: „Die Realität an den offiziellen Zielen messen“
Simon Ramirez-Voltaire erläutert die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements und möchte, dass die Nachhaltigkeitsziele schneller erreicht werden
Simon Ramirez-Voltaireist Geschäftsführer der AG Eine Welt-Landesnetzwerke in Deutschland e. V. (agl). Die agl unterstützt ihre Mitglieder in deren Engagement für eine globale Entwicklung, rund 10.000 entwicklungspolitische Initiativen, Gruppen und Vereine.
taz: Im März dieses Jahres kritisierten Bio- und Fairhandels-Akteure, dass die Bundesregierung für den Haushalt 2020 ausgerechnet bei der Entwicklungszusammenarbeit den Rotstift ansetzt. Nun heißt es im Haushaltsentwurf, dass nicht gekürzt würde, sondern sogar etwas mehr Geld zur Verfügung stehen soll. Ist damit nun also alles gut?
Simon Ramirez-Voltaire: Nein. Die Mittel sollen zwar tatsächlich etwas erhöht werden, doch angesichts der Herausforderungen bleibt der Umfang immer noch viel zu gering. In einigen Bereichen stagniert oder sinkt das Budget sogar. Vor allem mit Blick auf Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit macht sich eine deutliche Schieflage bemerkbar. Die Mittel der für den fairen Handel wichtigen entwicklungspolitischen Bildung sollen sogar von knapp 50 Millionen auf 45 Millionen reduziert werden, weil im letzten Jahr 5 Millionen als einmalige Projektförderung gedacht waren.
Welche Bedeutung hat die entwicklungspolitische Bildung?
Bildung ist der Schlüssel für die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Dadurch wird bürgerschaftliches Engagement gefördert. Menschen, die sich freiwillig und ehrenamtlich einbringen, aktivieren weitere Menschen. Beim Hamburger Fair-Trade-Hochschulwettbewerb etwa entwickeln Studierende gemeinsam mit Unternehmen innovative Konzepte zur Vermarktung von fair gehandelten Produkten. Ihre Ideen werden von einer Jury bewertet und im Rathaus ausgezeichnet. Das Spektrum der teilnehmenden Wirtschaftsunternehmen reicht vom Schmuckatelier übers Restaurant bis zu bio-fairen Kaffeeproduzent*innen. So werden engagierte Unternehmen, die sich für faire Handelsbedingungen einsetzen – oder dies in Zukunft planen –, mit frischem Know-how unterstützt und zu Kooperationen angeregt.
Inwiefern fördert der Staat solche Projekte in zu geringem Maße?
Von dem Ziel der Koalition, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit zu stecken, sind wir weit entfernt. Auch die vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen empfohlene Zielmarke, davon 3 Prozent für entwicklungspolitische Bildungs- und Informationsarbeit auszugeben, ist noch lange nicht erreicht. Die Koalition will sie zwar stärker fördern, macht dies aber zu zaghaft. Dabei ist sie das Mittel von lokalen Initiativen und Nichtregierungsorganisationen, um das Verständnis der Menschen für globale Entwicklungen zu fördern und zum Umdenken und Handeln anzustoßen. Beim eigenen Konsumverhalten, in der Kita, im Kiez. Wir brauchen viel mehr davon, eher im Stil einer Bildungsoffensive. Ein anderes Beispiel ist die Agenda 2030, die vor vier Jahren von allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedet worden ist: Kernstück sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. Schon jetzt ist klar, dass diese mit der aktuellen Umsetzungsgeschwindigkeit nicht bis 2030 erreicht werden – das muss sich ändern. Es ist wichtig, hier auf die Details zu achten und diese Realität an den offiziellen Zielen zu messen, die politisch bereits gesteckt worden sind. Interview: Lars Klaaßen
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