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Die Türkei wartet auf das Duell

Der Wahlkampf in Istanbul tritt in die heiße Phase ein. Nur einer hält sich auffällig zurück: Präsident Erdoğan

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Zwei Wochen vor der von der Regierung erzwungenen Neuwahl um das Bürgermeisteramt in Istanbul sieht es aus, als steuere der Oppositionskandidat einem erneuten Wahlsieg entgegen. Umfragen zufolge liegt Ekrem İmamoğlu mit rund drei Prozent, in einigen Erhebungen mit fünf Prozent, in Führung.

Nichts von dem, was die regierende AKP und ihr Kandidat Binali Yıldırım unternommen haben – von Geschenken an Wähler bis hin zu Diffamierungen İmamoğlus –, konnte daran etwas ändern. Insbesondere der Versuch, die in Istanbul entscheidenden kurdischen Wähler für die AKP zu gewinnen, droht zu einem politischen Bumerang zu werden.

Bei der Wahl am 31. März hatte die kurdisch-linke HDP keinen eigenen Kandidaten aufgestellt und dazu aufgerufen, den Kandidaten der Opposition zu wählen. Den hauchdünnen Vorsprung verdankte İmamoğlu deshalb auch den kurdischen Wählern. Um die bei der Neuwahl am 23. Juni für sich zu gewinnen, hat die AKP den Kurden einige Angebote gemacht. Zunächst wurde eine Kontaktsperre gegen den historischen Führer der kurdischen PKK, Abdullah Öcalan, aufgehoben. Erstmals seit sieben Jahren durften seine Anwälte ihn wieder auf der Gefängnisinsel İmralı besuchen. Dann lud Yıldırım konservative religiöse Führer der Kurden nach Istanbul ein. Und schließlich sprach er vor wenigen Tagen bei einem Besuch der kurdischen Metropole Diyarbakır von „Kurdistan“ – eine Terminologie, für die andere ins Gefängnis geschickt worden sind.

Doch die AKP befindet sich in einer Zwickmühle. Geht sie zu offensiv auf die Kurden zu, verliert sie ihre rechten, nationalistischen Wähler. So widersprach Devlet Bahçeli, der Vorsitzende der rechtsradikalen MHP, die mit der AKP verbündet ist, Yıldırım sofort. Es gebe „kein Kurdistan“ in der Türkei. Außerdem führt die türkische Armee seit zwei Wochen eine Operation gegen die PKK im türkisch-irakischen Grenzgebiet durch, was die Avancen gegenüber Öcalan konterkariert. Die HDP bleibt bislang jedenfalls bei ihrer Unterstützung İmamoğlus.

Um seiner Kampagne doch noch einen Schub zu verleihen, hat Yıldırım überraschend einem TV-Duell mit seinem Kontrahenten İmamoğlu zugestimmt. Seit 2002, als Erdoğan gegen den damaligen CHP-Chef Deniz Baykal antrat, hat es ein solches Duell nicht mehr gegeben. Schon jetzt ist es ein landesweites Gesprächsthema. Wenn die Debatte am kommenden Sonntagabend beginnt, wird wohl nicht nur Istanbul, sondern das gesamte Land vor dem Bildschirm sitzen. Mehr noch als die Wahl am 31. März ist die kommende Neuwahl in Istanbul zu einem nationalen Ereignis geworden, das auch die Zukunft Erdoğans beeinflussen könnte. Hatte der Präsident sich im März noch täglich in den Wahlkampf eingemischt, hält er sich jetzt zurück. Die Verantwortung für eine mögliche Niederlage wolle er allein Yıldırım zuschieben, mutmaßen die Kommentatoren.

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