Kommentar Urteil zur Sterbehilfe: Die zweierlei Maße des Todes
Der Bundesgerichtshof hat zwei Ärzte freigesprochen, die Sterbewillige nicht aufhielten. Gut so. Denn die Rolle der Ärzte muss gestärkt werden.
I n Deutschland gibt es viele Möglichkeiten, den Tod zu befördern, aber wehe, jemand will freiwillig sterben. Umweltgifte, soziale Ausgrenzung, freie Fahrt für freie Bürger – was tödlich enden kann, wird vielfach hingenommen, ist gar erlaubt. Verboten indes ist, Menschen, die sterben wollen, etwa weil sie schwerkrank geworden sind, nicht daran zu hindern. Gut, dass der Bundesgerichtshof (BGH) nun zwei Mediziner freigesprochen hat, die den Sterbeprozess von Sterbewilligen nicht aufhielten, und dass damit Rechtssicherheit für Ärzte geschaffen wird.
Der 5. Strafsenat des BGH hat am Mittwoch entschieden, dass Ärzte Sterbewillige nach einem Suizidversuch nicht gegen deren Willen ins Leben zurückholen müssen. Einzig muss der Arzt den Patienten bis zum letzten Moment beobachten, ob sich an dessen Willen etwas verändert hat. Damit wird eine Gesetzgebung von 1984 revidiert, der zufolge sich Ärzte unter Umständen strafbar machen, die das nicht tun. Mit dem Urteil entsteht Klarheit für die Ärzte, auf die im Grenzbereich des Todes ohnehin viel Verantwortung abgeladen wird – und es stärkt den Willen der Sterbewilligen.
Anders als früher, wo Sterben oft ein kollektiv begleiteter Prozess war, ist der Tod heute meist individualisiert und tabuisiert. Die Ärzte sind zum Bindeglied zwischen dem Sterbenden und der Gesellschaft geworden. Deshalb muss ihre Rolle gestärkt werden.
In Deutschland ist seit dem Jahr 2015 Sterbehilfe durch den damals verabschiedeten Paragrafen 217 so gut wie unmöglich. Der Paragraf besagt zwar, dass (nur) „geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe“ verboten sei. Geschäftsmäßig indes ist, was wiederholt wird. Da sind Ärzte von vornherein in einer schlechten Position, weil sie mehr als einmal das Sterben eines Menschen begleiten.
Zu hoffen ist, dass die Entscheidung des BGH Veränderung in einen doppelzüngigen Umgang mit dem Tod bringt. Denn das Sterben nur dann zu sanktionieren, wenn es die Entscheidung eines Individuums betrifft, nicht aber, wenn es um die Folgen einer sterbenskrank machenden Ökonomie geht, ist einer der Widersprüche unserer Demokratie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher