Linken-Politiker über R2G in Bremen: „Es schmerzt mich“

Wenn auf dem Linken-Parteitag der Bremer Koalitionsvertrag vorgestellt wird, kann der Ex-Fraktionsvorsitzende Peter Erlanson nicht zustimmen. Warum?

Peter Erlanson, Vorsitzender der Fraktion von Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft, spricht 2011 in Bremen auf einer Pressekonferenz.

Ist unglücklich mit dem Vertrag der rot-grün-roten Koalition in Bremen: Peter Erlanson Foto: dpa

taz: Herr Erlanson, der Koalitionsvertrag steht. Die Linke könnte zum ersten Mal in einem westdeutschen Bundesland mitregieren – Jubelstimmung?

Peter Erlanson: Der Koalitionsvertrag ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe. Okay, man muss als Linke nicht zur Wahl antreten, wenn man nicht in der Lage ist, eine Koalition zu bilden – aber nicht zu jeder Bedingung. Der absolute Hammer: Nirgends steht, was etwas kostet. Hermann Kuhn von den Grünen hat schon zugegeben: Die Haushaltsberatungen werden eine Art zweite Koalitionsverhandlung. Dort wird erst festgelegt, was wirklich Priorität kriegt und was unter den Rasenmäher kommt.

Und Sie fürchten, dass die Linke dabei nicht gut wegkommt?

In dem Papier steht Einiges von dem, was wir in den letzten zwölf Jahren vergebens gefordert haben. Aber alles, was dort kein Preisschild hat, ist einfach völlig wertlos. Wenn im Herbst über den Haushalt verhandelt wird, sind die Senatsposten verteilt, alle wollen anfangen und die Grünen können drohen: Wenn ihr nicht spurt, warten da immer noch zwei andere Parteien auf uns.

Wäre der Vertrag denn gut, wenn alles umgesetzt würde?

Es geht um das, was fehlt. Nehmen wir das Gesundheitssystem: Weil Bremen kein Geld hat, war es ein großer Coup, der Politik zu sagen: Den Teilersatzneubau am Klinikum Mitte muss die Geno zum großen Teil selbst finanzieren. Um die Kredite dafür zurückzuzahlen, muss gespart werden – Dienstleistungsunternehmen wie Kliniken sparen dann eben am Personal, um die Bedarfe der Patienten geht es dabei nicht. Die Stadt müsste die duale Finanzierung wieder einführen, die Investitionskosten für Neubauten bei kommunalen Kliniken also wieder selbst übernehmen. Aber dazu steht nichts im Koalitionsvertrag.

Als wir vor ein paar Tagen telefoniert haben, haben Sie korrekt vorausgesagt, dass die Krankenhausinvestitionen verdoppelt werden sollen …

Peter Erlanson, 60, ist Psychologe und Krankenpfleger, saß von 2007 bis 2019 für die Linke in der Bürgerschaft, zuletzt als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Im Klinikum Links der Weser ist er im Betriebsratsvorstand.

Ja, verdoppelt, da denkt man „boah“ – aber dahinter steckt eine Summe von 37 Millionen für 16 Kliniken in ganz Bremen. Auch verdoppelt ist das nix: Zu den Rückzahlungen für den Teilersatzneubau in Mitte, nach unseren Berechnungen 200 Millionen Euro, kommt noch das Klinikum Links der Weser. Das braucht 180 Millionen Euro für ein neues Bettenhaus. Und auch in die gebeutelte Psychiatrie in Bremen-Ost müssen wir reinbuttern – das sind noch mal geschätzt 120 Millionen.

Kurz: Sie hätten für die Geno halt gern mehr Geld?

Das Problem ist viel größer. Man weiß genau, das lässt sich alles aus dem Haushalt nicht bezahlen. Normalerweise würde man einfach bei der Landeshauptkasse einen Kredit aufnehmen, das bauen und im Laufe der Jahre abstottern. Das darf man jetzt aber nicht. Schuld ist die Schuldenbremse, der Staat darf keine Kredite mehr für investive Mittel aufnehmen. Das ist ein Problem für Kitas, für Schulen, und eben auch für Kliniken.

Wäre es nicht feige, jetzt zurückzuziehen und die anderen die Drecksarbeit machen zu lassen, weil zu wenig Geld für die eigenen Wünsche da ist?

Es gäbe Auswege. Wäre man bereit, die Schuldenbremse anzugreifen, wären wir dabei. In unserem Wahlprogramm hatte klar gestanden, dass die Schuldenbremse weg muss – laut Koalitionsvertrag wollen wir jetzt aber an ihr festhalten. Außerdem müsste man Einnahmen organisieren, die Reichen zur Kasse bitten, aber auch dazu hat man nicht den Mut. Ich habe zwölf Jahre im Parlament erlebt, dass Rot-Grün nicht in der Lage ist, die einfachsten Sachen umzusetzen. Sie tun’s nicht. Wenn unsere Partei unter diesen Umständen eine Koalition machen will, dann lehnt zumindest der Kreisverband Links der Weser das sicherlich ab.

Was ist denn die Alternative?

Dann wird es eine Jamaika-Koalition geben. Wo ist denn das Problem?

CDU, Grüne, FDP – kein Problem?

Wissen Sie, ich glaube, die können das nicht schlimmer machen. Die CDU wird vor dem gleichen Problem stehen, die muss Kitas und Schulen bauen und kann es mit der Schuldenbremse nicht. Die Situation ist die: Kommunale Kliniken werden nach ökonomischen kapitalistischen Grundsätzen geführt. Das kriege ich mit der SPD und das kriege ich mit den Grünen, und wenn die CDU dran wär, kriege ich das auch. Da ändert sich nichts. Ich will aber Veränderung.

Haben Sie gar keine Sorge, dass eine Jamaika-Koalition das Soziale noch mehr aus den Augen verlieren würde?

Wenn die Bürger in Bremen sagen, nach 70 Jahren ist jetzt mal zappenduster, die haben lange genug Zeit gehabt, dann ist das eben so. Wenn wir als Linke in der Regierung unsere wesentlichen Punkte nicht erfüllen können, dann weiß ich nicht, warum wir für eine abgehalfterte SPD Steigbügelhalter sein sollen.

Sind Sie persönlich enttäuscht von dem, was Ihnen Ihre Partei als Koalitionskompromiss anbietet?

Ich war lange Fraktionsvorsitzender, habe viel dafür getan, dass es diese Partei überhaupt gibt, immer unter linken Vorzeichen. Wenn unsere Genossen und Genossinnen das anders wollen, ist das so. Aber es schmerzt mich, wenn ich als Linker sehe, dass meine Linke in eine Koalition gehen will, die neoliberale Politik mitträgt. Das schmerzt.

Machen Sie weiter Politik?

Als Kandidaten für die Bürgerschaft waren nur Leute gewollt, die einer Regierungsbeteiligung zustimmen. Ich habe nicht mehr kandidiert. Aber ich bin weiter Betriebsrat, ich lebe gerne, ich kämpfe gerne und ich bin überzeugter Sozialist, und das ist mein Weg. Ich bin zum Beispiel im Bündnis für den Volksentscheid für mehr Krankenhauspersonal. Das Selbstbewusstsein in der Pflege hat sich geändert: Die Pflegenden lassen sich nicht mehr so ausquetschen, sondern weichen aus, gehen in Zeitarbeit oder andere Berufe. Menschen suchen sich Auswege. Das ist für mich auch ein gutes Zeichen, dass Veränderung möglich ist.

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