Kolumne Gilet jaune: Lückenvergrößerer VAR

Verschwörung, Rassismus und das Gackern der Hühner: Ist es Zufall, dass nur noch europäische Teams und die USA dabei sind?

Eine Schiedsrichterin gestikuliert

VAR! Nein! Doch! Sie macht das Zeichen des Wahnsinns Foto: reuters

Wenn ich aufstehe, gackern die Hühner. Also nicht das verlorene Maskottchen Ettie (übrigens offiziell die Tochter des WM-98-Gockels Footix, irre Lebensgeschichte im Weltall, auf eigene Gefahr einfach mal googeln), sondern echte Hühner. Ich wohne in Chatou jenseits der Pariser Stadtgrenze.

Meine Vermieterin hält Hühner, hat eine Komposttoilette und ist die einzige Person, die ich getroffen habe, die hier Müll trennt. Sie hat ein riesiges Haus (auch hier sind Ökos offenbar zu Geld gekommen) und ich schlafe auf dem Dachboden, was bei diesen Temperaturen nicht so cool ist, wie es klingt. Deshalb fängt mein Tag früh an, mit den Hühnern. Nebenbei sieht es hier aus wie in Bonn, sehr wohlhabend, sehr verschlafen. Und weil ich nach Paris meist über eine Stunde brauche, bleibe ich hier. Einmal war ich bei der Collina-Pressekonferenz.

Da war ein Journalist, der beschwerte sich sehr deutlich. Was Collina denn dazu sage, dass der VAR nur europäische Teams weiterkommen ließ, während die afrikanischen, südamerikanischen, asiatischen Teams im Achtelfinale ausschieden? Es war etwas überraschend, diese Verschwörungstheorie des Kamerun-Teams nun so ernsthaft aus dem Mund eines Journalisten zu hören.

Ich erinnerte mich, wie ich kurz zuvor im Zug mit einem chinesischen Journalisten gesprochen hatte. „Im Viertelfinale sind ja leider nur noch Europa und die USA“, sagte auch er, „ich glaube aber nicht, dass es Betrug war.“ Diskutieren auch die Chinesen darüber? Es scheint eine kontinentale Kluft zu geben in der Wahrnehmung dieses Turniers. Mein Gesprächspartner sah sie recht nüchtern: Die europäischen Teams seien einfach stärker gewesen, die chinesische Offensive zu schwach.

Man muss Henne und Ei unter-scheiden können. Alles andere ist billig und bedenklich

Trotzdem blieb es mir im Kopf. Denn es ist schwer, solchen Theorien zu widersprechen. Wer Rassismus ruft, setzt sich immer ins Recht, was will man schon sagen? Schnell ist man selbst ein Rassist. Dabei wurden außer den Japanerinnen vor allem die Schottinnen und Spanierinnen aus diesem Turnier gepfiffen. Die meisten nicht-europäischen Teams waren schlicht zu schwach. Das wiederum hat ökonomische, historische und mithin rassistisch bedingte Gründe. Bei jedem Turnier ist der Rassismus dieser Welt am Werke.

Der VAR vergrößert diese Lücke; er greift vor allem bei Torraum-Szenen ein, und stärkere (europäische) Teams, die offensiver agieren, haben größere Chancen, einen seltsamen Handelfmeter zugesprochen zu bekommen. Die Fifa bevorzugt übrigens auf wichtigen Posten europäische Schiris. Aber man muss Henne und Ei unterscheiden können. Alles andere ist billig und bedenklich.

Der Kollege im Zug sprach dann noch lange über Wettbetrug im Männerfußball. Das Aus der deutschen Männer 2018 gegen Südkorea sei auch Schiebung gewesen. Ich sage ihm, ich befürchte in diesem Fall, die Deutschen waren wirklich so schlecht.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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