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Noch weit entfernt von Gleichberechtigung

Die Ausstellung „Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architektenberuf “ im Hamburger Museum der Arbeit zeigt anhand beeindruckender Architektinnen-Biografien bis zum 8. September den steinigen Weg für Frauen in einem noch immer von Männern dominierten Beruf

Wurde bei einer Architekten-Preisverleihung für die Sekretärin des Gewinners gehalten, machte aber selbst den zweiten Platz: Die Hamburgerin Gesine Weinmiller Foto: Hamburger Museum der Arbeit

Von Joachim Göres

Victoria zu Bentheim und Steinfurt (1887–1961) war eine Pionierin: eine der ersten Architektinnen Deutschlands. Ihr und 21 Kolleginnen widmet sich die Ausstellung „Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architektenberuf“ im Hamburger Museum für Arbeit.

Durch Restaurierungsarbeiten auf Burg Bentheim im neugotischen Stil um die Jahrhundertwende wurde zu Bentheim und Steinfurts Interesse an Architektur geweckt. Ab 1908 konnten Frauen in Preußen mit einer Ausnahmegenehmigung studieren – ein Empfehlungsschreiben bekam sie von einem Verwandten: Kaiser Wilhelm II. Nach ihrem Diplom an der Königlich Technischen Hochschule Berlin kehrte sie 1919 in ihre Heimat zurück und entwarf Bauernhäuser wie den Adolfshof bei Bentheim. Sie leitete das Fürstlich Bentheimische Bauamt und unter ihrer Regie wurde auf den Gütern ihrer Familie restauriert und gebaut.

In Hamburg sind neben Texttafeln zahlreiche Modelle zu sehen, Pläne, Briefe, Zeitschriften, Ausschnitte aus Interviews sowie umfangreiche Literatur. Deutlich wird, dass lange Zeit viele von der Architektinnen auf Aufgaben wie Kindergärten oder Hausbau reduziert wurden und weniger Anerkennung erfuhren als ihre männlichen Kollegen.

So wie die Hamburgerin Marlene Moeschke-Poelzig (1894–1985), die mit ihrem Mann, dem Architekten Hans Poelzig, an Bauten für den Stummfilm „Der Golem, wie er in die Welt kam“ beteiligt war. Sie entwarf das eigene Wohnhaus, das sie 1930 bezogen und widmete sich der Erziehung der drei Kinder. In der Öffentlichkeit wird ihre Arbeit immer wieder ihrem Mann zugeschrieben. Die Ausstellung zeigt einen Artikel aus der Fachzeitschrift Bauwelt von 1984 über das Poelzig-Wohnhaus, mit einem Foto vom Richtfest: Von der Schöpferin des Baus ist nur ein Arm am Bildrand zu sehen.

Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) beschäftigte sich Zeit ihres Lebens mit Wohnungen für unterprivilegierte Schichten und entwarf Kindergärten, die im Baukastensystem errichtet werden konnten. Bis heute berühmt ist sie für die sechs Quadratmeter große „Frankfurter Küche“, die in 10.000 Wohnungen eingebaut wurde und durch ihr ausgeklügeltes Konzept Zeit und Arbeit sparen sollte – der Prototyp der Einbauküche. In der Ausstellung findet sich ihr Zitat: „Ich hatte mit Küche und Kochen nichts am Hut. Aber die Männer um mich herum haben mich halt zu dieser Aufgabe gedrängt.“

Lucy Hillebrand (1906–1997) eröffnete nach dem Architekturstudium 1928 ihr eigenes Büro in Frankfurt/Main. Während der NS-Zeit durfte sie als Tochter einer jüdischen Mutter nicht arbeiten. Ab 1945 entwarf sie in Göttingen ein Studentenwohnheim. Auch die Pläne für das in Uslar realisierte Albert-Schweitzer-Kinderdorf sowie für die St.-Nikolaus-Kirche auf Langeoog stammen von ihr.

Hillebrand schuf als Schularchitektin zudem die baulichen Grundlagen für einen von der Reformpädagogik geprägten Unterricht. Anfang der 50er-Jahre wurde in Osterholz-Scharmbeck nach ihren Entwürfen die Volksschule gebaut, mit nahezu quadratischen Klassenräumen – so können die Kinder auch im Kreis sitzen. Diese Schule in Pavillonbauweise wurde Vorbild für andere Schulgebäude.

Iris Dullin-Grund (Jahrgang 1933) wurde in der DDR zu einer der wichtigsten Architektinnen. Nach dem Studium wechselt sie 1959 ins Hamburger Büro des Stararchitekten Ernst May, kehrt jedoch wegen ihrer politischen Überzeugung schnell wieder in die DDR zurück. Sie gewann als 26-Jährige den Wettbewerb um das 1965 eingeweihte Haus der Kultur und Bildung in Neubrandenburg und wurde international für ihren innovativen Generalbebauungsplan gefeiert. In der Ausstellung zeigt die Ost-Zeitschrift Die Frau von heute aus dem Jahr 1961 Dullin-Grund auf dem Titelcover als erfolgreiche Macherin im weißen Kittel, auch der Stern widmete ihr eine große Geschichte.

Als Beispiel für eine erfolgreiche Architektin der Gegenwart wird Gesine Weinmiller (Jahrgang 1963) präsentiert, Professorin an der Hamburger Hafencity-Universität. Sie betreibt seit 1992 ein Architekturbüro, zu ihren wichtigsten Bauten gehört das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Ihr Entwurf für den Umbau des Berliner Reichstages bekam den zweiten Platz – bei einem offiziellen Treffen der Preisträger hielten viele sie allerdings für die Sekretärin des Gewinners Norman Foster. Ihre Haltung zu der Frage, ob es eine weibliche Architektur gibt, ist eindeutig: „Nein! Herr und Frau Architekt bauen gute und schlechte Häuser gleichermaßen. Damals beim Wettbewerb zum Umbau des Reichstages begegnete mir Rita Süssmuth mit den Worten, sie habe nicht gedacht, dass Frauen solch eine harte Architektur machen könnten. Sie können, wenn hart und klar gleichbedeutend sind.“

„Ich war eigentlich keine Feministin, aber jetzt bin ich’s“

Anna Heringer, Architektin

Brigitte Kraft-Wiese (Jahrgang 1942) hat in den 60er-Jahren nach einer Bauzeichnerlehre in Hamburg Architektur und Stadtplanung studiert und begann 1978 beim Hamburger Landesplanungsamt der Baubehörde. Sie leitete die Planungen für das Elbufer und bezog die BewohnerInnen der besetzten Häuser in der Hafenstraße gegen alle politischen Widerstände des Bausenators mit ein. „Ich habe viel zu Hause gearbeitet, auf Kinder verzichtet, mein Privatleben geopfert. Das würde ich heute niemandem raten“, sagte sie in einem Interview, um ein paar Sätze später hinzuzufügen: „Mein Mann hat öfter zu mir spöttisch gesagt: ‚Ohne dich geht Hamburg unter.‘ Und ich habe geantwortet: ‚Ja, ohne mich geht Hamburg unter.‘ Dieses Bewusstsein muss man haben.“

Auf Kinder verzichten müssen karrierebewusste Frauen heute freilich nicht mehr: Das zeigt die fünffache Mutter und Architektin Almut Grüntuch-Ernst (Jahrgang 1966). Aufgewachsen in Dithmarschen, arbeitete sie nach dem Studium zunächst in einem kleinen Büro auf Sylt und gründete später mit ihrem Partner Armand Grüntuch in Berlin das Architekturbüro Grüntuch Ernst.

Seit 2011 ist sie Professorin an der Technischen Universität Braunschweig und leitet dort das Institute for Design and Architectural Strategies. Zu den konzipierten Bauten zählen Bahnhöfe, Schulen, Hotels und Bürogebäude, aber auch außergewöhnliche Aufgaben wie der deutsche Beitrag für die Architekturbiennale 2006 in Venedig. Derzeit entsteht nach ihren Plänen in Hannover der Neubau der Ärztekammer Niedersachsen, ein Bürogebäude für 400 Beschäftigte.

Solche Berufswege sind aber noch lange nicht die Regel. Der Verdienst von Architektinnen liegt im Schnitt 20 Prozent unter dem der Architekten. Im Studium sind die Frauen in der Mehrheit, im Beruf hat sich ihr Anteil dagegen halbiert. Die Architektin Anna Heringer kommentiert dies in der Ausstellung so: „Ich war eigentlich keine Feministin, aber jetzt bin ich’s. Also der Architektenberuf macht einen schon dazu.“

Ausstellung „Frau Architekt“: bis 8. 9., Museum der Arbeit, Hamburg

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