piwik no script img

Der Lügenfritz soll weichen

Eine Schülerinitiative macht sich für die Umbenennung der Lüderitzstraße stark. Bei Rot-Grün-Rot ist das aber nur ein Prüfauftrag. Zuletzt scheiterte Die Linke an Rot-Grün

Von Jan Zier

Mit einer Mahnwache in der Lüderitzstraße fordern SchülerInnen der Gesamtschule Bremen-Mitte und der Oberstufe am Leibnizplatz die Umbenennung kolonialer Straßennamen. Rot-Grün-Rot will dies bislang nur „prüfen“ – so steht es im Koalitionsvertrag. In der vergangenen Legislaturperiode war die Linkspartei mit dem Vorstoß, Straßennamen zu „entkolonialisieren“, an den Gegenstimmen von SPD, Grünen, CDU und FDP gescheitert.

„Unser Ziel ist es, mittelfristig Umbenennungen anzustreben“, schreibt die Seminargruppe „Kolonialismus nicht mit uns“ in ihrem Aufruf. Das Projekt wird gemeinsam mit dem Lidice-Haus, dem Bevollmächtigten für Europa und Entwicklungszusammenarbeit und der Initiative Decolonize Bremen organisiert. „Wir können nicht verstehen, warum man gegen die Umbenennung ist“, sagten Johanna Strauß und Jelina Schwarzkopf von der Initiative. „Adolf Lüderitz legte einen Grundstein für die gewaltsame Kolonialherrschaft, die den Genozid an den Herero und Nama zur Folge hatte.“

Der Bremer Kaufmann handelte 1883 dem örtlichen Orlam-Führer Josef Frederiks II. ein 40 Meilen langes und 20 Meilen tiefes Landstück ab, zum Preis von 100 Goldpfund und 250 Gewehren. Hinterher erklärte Lüderitz, dass bei den Maßen nicht an englische Meilen – 1,6 Kilometer – sondern „selbstverständlich“ preußische gedacht gewesen sei. Und die waren 7,5 Kilometer lang. Durch diesen Meilenbetrug, der ihm den Namen „Lügenfritz“ eintrug, ergaunerte er den Großteil des Stammesgebietes. Als die Einheimischen 19 Jahre später einen Aufstand wagten, landeten 2.000 Menschen in einem Konzentrationslager in der Lüderitzbucht. Nicht mal ein Viertel überlebte.

Laut einer Datenbank der Zeit gibt es in Deutschland noch 27 Straßen, die Lüderitz dafür ehren. Das Netzwerk „Freedom Roads“ zählt allein in Bremen 15 Straßen in Bremen mit kolonialem Bezug – in der Nazi-Zeit hatte Bremen sich mit dem Titel „Stadt der Kolonien“ geschmückt. Der Tabakhändler Heinrich Vogelsang etwa, Mitstreiter von Lüderitz, bekam hier seine Straße ebenso wie Gustav Nachtigal, der als Reichskommissar für „Deutsch-Westafrika“ Lüderitz’ Landnahme beglaubigte. Bei der Lüderitz- oder der Vogelsangstraße „bedarf es unseres Erachtens einer Umbenennung, um ein ernsthaftes Zeichen zu setzen“, schrieb 2016 das Bündnis „Decolonize Bremen“, zu dem auch Flüchtlingsrat und Afrika-Netzwerk gehören. SPD und Grüne wollten koloniale Straßennamen aber nur „ermitteln“ und „mit Legenden versehen“. Die Lüderitzstraße hat eine solche.

Darüber hinaus soll unter Rot-Grün-Rot eine Gesprächsrunde Kolonialismus gemeinsam mit den Beiräten und der Community bei Straßen mit Namensgebern aus kolonialem Kontext „Vorschläge für eine kritische Erinnerungsarbeit entwickeln“. Diese Arbeit soll auch „finanziell unterstützt“ werden – der Betrag ist aber offen.

Widerstand gegen Straßenumbenennungen kommt vor allem aus der SPD. Sie sorgt sich um „zeitaufwendige und finanzielle Folgen“ für AnwohnerInnen, wie die damalige Abgeordnete Heike Sprehe ausführte. Die SPD halte es für falsch, durch Umbenennung etwa der Lüderitzstraße „das fragwürdige Handeln dieses Mannes unsichtbar zu machen“ und dadurch „den Versuch zu unternehmen“, die deutschen Kolonialzeit „in Vergessenheit geraten zu lassen“. Der Grünen-Politiker Ralph Saxe votierte deshalb dafür, die Straße mit dem Zusatz „vormals Lüderitzstraße“ umzubennnen. Saxe ist auch Vorsitzender des Vereins „Der Elefant“, der sich um das frühere Reichskonialehrendenkmal des Nazi-Bildhauers Fritz Behn kümmert.

In Berlin ist man da weiter: Dort beschloss die Bezirksverordnetenversammlung im ­April, drei Straßen mit den Namen deutscher Kolonialherrn im Afrikanischen Viertel in Wedding umzubenennen. Die Lüderitzstraße soll dort Cornelius-Frederiks-Straße heißen und damit den Namen eines 1907 im KZ zu Lüderitz gestorbenen und posthum von den Deutschen enthaupteten Nama-Anführers erhalten. Der Nachtigal-Platz soll Bell-Platz heißen – in Erinnerung an Rudolf Doula Manga Bell, König der Duala im heutigen Kamerun, der sich gegen die Kolonialherrschaft auflehnte. Und aus der Petersallee soll die Anna-Mungunda-Allee beziehungsweise Maji-Maji-Allee werden. Mungunda war als Angehörige der Herero die erste Frau in Namibia, die in der Unabhängigkeitsbewegung mitwirkte. Beim Maji-Maji-Aufstand erhob sich die Bevölkerung im Süden Deutsch-Ostafrikas gegen die deutsche Kolonialherrschaft.

Carl Peters, der sich als Kolonialbeamter in Deutsch-Ostafrika die Beinamen „blutige Hand“ und „Hänge-Peters“ erwarb, hatte auch in Bremen eine Straße. Und Ralph Saxe gehörte zu jenen, die sich für eine Namensänderung stark machten. Die scheiterte an AnwohnerInnen, obwohl die Stadt Bremen damals alle privaten Änderungskosten tragen wollte. Schließlich fand sich der Strafrechtsreformer Karl Peters, dem sie nun gewidmet ist.

Den SchülerInnen der Gruppe „Kolonialismus nicht mit uns“ reicht eine solche Umwidmung nicht aus. Sie suchen nun den Dialog mit den AnwohnerInnen. Und hoffen, dass sie es leichter haben, diese zu überzeugen, als PolitikerInnen.

Mahnwache: Sa, 28. 9., 11–16 Uhr, Lüderitzstraße. Um 12 Uhr spricht Herero-Aktivist Israel Kaunatjike

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen