R2G in Bremen kann kommen: Die Linke sucht ihre neue Rolle

Auf ihrem Parteitag votiert Die Linke mit großer Mehrheit für rot-grün-rot. Den Geist der Opposition will sie ins Zeitalter des Regierens retten.

Bald schon spricht Claudia Bernhard als Gesundheitssenatorin Foto: Foto: Mohssen Assanimoghaddam

BREMEN taz | Es ist „ein Experiment“. Das sagen selbst jene in der Linkspartei, die für Rot-Grün-Rot sind. Ja, sie haben „Muffensausen“. Eine linke Regierungsbeteiligung? „Das macht uns nervös“, sagt Christoph Spehr, der den Koalitionsvertrag mit ausgehandelt hat.

72 Prozent der Delegierten des außerordentlichen Landesparteitags sind am Ende einer vierstündigen Debatte dafür, dieses Experiment zu wagen. Das sind 42 von rund 620 Parteimitgliedern. Nur etwas mehr als ein Dutzend Linker votiert am Ende dagegen, abends um zehn. Die einen, weil sie lieber „den Klassenkampf führen“ wollen, die anderen, weil sie in der Anerkenntnis der jahrelang bekämpften Schuldenbremse einen „neoliberalen Deichbruch“ sehen. Theoretisch könnten die Regierungsgegner im anstehenden Mitgliederentscheid noch obsiegen – aber davon geht niemand aus.

Doch natürlich werden jetzt die Kröten gezählt, die Die Linke schlucken muss, und abgewogen, gegen all jenes, was als Erfolg der Linkspartei verbucht werden kann, als „linke Handschrift“, wie es dann gemeinhin heißt.

Maike Schaefer von den Grünen wird nun Bausenatorin: Das ist so eine Kröte. „Das schmerzt“, sagt Claudia Bernhard, die im Senat statt für Bau nun für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz zuständig sein soll. Ihr Argwohn gegenüber grüner Baupolitik ist groß, nach der Erfahrung der vergangenen zwölf Jahre. „Das kann so nicht weitergehen“, sagt sie.

Wobei wir mit Claudia Bernhard schon bei der nächsten Kröte wären, der Gesundheit Nord (Geno), der kommunalen Klinik-Holding. Für die wird in der Landesregierung künftig Die Linke zuständig sein. Deshalb wird Bernhard dann im Zweifelsfall auch die fehlende Investitionsmillionen in den staatlichen Krankenhäusern rechtfertigen müssen. Und auch erklären, wieso es MitarbeiterInnen bei der Geno gibt, die etwa in der Reinigung als LeiharbeiterInnen (meist sind es Frauen) 30 Prozent weniger kriegen als jene, die nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bezahlt werden.

Was wird dann aus dem an diesem Abend viel zitierten Politikwechsel? „Leider kann Bremen das nicht bezahlen“, sagt Marianne Carl, Betriebsrätin aus dem Krankenhaus Links der Weser. Ja, was die Geno angeht, da habe sich Die Linke in den Koalitionsverhandlungen „am Nasenring durch die Manege“ ziehen lassen, sagt die neu ins Parlament gewählte Maja Tegeler. Aber das sei „kein Grund“, den Vertrag ganz abzulehnen. „Es gibt die Möglichkeit, Dinge besser zu machen“, sagt Parteichef Felix Pithan mit Blick auf die Geno.

Das neue Kreuzfahrtterminal ist ein schwieriges Thema

Auch das „moderne, hoch leistungsfähige Kreuzfahrtterminal“ in Bremerhaven, das Rot-Grün-Rot verspricht, ist eine Kröte. Zwar ist den Koalitionären bewusst, dass Kreuzfahrtschiffe „eine Belastung für das Ökosystem der Meere darstellen“, die Branche werde durch die Forderung der Kundschaft nach ressourcenschonendem Tourismus aber auch zum Treiber bei der Entwicklung neuer Antriebssysteme, heißt es im Koalitionsvertrag weiter. „Mit anderen Worten: Der Markt soll es richten“, sagt einer der Delegierten und erntet dafür Applaus.

„Das finde ich auch beschissen“, sagt Miriam Strunge dazu – die Abgeordnete gehört auch zu jenen, die mitverhandelt haben, zusammen mit ihrem Kollegen Klaus-Rainer Rupp. Für den Widerstand gegen dieses Kreuzfahrtterminal werde man in Bremerhaven „geteert und gefedert“, warnte der. Was das Geld angeht, sieht er aber nicht so schwarz, Schuldenbremse hin oder her: „Ich bin mir ziemlich sicher, wir können Dinge finanzieren, von denen wir glauben, sie noch nicht finanzieren zu können.“

Die VerhandlerInnen bemühen sich, ihre Erfolge zu betonen. Spitzenkandidatin Kristina Vogt feiert das im Ländervergleich „bürgerrechtsfreundlichste Polizeigesetz“, das zu 95 Prozent dem linken Parteiprogramm entspreche, für Strunge ist es „der absolute Hammer“, dass ein Ausbildungsfonds im Vertrag steht, der zu mehr Ausbildungsplätzen führen soll. „Das ist supercool“, sagt sie, und auch dafür gibt es Applaus.

Die Abgeordnete Sofia Leonidakis lobt „das bundesweit erste Legalisierungsprogramm für Papierlose“. Allein dafür lohne sich die rot-grün-rote Koalition, ruft sie in den Saal. Und natürlich ist das auch ihre Antwort auf die von Ex-Parlamentarier Peter Erlanson im taz-Interview aufgeworfene Frage, ob eine Jamaika-Koalition schlimmer wäre als Rot-Grün-Rot. Andere argumentieren da schlichter: „Wenn man nicht regiert, kriegt man Sachen nicht durchgesetzt“, sagt Vogt.

„Wir sind weiter in Opposition zu den Machtverhältnissen“, versichert Christoph Spehr, „anti-neoliberal, anti-kapitalistisch und antipatriarchial“. Da ist er wieder, der Versuch, den Geist des Dagegenseins, die zwölf Jahre des Widerstands gegen Rot-Grün in das neue Zeitalter des Regierens mit Rot-Grün zu retten. 2007 waren sie in Bremen die Ersten, die in einen westdeutschen Landtag einzogen, jetzt sind sie die Ersten, die in eine westdeutsche Landesregierung kommen.

Zugleich wollen sie sich die Nähe zu all jenen bewahren, die gegen die herrschenden Verhältnisse kämpfen, die Nähe zu Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen. Kristina Vogt, bald Wirtschaftssenatorin, versucht, das eine mit dem anderen zu verbinden: „Ich fordere euch auf, bei Claudia Bernhard und mir vor der Türe zu stehen“, sagt sie, fordert also schon zum Protest gegen den eigenen Senat auf: „Sonst bewegen wir zu wenig.“

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