Transmolekularisierungfor a better future

„Space is the Place“, ein Scifi-Musikfilm mit US-Jazzer Sun Ra und seinem Arkestra von 1974, ist jetzt auf DVD veröffentlicht. Prima Nachhilfe in Sachen Afrofuturismus

„Space is the Place“: Sun Ra, hier in einer Szene neben seinem Moog-­Synthesizer Foto: Rapid Eyes Movies

Von Julian Weber

„Es ist nach dem Ende der Welt, wusstet ihr das noch nicht?“, deklamiert June Tyson, Sängerin von Sun Ras Arkestra im Vorspann, dazu erklingen Soundgirlanden eines Synthesizers auf der Tonspur, zu sehen sind Bilder aus dem All. Schnitt. Sun Ra, der afroamerikanische Bandleader und Jazzpianist, wandelt im Glitzergewand durch eine post­apokalyptische Landschaft, in der allerlei Gadgets in üppiger Natur herumhängen. Der Establishing-Shot von „Space is the Place“ ist Auftakt zu einem Blaxploitation-Scifi-Musikfilm mit Sun Ra und seiner Band in tragenden Rollen. Die Firma Rapid Eye Movies hat den Film von 1974 restauriert, nun ist er erstmals vollständig auf DVD veröffentlicht.

Work in Progress

„Space is the Place“ war zu Entstehungszeiten ein Work in Progress, an der Sun Ra immer, wenn er Geld hatte, weitergewerkelt hat. In Jazzkreisen galt Ra damals als Scharlatan, dessen angeblich fehlende Virtuosität durch bunte Gewänder kaschiert wurde. Mit diesem Vorurteil hat man erst in den Neunzigern aufgeräumt, als fehlende Puzzleteile von Ras Biografie wiederentdeckt worden sind. Dazu gehört auch der Film „Space in the Place“ als ein frühes Zeugnis des Afrofuturismus: Er zeigt Schwarze, die in den Weltraum auswandern, weil es da oben allemal besser für sie ist als hienieden mit dem scheiß Rassismus. Schwarze sind ein Mythos, erklärt Sun Ra an einer Stelle. „Musik ist Teil einer neuen Zukunft“, schiebt er hinterher, bevor er die Erde im Raumschiff verlässt. Denn hier unten regieren Drogen, Rassismus und Gewalt. Afrofuturismus ist längst ein Hot Topic, weil es Elemente aus Kultur, Technologie und politischer Teilhabe fusioniert. Sun Ra war auch hier Vorreiter.

Auch im richtigen Leben hat er erklärt, er habe sich auf den Planeten Saturn fantasiert. Das suggeriert schon der Name seines Labels El Saturn, eines der ersten Black Owned Businesses der USA. Das Raumschiff, mit dem Ra durch „Space is the Place“ gondelt, hat zwei Ringe und die milchige Farbe ähnlich der, die der Saturn von der Erde aus betrachtet annimmt. Die Handlung von „Space is the Place“ trägt Züge von Sun Ras Biografie. Sie beginnt in Chicago 1943, wo der erfolglose Pianist „Sonny Ray“ in einem Nachtclub derart avantgardistisches Zeug auf dem Piano spielt, dass Gäste, Pimps und Personal erst vergrault und dann pulverisiert werden. Herman „Sunny“ Blount, Ras bürgerlicher Name, hielt sich tatsächlich in einem Stripclub für Weiße in Chicago als Barpianist über Wasser, aus Gründen der Segregation musste er dabei hinter einem Vorhang spielen. Unter Musikerkollegen galt Ra als Sonderling, band Schlips um die Hosen anstatt Gürtel, diskutierte lieber in den öffentlichen Parks über Altertumsgeschichte, Philosophie und Raumfahrt, als in der Jazzszene abzuhängen. Er besuchte das Konservatorium, studierte die Musik der russischen Komponisten Skriabin und Rachmaninow genauso wie den afroamerikanischen Komponisten Will Marion Cook und Bigband-Jazz von Duke Ellington. Besonders begabt war er beim Partiturschreiben, auch später hat er für die bis zu 20 Bandmitglieder arrangiert und Arrangements transponiert.

Im Weltraum ist es für Schwarze allemal besser als auf Erden, wo sie Rassismus ausgesetzt sind

„Space is the Place“ zeigt Sun Ra in der filmischen Gegenwart von 1974 als gütig lächelnden Elder Statesman des Weltraums. In einer Szene ist er Beamter einer „Outerspace Employment Agency“, Weiße und Schwarze sprechen bei ihm vor, weil sie Jobs brauchen. Weder Arbeit noch Geld hat er zu bieten, er will Konzerte geben. Das missfällt dem FBI, es schickt zwei Undercover-Agenten, die Sun Ra entführen. Ein Geschäftsmann, halb Impressario, halb Gangster, namens The Overseer, sucht ebenfalls nach ihm, denn für ihn soll Ra in Oakland spielen. Oakland war auch Hauptquartier der Black Panther. In einem Jugendclub spricht Ra mit Streetkids, Poster von Angela Davis und Huey Newton an den Wänden. Sie reagieren skeptisch, bis sie erfahren, dass Sun Ra vom FBI entführt wurde.

Szenen eines Sun-Ra-Konzerts schaffen Comic Relief: wilde Percussion-Orgien, Energyplaying der Bläsersektion und June Tyson am Mikrofon, die MusikerInnen sind in bestechender Form. Mal nannten sie sich damals Myth Science Arkestra, mal Solar Myth Arkestra. In „Space is the Place“ taucht Saxofonist John Gilmore in einer Szene als Mumie auf, als er an einer altägyptischen Zeichnung entlangschleicht. Pharaonen haben Sun Ra fasziniert, genau wie die Naturwissenschaften. Im Film spricht er von Transmolekularisierung: Er glaubt, sein Körper habe sich im All gewandelt. Die Erde für immer verlassen hat Sun Ra 1993, das Arkestra gibt es nach wie vor, es macht in seinem Sinne bis heute weiter.

„Space is the Place“ (USA 1974). Regie: John Coney. Mit Sun Ra, Barbara Deloney, Erika Leder u. a., 81 Min. (DVD Rapid Eye Movies)

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