piwik no script img

Als es brannte

Zwei Publikationen beschäftigen sich aus aktivistischer Sicht mit den Protesten gegen G20 vor zwei Jahren – und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen

Von Christopher Wimmer

Auch nach zwei Jahren ist der G20-Gipfel in Hamburg immer noch Thema. Der größte Polizeieinsatz der deutschen Nachkriegsgeschichte mit insgesamt 31.000 Beamt*innen und das Aussetzen von Grundrechten prägten die Hansestadt für nahezu eine Woche. Verfahren gegen Aktivist*innen laufen immer noch. Die „Sonderkommission Schwarzer Block“ der Hamburger Polizei fahndet weiterhin nach Verdächtigen und durchsucht Wohnungen. Doch auch in der linken Szene wird weiter über Sinn und Unsinn der militanten Aktionen rund um den Gipfel diskutiert.

„Im Gedächtnis der Stadt bleiben die Bilder brennender Barrikaden und ein lädiertes Schanzenviertel als Ausdruck des Scheiterns des polizeilichen Einsatzkonzepts“, so fasst es Andreas Blechschmidt in seinem Buch „Gewalt. Macht. Widerstand“ zusammen, das der Autor, der seit 1989 im besetzten autonomen Zentrum „Rote Flora“ in Hamburg aktiv ist, aktuell veröffentlicht hat.

Zunächst zeichnet er dort die Militarisierung der Polizei im Vorfeld des Gipfels nach. Nach dieser Kritik an der Polizei kommt Blechschmidt sehr schnell zu einer Kritik der Linken. Dabei geht es ihm um jene Freitagnacht, in der es im Schanzenviertel zu Aufständen, Plünderungen und Barrikadenbauten kam. Blechschmidt kritisiert nun, dass den militanten Aktionen die Vermittelbarkeit und Mehrheitsfähigkeit gefehlt hätte. Militante Interventionen bräuchten immer „Adressat*innen der politischen Botschaften im Sinne einer aufklärenden Praxis, die sich nicht isoliert, sondern sich erklärt und Anknüpfungen zulässt“.

Ein Verdienst des Buchs ist die historische Einbettung der Hamburger Krawalle. Hier bezieht sich Blechschmidt sowohl auf den Kontext in der Hansestadt und verweist auf die Häuserkämpfe in der Hafenstraße der 1980er Jahre sowie die Besetzung des Gängeviertels 2009 als auch auf Auseinandersetzungen in der bundesdeutschen Geschichte wie die Schwabinger Krawalle von 1962 oder die Demonstrationen in Brokdorf 1981.

Damit nimmt er den G20-Krawallen die häufig behauptete Einzigartigkeit. Seine Kritik an der Linken, die sich zu viel auf den Aufstand eingebildet habe, fasst er folgendermaßen zusammen: Eine revolutionäre Haltung finde man derzeit nicht in brennenden Barrikaden, sondern in der „souveränen Abschätzung der eigenen Ohnmacht“.

Damit nimmt er den G20-Krawallen die häufig behauptete Einzigartigkeit

Einen deutlich positiveres Bild zeichnet das Buch „Das war der Gipfel“ des GoGoGo-Kollektivs, einer Gruppe von etwa hundert Aktivist*innen, die die Gipfel-Geschichte aus Sicht der Aktivist*innen selbst erzählen. Das Buch ist eine Chronik des Protests.

Von der Hafenblockade des kommunistischen „… ums Gan­ze“-­­Bündnisses bis zu den Demonstrationen der Schüle­r*in­nen und diversen Kunstaktionen werden alle Aktionen dargestellt. Das Buch ist damit unstrittig die umfassendste und vielstimmigste Darstellung der G20-Proteste in Hamburg. Theo Bruns, der Verleger und Mitherausgeber des Buchs, fasst das Ziel des Bandes so zusammen: „Unser Anspruch war, die eigene Geschichte zu schreiben, sie nicht den Herrschenden zu überlassen.“

Was mit GoGoGo-Kollektiv gegen Blechschmidt gezeigt werden kann, ist, dass in aufständigen Situationen bereits neue Formen von Solidarität entstehen können. Menschen, die in Cafés Verwundete versorgten, oder Anlaufpunkte, wo Leute füreinander gekocht und aufeinander aufgepasst haben, zeigen dies. Es geht dabei um Selbstermächtigung und solidarische Beziehungsweisen in Ausnahmesituationen.

Andreas Blechschmidt: „Gewalt. Macht. Widerstand“. Unrast Verlag, Münster 2019, 160 S., 12,80 Euro

GoGoGo (Hg.): „Das war der Gipfel“. Assoziation A, Hamburg 2019, 276 S., 24 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen