Proteste in Hongkong: Auch die Businesswelt muckt auf

Hongkongs Geschäftsleute sind wegen des geplanten Auslieferungsgesetzes alarmiert. Früher hielten sie wegen ihrer Abhängigkeit von China still.

Zwei Leute schauen auf ihre Handys

Nicht immer nur am Handy: Demonstranten in Hongkong Foto: Reuters

HONGKONG taz | Namen nennt der Bankberater keinen. Auch seinen eigenen nicht. Die Nachrichtenagentur Reuters bestätigt aber: Ein schwerreicher Hongkonger Tycoon habe damit begonnen, mehr als 100 Millionen Dollar von seinem lokalen Konto bei der Citibank auf das einer Filiale in Singapur zu überweisen.

Und er soll nicht der einzige sein. „Es hat begonnen“, wird der Berater zitiert. „Wir hören, dass andere es auch tun.“ Singapur sei das bevorzugte Ziel. „Das sind keine Kunden vom chinesischen Festland, die möglicherweise politisch exponiert sind, sondern wohlhabende Kunden in Hongkong. Die Situation in Hongkong ist außer Kontrolle.“

Hongkongs schwerreiche Unternehmer waren bislang nicht dafür bekannt, dass sie vor der kommunistischen Führung in Peking kuschen. Im Gegenteil: Sie haben als finanzkräftige Investoren auf dem Festland an Chinas Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft prächtig mitverdient. Doch das umstrittene Auslieferungsgesetz, dass Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam durch das Parlament bringen wollte, hat offenbar auch die Wirtschaftswelt der Finanzmetropole alarmiert.

Carrie Lam lässt Ultimatum verstreichen

Die Proteste gegen Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam und ihr inzwischen auf Eis gelegtes Auslieferungsgesetz reißen nicht ab. Nachdem wahrscheinlich bis zu zwei Millionen Demonstrantinnen und Demonstranten am vergangenen Sonntag gegen dieses Vorhaben auf die Straße gingen, versammelten sich auch am Donnerstag wieder zahlreiche Aktivist*innen vor dem Sitz der Regierungschefin und forderten ihren Rücktritt. Sie hatten ihr bis Donnerstag um 17 Uhr ein Ultimatum gestellt, auf das sie aber nicht einging. Nun soll es ab Freitag weitere Proteste geben.

Lam hatte versucht, ein Gesetz durchzudrücken, das die Auslieferung von vermeintlich Kriminellen an China erlauben soll. Nur ein Anfangsverdacht hätte gereicht, um eine solche Auslieferung zu ermöglichen. In der autoritären Volksrepublik gehören Folter und unfaire Prozesse auch gegen politisch Andersdenkende zum Alltag. Zahlreiche Geschäftstreibende und Unternehmer haben sich daher in den vergangenen Tagen mit auf die Straße gewagt und solidarisierten sich mit dem Protest. Das ist ein absolutes Novum. Denn aus Furcht vor Geschäftseinbußen auf dem chinesischen Festland hatten sie sich politisch bislang zurückgehalten.

Joseph Cheng, Ex-Generalsekretär der Civic Party

„Geschäfte in China bedeuten Bestechung“

Hongkong, das bis 1997 eine britische Kronkolonie war und für 50 Jahre als eine chinesische Sonderverwaltungszone die alten Rechte wie Meinungsfreiheit oder freie Wahlen behalten sollte, ist wirtschaftlich extrem abhängig von der Volksrepublik. Viele Hongkonger Unternehmer haben ihre Fabriken auf dem chinesischen Festland, auch die meisten kaufkräftigen Kunden der vielen Luxusgeschäfte in der Hongkonger Innenstadt sind aus der Volksrepublik.

Sympathien in den Läden

Zu dem angekündigten Generalstreik am vergangenen Montag war es zwar nicht gekommen. Aber in zahlreichen Geschäften hängen Schilder mit Sympathiebekundungen für die Proteste. Und zumindest einige namhafte Banker und Großunternehmer sprachen sich auch gegen das Gesetzesvorhaben der Regierungschefin aus. Joseph Cheng, emeritierter Politologe an der City University of Hong Kong und früherer Generalsekretär der Civic Party (Bürgerpartei), erklärt sich den politischen Stimmungsumschwung in der Hongkonger Geschäftswelt damit, dass eine Angleichung an das chinesische System auch nicht im Interesse der Unternehmer sei. „Schließlich bedeutet Geschäftsaktivität in China oft auch Bestechung, Intransparenz, Steuerhinterziehung“, sagt Cheng. Das passe nicht zum Image Hongkongs. Allein der Gedanke, plötzlich in China vor Gericht zu stehen, reiche aus, um die Geschäftsleute nervös zu machen.

Vor allem aber die Glaubwürdigkeit der Finanzindustrie steht ihm zufolge auf dem Spiel. „Wir sehen bereits jetzt eine Tendenz bei Analysten und Ökonomen, sehr vorsichtig zu werden.“ Sie würden die chinesischen Staatsunternehmen nicht mehr objektiv bewerten, sondern die Lage in China beschönigen. Einschätzungen von Experten aus Hongkong würden daher in der Branche zunehmend an Stellenwert verlieren – und damit die Stellung Hongkongs als globales Finanzzentrum insgesamt.

Die kommunistische Führung in Peking hat die Ereignisse in Hongkong bis heute nicht kommentiert. Vom „größten politischen Rückzug der chinesischen Führung in der Ära von Staats- und Parteichef Xi Jinping“ ist in diplomatischen Kreisen in Peking aber die Rede. Angeblich soll Xi persönlich entschieden haben, dass Lams Gesetz auf Eis gelegt werde.

Gerade jetzt, im Handelskrieg mit US-Präsident Donald Trump, angesichts der insgesamt wachsenden Kritik in der Welt an China und so kurz vor dem G20-Gipfel der 20 führenden Wirtschaftsmächte kommende Woche im japanischen Osaka, hätte eine Eskalation der Proteste das Image Chinas noch mehr geschadet. Das habe Xi verhindern wollen.

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