Landratswahl im Kreis Osnabrück: Eine historische Chance

CDU-Landrat Michael Lübbersmann bekommt im Kreis Osnabrück erstmals echte Konkurrenz: Die grüne Kandidatin Anna Kebschull zwingt ihn in die Stichwahl.

Die grüne Kandidatin Anna Kebschull

Möchte Veränderungsträgerin sein: Anna Kebschull Foto: Harff-Peter Schönherr

OSNABRÜCK taz | Für den Landkreis Osnabrück war der 26. Mai kein Tag wie jeder andere. Parallel zur Europawahl stand die Landratswahl an und der Grünen Anna Kebschull gelang eine Sensation: Mit 30,2 Prozent zwingt sie Amtsinhaber Michael Lübbersmann, CDU, in die Stichwahl. Die übrigen Kandidaten, Frank Vornholt und Horst Baier, beide parteilos, schlägt Kebschull haushoch.

Ganz kann sie diesen Erfolg noch immer nicht glauben: „Das hat uns natürlich unfassbar gefreut! Eine echte Aufbruchstimmung!“ Die will sie bei der Stichwahl am 16. Juni ins Ziel bringen. „Da entwickelt sich gerade eine unglaubliche Eigendynamik. Mit viel Bestärkung, quer durch die Parteien.“ Für den traditionell konservativ dominierten Kreistag ist das ein unüberhörbarer Weckruf. Immerhin waren alle bisherigen Landräte dort Männer – und von der CDU. Seit 1946. Nun rückt ein Politikwechsel in greifbare Nähe.

„Unsere Prioritäten müssen sich ändern“, sagt Kebschull. „Und das sofort.“ Ihr Kernthema ist der Klima-, Umwelt- und Naturschutz. „Es macht mich krank, dass da nicht längst was passiert ist“, sagt sie. „Wenn wir weitermachen wie bisher, nehmen wir unserer Jugend jegliche Entschei­dungsfreiheit und zwingen sie, ihr ganzes Leben nur noch damit zu verbringen, unsere Fehler zu ertragen, zu reparieren. Ungerecht ist das, verantwortungslos!“

Und dann listet Kebschull auf: dass sie am liebsten einen ÖPNV hätte, bei dem es nur Gratis-Tickets gibt; wie sehr es sie empört, dass der Kreistag Mitte März für das FFH-Gebiet Else und Obere Hase einen Gewässerschutzstreifen von lächerlichen 1 Meter Breite erlaubt hat; wie desaströs der geplante Autobahnausbau der A 33 Nord wäre; und wie wichtig Bildung ist.

Anna Kebschull, grüne Landrats-Kandidatin

„Da entwickelt sich gerade eine unglaubliche Eigendynamik. Mit viel Bestärkung, quer durch die Parteien“

Andere Prioritäten möchte auch Horst Baier, Samtgemeindebürgermeister von Bersenbrück. Der ging, obwohl unterstützt von SPD, Unabhängiger Wählergemeinschaft (UWG) und Linken, am 26. Mai mit mageren 11,6 Prozent nach Hause und gab unmittelbar nach der Wahl eine Wahlempfehlung für Kebschull ab: „Ein Politikwechsel im Landkreis ist dringend notwendig“, sagt Baier. „Der Umgangs- und Politik­stil im Kreistag ist extrem schlecht. Entscheidungen sind in­transparent, werden fast ohne öffentliche Debatte durch­gedrückt. Bürgermeister werden auf Linie gebracht, indem man Fördergelder ins Spiel bringt.“ Es brauche „dringend Durchlüftung“.

„Es gibt hier völlig veraltete Denkmuster“, stimmt Kebschull zu. „Nahbarkeit“ will sie dagegensetzen, Synergien. „Bei uns arbeiten so viele Menschen mit tollen Ideen, aber leider werden sie in Top-Down-Manier geführt. Das schnürt ein. Wir brauchen mehr Freiheiten.“

Das Strukturproblem, das Lübbersmann jetzt auf die Füße fällt: CDU (28 Sitze aus der Kommunalwahl von 2016) und SPD (20) arbeiten im Kreistag „bei vielen wichtigen Fragen stark harmonisiert“, so Baier. Die Opposition ist marginalisiert – mit sieben Sitzen sind die Grünen deren größte Fraktion.

Entscheidungen im Hinterzimmer? Politik müsse aus ihm herauskommen, sagt Kebschull, Politiker*innen müssten zu „Veränderungsträgern“ werden. Und verändern soll sich was, im Landkreis Osnabrück. „Im Natur- und Umweltschutz hat sich wenig bewegt, Lübbersmann hat eben eine große Nähe zur Agrarwirtschaft“, bilanziert Baier. „Auch in der Schulentwicklungsplanung ist der Landkreis krachend gescheitert.“

So eigenartig eng ist die Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD im Kreistag, dass ein eigener SPD-Kandidat zum 26. Mai gar nicht erst aufgestellt wurde. „Viele Ortsvereine hätten das durchaus gewollt“, sagt Sozialdemokrat Baier, „aber bei der Kreistagsfraktion war kein einheitlicher Wille erkennbar“.

Ein Vakuum, das Kebschull zusätzlich zur Kandidatur ermutigt hat. „Das wäre ja auch ein Einfallstor für die AfD gewesen.“ Also hat die Biotechnologie-Ingenieurin mit Diplom aus Bad Rothenfelde den Hut in den Ring geworfen. Zehn Jahre Politikerfahrung bringt sie mit, vom Gemeinderat Bad Rothenfelde bis zum Vorstand der grünen Kreistagsfraktion.

Ob jemand, der drei Nachhilfeschulen betreibt, 1.200 Behördenmitarbeiter führen kann, verantwortlich sein kann für ein Budget von 585 Millionen Euro pro Jahr, für einen 34 Gemeinden großen Landkreis? Dass sie keine Verwaltungslaufbahn hinter sich hat, sieht Kebschull als Vorteil: „Wir brauchen einen neuen Blick auf die Dinge. Ich bin Naturwissenschaftlerin, gehe sehr sachlich an alles heran. Ich war Arbeitnehmerin, bin Arbeitgeberin – alles Erfahrungen, die mir helfen, nah an den Bürgern zu sein.“

Ein harter Kampf ist es noch, bis zur Stichwahl in knapp zwei Wochen. Aber dass sie kämpfen kann, hat Kebschull bewiesen. Nicht zuletzt mit der Gründung der Bürgerinitiative „Frackingfreies Bad Rothenfelde“, 2010. Die hatte Erfolg: Es gab keine Bohrungen.

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