: Obskure Liebe zum VW-Bus
Es gehört zum guten Ton, SUVs zu hassen. Aber der Streit um die Urzeitautos lenkt ab vom eigentlichen Thema: der Autoverkehr kollabiert. Zum Glück.
Es gibt so viele gute Gründe dafür, SUVs abzulehnen, dass man nicht weiß, mit welchem man anfangen soll, zumal sind sie sämtlich bekannt, auch den SUV-FahrerInnen. Deswegen ist die interessante Frage nicht, ob die Ablehnung gerechtfertigt ist. Sondern die, warum sich ein Überschuss von Gefühl in dieser Ablehnung findet, eine Dosis Zorn, die zu groß ist, als dass sie ihren Grund allein im CO2-Ausstoß dieser Autos hätte.
Wenn Umweltschädlichkeit und hoher Platzverbrauch inakzeptabel sind, dann ist es erstaunlich, warum so viele der akademischen Mittelschichtler, die bekennende SUV-Hasser sind, VW-Busse und alte Volvo-Kombis fahren. Natürlich, die lange Nutzung hebt die Ökobilanz, und doch: die Flotte der neuen – und durchaus kostspieligen – VW-Busse ist groß und über ihre Notwendigkeit werden selten Debatten geführt. Ein neuer VW-Bus ist durchaus nicht preiswerter als einer der günstigen SUVs. Doch die alten Kombis und die Busse stehen für ein Lebensgefühl, das zwar ebenfalls raumgreifend ist und das im Falle der VW-Busse ebenfalls vom Gefühl des Erhoben-Seins zehrt – aber, und das nimmt sie aus der Schusslinie, sie gelten nicht als a-sozial.
Die SUV-Debatte ist eine Umweltdebatte, aber eben nicht nur. Es ist eine Auseinandersetzung um Raum und zugleich um gesellschaftliche Abschottung. Wer SUV fährt, so der Vorwurf, verfolgt das eigene Interesse so ostentativ auf Kosten der anderen, dass es nahezu ein Akt der Selbstbehauptung ist, dies nicht hinzunehmen. Das SUV ist ein Auto, dessen Konstruktionsprinzip Mächtigkeit ist. Und sein Kollateralschaden ist Umweltfeindlichkeit und ein hohes Risiko für diejenigen, die das Pech haben, in einen Unfall mit ihm verwickelt zu werden. Das SUV ist für seine Feinde und Feindinnen die Negation einer Außenwelt, die von Bedeutung sein könnte. Es ist das motorisierte Pendant zu dem neuen Kopfhörermodell, das seine TrägerInnen von Geräuschen der Außenwelt abschirmt.
Besonders verhasst: die SUV-Fahrerin
Kein Wunder, dass der Kampf weitgehend humorlos geführt wird. Kein Wunder, dass es vorgefertigte Schilder gibt, auf denen steht: „SUV-Fahren verursacht Impotenz“. Geht es nach den SUV-Gegnern, werden deren Fahrer bald so isoliert sein wie die Raucher. Eine interessante Fußnote ist, dass die SUVs nach nostalgischen Kleinwagen die erste Fahrzeugklasse sind, bei denen Frauen als FahrerInnen thematisiert werden. Kein Text über SUVs, in denen nicht mit Überraschung, gefolgt von erhöhtem Ressentiment, festgestellt wird, dass es Frauen, häufig Mütter der gehobenen Mittel- oder Oberschicht seien, die diese Autos wählen. Es ist ein bemerkenswerter Fall von positivem Sexismus: Warum sollten Frauen per se sozialer denken? So wie das Erstaunen, dass Elternschaft als solche nicht zu nachhaltigem Leben führt, erstaunlich ist in Zeiten, in denen ein neu erworbener Kombi zu den Insignien der Elternschaft gehört.
Da stehen dann die Kombieltern empört vor den SUV-Eltern und auch wenn man gefühlsmäßig eher bei den Kombis stehen mag: Sie führen eine Stellvertreterdebatte. Heiner Monheim etwa, der seit Jahrzehnten zum Thema Verkehr forscht, sagt, dass Pläne wie die von Olaf Scholz, SUVs höher zu besteuern, bestenfalls Kosmetik seien. Und dass es darum ginge, die realen Kosten, die Autos verursachen, von ihren FahrerInnen bezahlen zu lassen. In den Niederlanden wurde schon vor 20 Jahren ein Taxometer entwickelt, das individuell für jedes Auto, je nach Größe, Schadstoffausstoß, gefahrener Strecke und Parkplatzbeanspruchung eine Abgabe berechnet.
Warum man nie davon gehört hat? Nachdem es dem Rechtspopulisten Geert Wilders gelungen sei, die damalige Regierung auszuhebeln, die das Projekt vorangebracht hatte, sei es in der Versenkung verschwunden, sagt Monheim. Es sei faszinierend, wie sich die Autogesellschaft gegen jede Veränderung sperre. Da kommt einem der VW-Chef in den Sinn, der kürzlich in der taz einräumte, dass es schwierig sei, aus den SUVs Ökoautos zu machen – aber immerhin sei ihr Absatz so reißend, dass man mit dem Geld die Elektroautoforschung voranbringen könne.
Aber diese Zeiten, das glaubt zumindest Monheim, währen nicht mehr lange. Die Debatten um sparsamere Autos, Elektroautos seien nur noch die letzten Zuckungen einer sterbenden Form der Mobilität. Nicht von ungefähr: Der Großteil der SUV-Käufer ist jenseits der 50. Und die Generation, „die mit den klareren Augen“, sagt Monheim, die jetzt vor den Türen der Internationalen Autoausstellung demonstriere, sei diejenige, die sich vom Autowahn trennen werde.
Es ist interessant, jetzt mit Mobilitätsforschern zu sprechen, die schon seit Jahrzehnten für eine Gesellschaft kämpfen, in der das Auto bestenfalls eine Nebenrolle spielt. Eine Gesellschaft, in der der Fußgänger, der Radfahrer das Maß der Dinge ist. Diese Forscher sind Zeugen einer scheinbar unaufhaltsamen Motorisierung, doch sie sind bemerkenswert optimistisch, dass eine Zeitenwende unausweichlich ist. Und das gerade deshalb, weil sie den Kollaps der gegenwärtigen Autowelt für erfreulich nahe halten.
Der österreichische Verkehrsplaner und Vertreter der Fußgänger bei den Vereinten Nationen, Hermann Knoflacher, glaubt, dass die Diskussion um die SUVs eine Sündenbockdebatte ist: „Weil die Autofahrer merken, dass sie in den Städten nichts mehr verloren haben, lenken sie den Zorn auf die SUVs um.“ Dabei gehe es um viel mehr: einen Lebensraum, der nicht auf Autos ausgelegt ist. Knoflacher hat in den 70er Jahren das „Gehzeug“ erfunden, ein Holzgestell, das sich Fußgänger umschnallen können, um damit den einem Auto entsprechenden Raum einzunehmen.
Der Radfahrer als Maß aller Dinge
Aber für ihn geht das Thema weit über Fahrzeuggrößen hinaus: Er hat das Gehzeug auch in einem pädagogischen Fachbuch eingebracht, weil er der Meinung ist, dass das Auto sogar Familienstrukturen unterminiert. Es sei nachweisbar, dass mit dem Grad der Motorisierung einer Gesellschaft die Zahl der Kinder sinke. Man müsse sich das wie bei den Fröschen vorstellen, sagt Knoflacher: wenn das Milieu nicht mehr geeignet dafür sei, bliebe der Nachwuchs aus. Das Gehzeug hält er für ein geeignetes Mittel, um festzustellen, ob Eltern primär Menschen oder Autofahrer seien: Wenn die Kinder das Gehzeug auf dem Autoparkplatz abgestellt hätten und die Eltern es wegräumten, sei Letzteres der Fall.
20 Jahre, nachdem Hermann Knoflacher sein Gehzeug gebaut hat, ist der Student Michael Hartmann in München über Autodächer entlanggegangen, weil er nicht einsah, warum er als Fußgänger so wenig Platz hatte. Schließlich versuchte er, sich die Straße als Fußgängerraum zu erobern. Man stellte ihn vor Gericht, zuvor ließ man ein Gutachten in der Psychiatrie erstellen. Darin hieß es, er sei „wach beziehungsweise bewusstseinsklar und allseits orientiert“. Ebenso aber attestierte man ihm „Verdacht auf überwertige Ideen und Sendungsbewusstsein“, eine „etwas überwertige Sicht von der autofreien Zukunft“. Er selbst bekannte: „Ich denke, ich bin meiner Zeit voraus.“
Den Zorn nutzen
In den 50er Jahren hat er der ADAC eine Kampagne zur Verschmalerung der Fußwege geführt und es ist betrüblich zu sehen, wie gut sie funktioniert hat. Um Hartmann ist es still geworden, sein Aufbegehren wirkt im Rückblick vor allem rührend, und das ist erschreckend.
Es mag sein, dass sich die Debatte um die SUVs bald tot läuft. Dass „ein paar Sündenböcke geschlachtet werden, ohne die Schafe anzurühren“, so beschreibt es Hermann Knoflacher. Dass ein paar Aufgebrachte weiter zornige Botschaften à la „Braucht Ihr Ego so ein Auto?“ hinter die Windschutzscheiben der dicksten Autopanzer klemmen, ohne dass sich dadurch etwas änderte.
Aber vielleicht, vielleicht nimmt man das Momentum dieses Zorns, um tatsächlich zu entscheiden, wer bestimmen soll im öffentlichen Raum: Autos welcher Fahrzeugklasse auch immer – oder aber das Fußgängervolk.
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