Regisseur über Flugscham: „Man muss es einfach nicht machen“

Lars Jessen verzichtet seit Jahren aufs Fliegen. Der Regisseur über Anfeindungen, Flugscham und Zugstolz.

Freund von Kant, der sich selbst in der Pflicht sieht: der Regisseur Lars Jessen Foto: dpa

taz: Herr Jessen, wann haben Sie sich das letzte Mal über Ihren Entschluss, nicht zu fliegen, geärgert?

Lars Jessen: Ich habe mich darüber noch nie geärgert. Ich finde das eine Befreiung. Wenn man einmal einen Grundsatz gefasst hat, muss man sich nicht mehr mit Abwägungsfragen auseinandersetzen.

War der Weg schwierig?

Die einzige Schwierigkeit ist die sarkastische Anfeindung der Mitmenschen. Es ist ja oft so, dass Menschen bestimmte positive Entscheidungen treffen, ohne sie in aller Perfektion ausüben zu können. Und in dem Moment, in dem man einen ganz kleinen Fehler macht, hacken viele darauf herum und sagen: Du bist nicht perfekt – also kannst du mir gar nichts erzählen und ich kann so weitermachen wie bisher.

Wie muss man sich das vorstellen: Leute, die wissen, dass Sie nicht fliegen, Sie dann aber an der Hamburger-Bude treffen und das anprangern?

Ja, solche Dinge. Die Erwartung ist, dass man immer in sich 100% konsistent sein muss. Ich will aber nicht jammern. Der Verzicht auf das Fliegen ist wahnsinnig einfach. Man muss es einfach nicht machen und den Blick darauf lenken, welche Vorteile man dadurch hat: zum Beispiel, dass man auf einer Zugfahrt von Hamburg nach München schön arbeiten kann. Zugstolz statt Flugscham sozusagen.

Versuchen Sie, andere zum Nicht-Fliegen zu bringen?

Lars Jessen

50, der Regisseur lebt in Hamburg. Er drehte unter anderem die Kinofilme „Fraktus“, „Der Tag, als Bobby Ewing starb“ sowie mehrere Tatort-Folgen.

Wir haben gerade in unserer Branche als Geschichtenerzähler die Möglichkeit – und daraus abgeleitet auch eine Verantwortung – darüber zu reden, was wir machen. Außerdem passt es zu meinem Charakter, dass ich mich gerne äußere und auch versuche, andere mitzureißen. Auch wenn ich da manchmal übers Ziel hinaus schieße und Leute überfordere.

Wie kommt man als Umwelt-Prediger in der Filmbranche an?

Ich glaube, dass sich sehr viele Menschen auf ihr Künstlertum beziehen, um sich so jeglicher Verantwortung zu entziehen. Ich empfinde es als peinlich, wenn man es als Ausrede dafür nimmt, sich selber als außerhalb der Gesellschaft stehend zu begreifen. Nach dem Motto: Ich trenne zu Hause meinen Müll, ich gehe in den Bioladen, aber sobald ich am Set bin, bin ich ein wichtiger Künstler, fahre mit dem Taxi, fliege nach Hause, weil ich da meine Badehose vergessen habe oder meine Kinder in die Kita bringen muss. Man hätte bei der Verleihung der Goldenen Kamera an Greta Thunberg mal fragen sollen, wie viele der ergriffen applaudierenden Prominenten zu diesem Zweck mit einem Kurzstreckenflieger angereist waren …

Gab es ein Schlüsselerlebnis für Sie, um mit dem Fliegen aufzuhören?

Das war schon Mitte der 90er, als ich Dietrich Brockhagen kennenlernte, den Gründer des CO2-Kompensationsprojekts Atmosfair, und mir klar wurde, dass Fliegen exorbitant schädlicher ist als jede andere Art von Fortbewegung. Wenn man für sich in Anspruch nimmt, das eigene CO2-Konto zu reduzieren, muss man gucken, wo die großen Stellschrauben sind. Und das funktioniert nicht, wenn man den Müll trennt oder mit dem Rad zur Arbeit fährt und gleichzeitig jedes Jahr nach Sri Lanka in den Urlaub fliegt. Ich versuche zu gucken, wo ich ansetzen kann. Kein Fleisch zu essen und nicht zu fliegen sind zwei größere Räder, an denen ich einfach drehen kann.

Gab es Situationen, in denen Sie durch das Nicht-Fliegen etwas verpasst haben?

Ich sollte vor drei Wochen auf dem Filmfestival von Locarno für einen Kollegen einspringen und einen Vortrag zum Einsparen von Emissionen bei Dreharbeiten halten. Das habe ich abgelehnt, weil ich nur mit dem Flugzeug rechtzeitig hingekommen wäre. Hätten sie zwei Tage früher gefragt, hätte ich locker mit dem Zug hinfahren können. Wir müssen uns einfach von dem Gedanken befreien immer überall sein zu können, bzw. alles, was theoretisch möglich wäre auch durchzuziehen.

Gibt es auch Menschen, die Sie überzeugt haben?

Ja, ganz viele. Da dreht sich der Wind auch gesamtgesellschaftlich. Ich glaube, es geht ganz viel über Informationen. Wenn die Erkenntnis zugelassen wird, dass der Impact beim Fliegen um den Faktor zehn höher ist als beim Zugfahren, dann geht ganz viel. Gerade gestern sagte mir jemand: „Ich habe verstanden, was du die ganze Zeit gemeint hast. Ab jetzt bin ich dabei.“ Er meinte, man sollte zum Flughafen fahren und dort Flugblätter verteilen – da kommt ein Aktionismus hinein, der mir natürlich gut gefällt.

Wie sehr legen Sie sich mit Leuten an, die fliegen?

Es gibt oft Diskussionen, die für mich Rechtfertigungsdiskussionen sind: Ich hab ja mein Haus auf Mallorca, wie soll ich da hinkommen? – Vielleicht kein Haus auf Mallorca haben, kann man sagen, ist vielleicht auch ein bisschen arrogant. Ich laufe nicht mit einem Schild um den Hals herum, ich halte aber auch nicht mit meiner Meinung hinterm Berg, wenn mir jemand erzählt: Ich war übers Wochenende beim Shopping in London oder ich fliege jedes Jahr um die Welt, damit die Kinder mal dieses und jenes gesehen haben. Gerade bei Leuten mit Kindern verstehe ich das nicht.

Man sieht ja immer mal wieder Eltern ihre Kinder aus dem SUV heben …

Das sind die Widersprüche, die in uns allen liegen. Man sollte sich mehr mit Immanuel Kant und dem kategorischen Imperativ beschäftigen. Der hat vieles schon zu Ende gedacht. Mit meinen Worten: Niemand kann perfekt sein, aber man sollte sich redlich bemühen.

Wie sehen das Ihre Söhne? Wollen die auch mal Südafrika oder New York sehen und mit dem Schiff wird es nichts?

Die New-York-Reise haben wir tatsächlich gemacht, einmal im Leben. Das ist eine Weile her und in der Form würden wir es heute wohl auch nicht mehr machen. Letztes Jahr waren wir mit dem Zug auf Sizilien. Mein jüngster Sohn macht gerade eine Klassenreise, die wurde nach Saloniki mit einem Ryanair-Billigflug für 29 Euro gebucht. Wir haben versucht, ihn per Zug nach Saloniki zu bringen, aber dann wäre er doppelt so lange unterwegs gewesen wie die Klasse dort ist. Der Kompromiss war, dass alle Mitreisenden ihre Flüge kompensieren. Immerhin hat die Schule jetzt beschlossen, dass es die letzte Klassenreise per Flugzeug war.

Waren Sie dann der Spaßverderber?

Ich bin das ja nicht selber. Ich stelle mich nicht hin und schreibe den 17-Jährigen vor, was sie machen sollen. Der Impuls kommt aus der Gruppe der 15- bis 22-Jährigen, oder noch jünger. Die sind nicht das Pro­blem, das sind die Erwachsenen.

Auf Ihrem Twitter-Account findet man viele Posts zu Windkraft, zur Kritik an Kreuzfahrtschiffen und kaum welche zu Filmen. Wie kommt das?

Filme machen wir ja, das ist mein Beruf und ich bin nicht für die Promo meiner Sachen zuständig. Das können andere viel besser. Ich versuche mich lieber als Bestandteil der Gesellschaft zu definieren.

Sehr angenehme Position.

Ich bin erfolgreich und bin dafür sehr dankbar. Wer, wenn nicht Leute in meiner Position, können sich dafür einsetzen, dass die Welt nicht untergeht?

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