Putschversuch in linkem Radio

In einer linken New Yorker Rundfunkstation tobt ein Machtkampf. Die in Kalifornien sitzende Muttergesellschaft hat fast alle Mitarbeiter rausgeworfen. Die nehmen das nicht hin

1977 war die Welt noch in Ordnung: eine WBAI-Mitar­beiterin im Senderaum im Empire State Building Foto: Allan Tannenbaum/Polaris/laif

Aus New York Dorothea Hahn

Die Türschlösser waren ausgetauscht und der Aufzug in den dritten Stock war stillgelegt, als Reggie Johnson am Montagmorgen zur Arbeit in das Studio des linken New Yorker Radiosenders WBAI kam. Zur Begrüßung erhielt der Techniker und Moderator, der seit dem Jahr 1992 für den Sender arbeitet, eine Kündigung. Die Muttergesellschaft Pacifica Foundation begründete seine fristlose Entlassung und die aller anderen Festangestellten mit einer Ausnahme mit „anhaltenden finanziellen Verlusten“.

Johnson und die anderen MitarbeiterInnen von WBAI, die am Montag nur bis zu dem Trottoir vor ihrem Studio an der Atlantic Avenue in Brooklyn kamen, benutzen ein anderes Wort. „Es ist ein Putsch“, sagen sie. King Downing, ein schwarzer Bürgerrechtler, der fünf Tage die Woche zusammen mit seiner Kollegin Julianna Forlano das Morgenmazin „Waking Up“ moderiert und ebenfalls ausgesperrt wurde, nennt das Vorgehen „politisch“. Dahinter, so erklärt er, stecke ein Konflikt zwischen den „zentristischen Linken“ von Pacifica und den radikalen New Yorker AktivistInnen, die WBAI gestalten.

Wer in diesen Tagen die legendären ModeratorInnen und Programme des Senders googelt, landet auf einer leeren Internetseite mit dem Hinweis „404 Not Found“. Und auf der Frequenz 99.50, wo es sonst vor allem um Politik und Kultur in New York geht, laufen seit Montag rund um die Uhr Programme aus dem 6.400 Kilometer entfernten Kalifornien.

Am Dienstagabend drängen sich rund 50 der ausgesperrten MitarbeiterInnen von WBAI in einem kleinen Gewerkschaftslokal in New York, um ihre neue Lage zu diskutieren. Nur 12 Mitglieder der Belegschaft waren – oder sind – fest angestellt. Alle anderen, darunter auch die prominentesten ModeratorInnen, arbeiten ehrenamtlich.

Schon am Tag der Aussperrung hat der Anwalt der ausgesperrten Belegschaft eine einstweilige Verfügung vor Gericht erwirkt. Die Pacifica Foundation musste ihre neuen Schlösser wieder abmontieren und das Studio öffnen. Aber auf ihr Bankkonto, auf ihre Radio-E-Mail-Adressen, auf den zentralen Computer und auf ihre Sendestation haben die Beschäftigten immer noch keinen Zugriff. Die Geldspenden, die sie in diesen Tagen von HörerInnen bekommen, legen sie auf ein Treuhandkonto.

Die andere Seite lässt sich unterdessen von einer Wall-Street-Kanzlei, die pro bono arbeitet, vertreten, und hat die Medien mit Presseerklärungen versorgt, die schon vor der Aussperrung geschrieben worden sind und lediglich die Sichtweise der Pacifica Foundation spiegeln. Aber jetzt wollen die MitarbeiterInnen von WBAI in die Gegenoffensive gehen – via privater E-Mail- Twitter- und Facebook-Konten.

Das 1955 gegründete WBAI ist eine New Yorker Institution. Seine ModeratorInnen verstehen sich als AktivistInnen. Der Sender war in sämtlichen sozialen Bewegungen der letzten sechs Jahrzehnte präsent – von den Bürgerrechtlern bis hin zu Occupy Wall Street und der Klimabewegung. Sein Publikum ist in den letzten Jahren zwar geschrumpft, aber immer noch erreicht das Programm ohne Werbung täglich mehrere Hunderttausend Menschen.

In den USA, wo 90 Prozent der Medien von fünf großen Konzernen kontrolliert werden und wo selbst das öffentliche Radio NPR sich vor allem mit Spenden von großen Konzernen finanziert, versteht sich WBAI als eine der letzten unabhängigen Alternativen. „Wir sind der einzige Sender in New York, der ausschließlich von seinen Hörern finanziert wird“, sagt WBAI Vorstandsmitglied Michael D. D. White.

Laut der gemeinnützigen Pacifica Foundation, zu der insgesamt fünf Radiostationen in den USA gehören, ist WBAI mit mehreren Millionen Dollar in den roten Zahlen. Die New YorkerInnen bestreiten das. Da ihre Sendelizenz trotz sinkender Kurse in der Radiowelt immer noch rund 50 Millionen Dollar wert ist, befürchten sie, dass die Pacifica Foundation erwägt, ihre eigenen Schulden mit dem Verkauf von WBAI zu decken.

Eine solche Transaktion wollen die MitarbeiterInnen von WBAI verhindern. Sie sind zuversichtlich, dass die Justiz zu ihren Gunsten und gegen jene entscheiden werden, die sie ausgesperrt haben. „New York ist nicht Kalifornien“, sagt einer der Betroffenen.