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Parlament geht, Boris Johnsons Probleme aber bleiben

Großbritannien wappnet sich für die nächste politische Krise Mitte Oktober, wenn die nächste Sitzungsperiode des Parlaments beginnt. Vorher blüht Johnson ein Showdown in der eigenen Partei

Von Dominic Johnson

Boris Johnson kann kurz aufatmen. Für die nächsten fünf Wochen kann der britische Premierminister regieren, ohne permanent vom britischen Parlament entmachtet zu werden, in dem er keine Mehrheit hat. Beide Parlamentskammern sind mitten in der Nacht zum Dienstag pünktlich in den Urlaub geschickt worden und treten erst am 14. Oktober wieder zusammen – eine Ewigkeit, gemessen am irrwitzigen Tempo, in dem sich das Projekt Johnson in zwölf Tagen selbst zerlegt hat, vom selbstherrlichen Regierungsbeschluss des 28. August zur „prorogation“ (Beendigung der Sitzungsperiode des Parlaments) bis zum Scheitern des mittlerweile zweiten Antrags Johnsons auf vorgezogene Neuwahlen am späten Montagabend.

Einige oppositionelle Abgeordnete nutzten die „prorogation“ für Theatralik. Labour und Liberaldemokraten boykottierten die Zeremonie im Oberhaus, bei der die Unterhausabgeordneten auf Befehl der Queen ins House of Lords zitiert werden und die Anweisung entgegennehmen zu gehen. Im Unterhaus versuchte ein Labour-Abgeordneter, den Parlamentspräsidenten John Bercow am Verlassen seines Stuhls zu hindern – solange der „Speaker“ sitzt, kann eine Sitzung nicht enden. Andere sangen Lieder. Es nützte alles nichts.

Doch auch Johnson nützt das nicht viel. Er muss die nächsten fünf Wochen dafür nutzen, eine Regierungserklärung zu ­schreiben, die aus dem Munde der Queen am 14. Oktober überzeugend klingt. Er muss zugleich den Scherbenhaufen kitten, in den er seine eigene Partei verwandelt hat. Die Konservativen haben sich nicht davon erholt, dass Johnson 21 ihrer ältestgedienten Abgeordneten aus der Fraktion geworfen hat, weil sie mit ihren Stimmen vor einer Woche möglich machten, dass die Opposition die Tagesordnung des Parlaments an sich reißt und ein Gesetz durchdrückt, das einen No-Deal-Brexit unmöglich machen soll. Fast täglich lässt sich irgendeine konservative Größe vernichtend über diese Säuberung aus.

Der konservative Jahresparteitag Ende September und Anfang Oktober, auf dem dieser Streit offen ausgetragen werden dürfte, könnte nun über Johnsons Zukunft entscheiden – noch bevor das Unterhaus zurückkommt und dann wieder alles abbremst, was der Premierminister anschiebt. Seit er im Juli Premierminister wurde, hat Boris Johnson noch keine einzige Unterhausabstimmung gewonnen. Und das dürfte sich so schnell nicht ändern.

Seit er Premier ist, hat Johnson keine Abstimmung im Unterhaus gewonnen

Eine erneute Zuspitzung ist zu erwarten, wenn das Unterhaus voraussichtlich am 21. Oktober über die Regierungserklärung vom 14. Oktober abstimmt und diese durchfallen lässt. Früher war die Abstimmung über die „Queen’s Speech“ automatisch eine Frage des Vertrauens, dessen Verlust den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen bedeutete. Heute ist das nicht mehr der Fall, aber eine Johnson-Niederlage an diesem Termin dürfte die Labour-Opposition dazu bewegen, endlich selbst die Vertrauensfrage zu stellen, was sie bisher vermeidet. Die Vertrauensfrage, so erwarten politische Beobachter, dürfte zu Neuwahlen Ende November oder Anfang Dezember führen.

Vorher aber steht die Frage an, was mit dem Brexit passiert, der derzeit gesetzlich auf den 31. Oktober terminiert ist. Das vom Parlament verabschiedete Gesetz gegen einen No-Deal zwingt Johnson dazu, bei der EU eine Verschiebung dieses Termins auf den 31. Januar 2020 zu beantragen, sollte bis zum 19. Oktober kein Abkommen ratifiziert sein, womit niemand rechnet. Johnson könnte dies ignorieren, weil er ja sowieso per Misstrauensvotum gestürzt wird. Es läge dann beim Parlament, rechtzeitig einen anderen Premierminister zu installieren, der den Verschiebungsantrag stellt. Ob Jeremy Corbyn dies sein kann, ist offen – auch bei Labour liegen die Nerven blank, weil sein Taktieren zugleich für und gegen Neuwahlen kaum vermittelbar ist und sein Brexit-Kurs weiterhin Rätsel aufgibt.

Sicher ist nur eins: Parlamentspräsident John Bercow, der am Montag im Unterhaus überraschend seinen Rückzug verkündete, wird dann immer noch die Sitzungen leiten. Er will sein Amt am Abend des 31. Oktober niederlegen. Bercow ließ sich im Unterhaus mit stehenden Ovationen von den Oppositionsbänken feiern, obwohl diese nicht erlaubt sind. Er hatte sogar selbst Tränen in den Augen. Ein wachsamer Parlamentsreporter bemerkte, dass er diese Tränen selbst inszeniert hatte – per vorheriger Benetzung seiner Augen mit Tropfen aus seinem Trinkwasserglas.

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