Übergriffsvorwürfe gegen Opferberater: Wem vertrauen, wenn nicht ihm?

Ein Opferberater des Weißen Rings steht vor Gericht: Er soll eine Ratsuchende sexuell belästigt haben. Vorwürfe erheben noch mehr Frauen.

Faltblätter mti dem Aufdruck "Sei stark. Hol dir Hilfe"

Wer hilft gegen die, die eigentlich helfen sollen? Prospektmaterial des Weißen Rings Foto: dpa

HAMBURG taz | Einer der prominentesten Fälle ist wohl Kevin Spacey: Der Prozess wegen sexueller Belästigung, die der 59-jährige Schauspieler im Jahr 2016 an einem damals 18-Jährigen begangen haben soll, droht zu platzen. So ging es in dieser Woche durch die Medien. Der mutmaßlich Geschädigte verweigert die Aussage. Ohne ihn aber, so erklärte der Richter, sei die Fortführung des Prozesses wohl schwierig.

Aussagen des Opfers gegen die Aussagen des Täters: Bei Verhandlungen sexueller Übergriffe ist das eine häufige Konstellation. Oft fehlen weitere Beweise, weil die Taten in privater Umgebung geschehen sind – oder sein sollen. Viel hängt hier ab von der Glaubwürdigkeit der oder des Geschädigten. Vor Gericht nutzen Zweifel dem Angeklagten.

Für Fälle von Vergewaltigung lässt sich das auch anhand der Zahlen sehen: Nur rund eine von zehn einschlägigen Anzeigen führt am Ende zu einer Verurteilung, in rund einem Viertel der Fälle ergehen Freisprüche, das ist deutlich häufiger als im Durchschnitt.

Auf die Nachricht des wackelnden Spacey-Verfahrens reagierten manche Kommentatoren in den sozialen Medien, als sei sie schon ein solcher Freispruch. Juristisch bis heute unbescholten, hatte Spaceys Karriere im Oktober 2017 ein jähes Ende genommen, nachdem erstmals Vorwürfe sexueller Belästigung öffentlich wurden.

Es war die Hochzeit der #MeToo-Debatte, Spacey wurde aus Filmen geschnitten, verlor seine Hauptrolle in der Netflix-Serie „House of Cards“. Seine Reputation indes verlor er nicht nur wegen des einzelnen Vorwurfs, sondern weil sich nach und nach immer mehr Menschen gemeldet hatten, die ihm Übergriffe anlasteten.

Twitter ist kein Gerichtssaal

So geschah es seither öfter: Im Zuge der #MeToo-Debatte trauen sich Frauen, seltener auch Männer, sexuelle Übergriffe, Belästigungen und Vergewaltigungen öffentlich zu machen. Doch der Umgang mit den Anschuldigungen wirft durchaus juristische Fragen auf. Klar ist: Eine Debatte auf Twitter verläuft anders als in einem Gerichtssaal, wo eine Verteidigung etabliert ist.

Derzeit findet in Lübeck ein Gerichtsprozess statt, der es zwar nicht in die internationalen Gazetten schafft, aber doch immerhin im Norden Deutschlands Schlagzeilen macht. Weniger die Prominenz des Angeklagten sorgt hier für Interesse als seine langjährige Funktion: Angeklagt ist Detlef H., denn er soll eine 41-Jährige belästigt haben, M., die zu ihm in die Beratung gekommen war.

Wieso Beratung? Der Angeklagte leitete jahrelang die Lübecker Außenstelle der Opferhilfeorganisation Weißer Ring. Schon wegen dieses Amtes war der Schutz von Kriminalitätsopfern seine Profession, bestand seine Aufgabe genuin darin, ihnen in schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen – selbstverständlich auch den Opfern sexueller Gewalt.

Wie agiert ein Mann mit so einem Hintergrund, der bis dato denjenigen beizustehen hatte, die nun, in seinem Verfahren, „auf der anderen Seite“ sitzen, der Bank der Nebenklage im Gerichtssaal? H.s Anwalt hat auch Zeugen geladen, die die Glaubwürdigkeit der anzeigenden Frau in Zweifel ziehen, sie als Betrügerin dastehen lassen. Anwälte, so erklären Juristen, sind einzig dem Wohl ihrer Mandanten verpflichtet. Basiert die Anklage nur auf der Aussage des Opfers, kann es juristisch eine erfolgversprechende Verteidigungsstrategie sein, hier anzusetzen.

Verhalten wird nicht mehr verharmlost – oder zumindest nicht mehr ganz so selbstverständlich

Zumindest bei Vergewaltigungen äußern sich Beratungsstellen sehr abwägend in der Frage, ob Frauen zum Mittel der Strafanzeige greifen sollen: Manchen Frauen helfe der Schritt bei der Verarbeitung der Gewalttat, für andere stelle sich das Ermittlungs- und Strafverfahren aber als unzumutbare Belastung heraus.

Sehr viel mehr Vorwürfe

Auch bei H. geht es nicht um einen einzelnen Vorgang, neben M. erheben weitere 28 Frauen Vorwürfe. Doch nur dieser eine Fall hat es bislang vors Gericht geschafft; andere sind verjährt, fielen in die Zeit vor 2016: Da gab es die „sexuelle Belästigung“ noch nicht als eigenen Straftatbestand.

Darin ähneln sich solche Fälle. Erst Ende Mai etwa verurteilte das Amtsgericht in Bremen einen Masseur zu einer Geldstrafe, weil er eine Frau gegen ihren Willen an die Brust gefasst hatte. Aber 18 weitere Verfahren gegen den Mann wurden eingestellt – für die Betroffenen ein Skandal.

In Sachen H. kursierten seit Jahren Gerüchte. Dass der Fall trotz des Versagens an vielen Stellen heute so offen liegt, geht auf Recherchen von Spiegel und Lübecker Nachrichten zurück. Aber es hat auch damit zu tun, dass sich durch #MeToo der Umgang mit sexueller Belästigung und Machtmissbrauch verändert: Das zumeist männliche Verhalten, Begehren an Frauen auch gegen deren Willen auszuleben, wird nicht mehr verharmlost, oder nicht mehr ganz so selbstverständlich.

Gleichwohl: Der Kampf gegen das Patriarchat wird nicht allein im Gerichtssaal gewonnen werden.

Mehr über Helfer unter Verdacht, das Säen von Zweifeln im Gerichtssaal und warum der Prozess eine Chance für den Weißen Ring sein könnte, lesen Sie in der gedruckten taz nord am Wochenende oder hier.

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