aber: Würden Fahrradweichen „mit Regelbreite und ausreichend lang markiert, haben sie das Potential für eine positive Wirkung auf die Radverkehrssicherheit“.

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