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Bafög-Reform mit Abstrichen

Staatliche Ausbildungsförderung steht in Deutschland auch ausländischen Studierenden zu. In der Praxis werden die eingereichten Bafög-Anträge jedoch häufig abgelehnt. Auch die zuletzt von der Bundesregierung beschlossene Gesetzesnovelle ändert daran wenig. Ein Gastbeitrag von Matthias Knuth

Am 16. Mai verabschiedete der Bundestag die 26. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes(Bafög). Ausbildungsförderung werde bis zu einem berufsqualifizierenden Abschluss und längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses geleistet, heißt es darin. Berufsqualifizierend sei ein Ausbildungsabschluss auch dann, wenn er im Ausland erworben wurde und dort zur Berufsausübung befähigt. Wieder einmal lässt die Novelle ein altbekanntes Problem ungelöst, wie der folgende Fall zeigt.

Fershte Asmari (Name von der Redaktion geändert) hat vor ihrer Flucht nach Deutschland einen Bachelor-Abschluss der Geschichte an der Universität Kabul erworben. Mit diesem Abschluss hat sie in Deutschland keine Aussicht auf eine qualifizierte Berufstätigkeit. Sie hat deshalb in Deutschland erneut ein Bachelor-Studium aufgenommen und einen Antrag auf Förderung nach dem Bafög gestellt. Das zuständige Amt für Ausbildungsförderung ließ sie bei Antragstellung eine Erklärung unterschreiben, dass sie mit ihrem Abschluss in Afghanistan als Lehrerin hätte arbeiten können. Anschließend wurde ihr Antrag abgelehnt mit der Begründung, das Ziel des Bafög, die Schaffung der Voraussetzungen zur Ausübung eines Berufes, sei durch den in Afghanistan erworbenen Abschluss bereits erreicht. Sie sei an einer Berufstätigkeit in Deutschland nicht gehindert – dass sie mit ihrem afghanischen Ein-Fach-Abschluss hier nicht als Lehrerin arbeiten könne, sei dabei unerheblich.

Dass ein im Ausland erworbener und dort berufsqualifizierender Abschluss zum Förderungsausschluss führt, wurde 1992 in das Bafög eingefügt. Laut damaliger Gesetzesbegründung ging es dabei um Inländer*innen, die sich für eine Ausbildung im Ausland entschieden hatten und nach ihrer Rückkehr feststellen mussten, dass ihr Abschluss in Deutschland nicht verwertbar war. Sie sollten kein Bafög erhalten, weil ihnen eine Ausbildung im Inland offengestanden hätte, die bei Vorliegen aller sonstigen ­Voraussetzungen förderbar gewesen wäre.

Die Bafög-Bürokratie wandte die Vorschrift hauptsächlich gegen Zugewanderte an, die einen im Ausland erworbenen Abschluss mitbrachten. Das Bundesverwaltungsgericht korrigierte diese Praxis schon 1996 zugunsten eines Aussiedlers, der zum Zeitpunkt seiner Ausbildung in Polen noch keine „offene Wahlmöglichkeit“ für ein Studium in Deutschland hatte. Die Förderverwaltungen setzten diese und folgende Urteile aber nur widerstrebend um, indem sie sich an den konkreten Fällen („Aussiedler“, „Polen“, „Heiratsmigrant*in“ usw.) statt am Grundsatz orientierten, dass ein Auslandsabschluss, der einem Inlandsabschluss nicht gleichwertig ist, eine Förderung nicht ausschließt, wenn zum Zeitpunkt der Ausbildung keine Möglichkeit einer Ausbildung im Inland bestand.

Die Bafög-Reform

Die Gesetzesnovelle

Am 16. Mai hat der Bundestag die von der Bundesregierung versprochene Bafög-Reform verabschiedet. Damit wollen CDU, CSU und SPD die Zahl der Bafög-EmpfängerInnen nach Jahren sinkender Empfängerzahlen wieder erhöhen. Die Reform sieht unter anderem vor, die Beitragssätze, die Freibeträge der Eltern und das Wohngeld deutlich zu erhöhen. Am kommenden Freitag befasst sich der Bundesrat abschließend mit der Reform. Seine Zustimmung zum Gesetz ist zwar nicht notwendig, allerdings kann der Bundesrat formell feststellen, dass das Bafög aus seiner Sicht weiteren Reformbedarf sieht.

Die Kritik

Opposition, Gewerkschaften und Studierendenvertreter bezeichneten die Bafög-Reform zwar als Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig bemängeln sie, die beschlossen Erhöhungen reichten nicht aus, um die gestiegenen Lebenskosten auszugleichen. Der Bundesrat hatte die Bundesregierung bereits im Gesetzgebungsverfahren aufgefordert, die Beitragssätze automatisch an die Miet- und Preisentwicklung anzupassen und das Bafög auch für Teil- und Orientierungsstudium zu öffnen. Die Bundesregierung lehnte diesen Antragab. (taz)

Das Bafög ist formal migrationsoffen: Wer sich nicht nur des Studiums wegen in Deutschland aufhält, wird bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen gefördert. Solange neu Ankommende in das Schema inländischer Bildungsverläufe passen, funktioniert das auch: Wer im Ausland noch nicht studiert hat und hier zum Studium zugelassen wird, wird wie ein inländischer Studienanfänger gefördert. Wer mit einem ausländischen Bachelor kommt und hier zu einem Masterstudiengang zugelassen wird, erhält Förderung nach dem konsekutiven Bachelor-Master-Modell. Aber wer im Ausland schon mehrere Semester studiert oder gar einen Abschluss erworben hat, der hier nicht ins Masterstudium führt, muss mit Schwierigkeiten rechnen. Gar keine Aussicht auf Förderung haben diejenigen, deren ausländischer Abschluss hinsichtlich des Bildungsinputs als einem deutschen Abschluss „gleichwertig“ bewertet wird. Dabei liegt der Marktwert solcher „gleichwertigen“ Abschlüsse oft nahe null. Das betrifft typischerweise Kultur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler*innen, deren Abschlüsse nicht von den Gesetzen zur förmlichen Anerkennung von Berufsqualifikationen erfasst und deren Studieninhalte stark von der Herkunftsregion geprägt sind.

Unterschiedlich ist die Rechtsprechung in der Frage, nach welcher Vorschrift den Antragstellenden mit nicht gleichwertigem Auslandsabschluss eine Förderung zu gewähren ist. Teilweise wurde davon ausgegangen, dass der ausländische Abschluss gewissermaßen nicht existent sei – insbesondere dann, wenn der ausländische Abschluss einem deutschen Hochschulabschluss „nicht vergleichbar“ ist. Dann werden die Betroffenen wie inländische Studienanfänger behandelt und erhalten die volle Förderung für eine „Erstausbildung“. Meistens wurde jedoch davon ausgegangen, dass die in Deutschland begehrte Ausbildung im Verhältnis zu der im Ausland betriebenen eine „andere Ausbildung“ sei. Das führt mitunter zu einer verkürzten Grundförderung aufgrund der Anrechnung von Fachsemestern.

Gravierender ist, dass eine „andere Ausbildung“ nur gefördert werden kann, wenn die erste Ausbildung aus „wichtigem“ oder gar „unabweisbarem“ Grund abgebrochen wurde. Die Gerichte mussten deshalb die Fiktion entwickeln, dass der Verzicht auf die Berufsausübung im Herkunftsland, wo der erworbene Abschluss berufsqualifizierend gewesen wäre, einem Abbruch der Ausbildung gleichkomme. Diese Konstruktion hat zwiespältige Konsequenzen: In Verwaltungsbescheiden und Gerichtsverfahren werden nun die Gründe für die Übersiedlung nach Deutschland sowie die Zumutbarkeit einer eventuellen Rückkehr zwecks Berufsausübung im Herkunftsland bewertet. Aufenthaltsrechtliche Fragen wie „Warum bist du überhaupt hier?“ oder „Muss das sein?“ müssen von den Antragsteller*innen bei Antragstellung erneut beantwortet werden. Es ist diskriminierend, wenn sie im Kontext der Förderungsentscheidung ihr Hiersein erneut rechtfertigen müssen.

Der Gesetzeswortlaut sagt scheinbar eindeutig, dass ein im Ausland erworbener und dort zur Berufsausübung befähigender Abschluss von der grundständigen Förderung ausschließt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gilt das jedoch nicht, wenn der ausländische Abschluss einem inländischen nicht gleichwertig ist und zu einem Zeitpunkt erworben wurde, als die Möglichkeit einer Ausbildung im Inland für die Betroffenen noch nicht bestand. Der Gesetzeswortlaut widerspricht der Rechtslage, schreckt potenzielle Antragsteller*innen ab, führt auch Beratende in die Irre und gibt der Förderverwaltung den Vorwand für Ablehnungen. Das Fortbestehen dieser Normenunklarheit ist offenbar politisch gewollt, denn die soeben verabschiedete 26. Bafög-Novelle enthält dazu keine Informationen.

Zugewanderte mit ausländischem Abschluss ohne Marktwert geraten in eine Statusfalle

Zugewanderte mit ausländischem Abschluss ohne Marktwert geraten in eine Statusfalle: Für Tätigkeiten auf Helferniveau sind sie überqualifiziert, Tätigkeiten auf akademischem Niveau bleiben ihnen verschlossen, und in eine betriebliche Ausbildung passen sie altersmäßig nicht gut hinein, auch wenn das Alter kein formaler Hinderungsgrund wäre. Für sie bietet es sich an, einen deutschen Hochschulabschluss zu erwerben, und zwar nach Möglichkeit in einem verkürzten Studiengang, bei dem im Ausland erbrachte Studienleistungen angerechnet werden. Aber eine finanzielle Förderung wird dieser Gruppe oft verweigert, und das nicht selten unter Missachtung der geltenden Rechtsprechung.

Fershte Asmari versäumte es, gegen die Ablehnung ihres Bafög-Antrags Widerspruch einzulegen, da die Geburt ihrer Tochter unmittelbar bevorstand. Nach zwei Jahren stellte sie dann erneut einen Antrag. Als sie sich drei Monate später nach dem Bearbeitungsstand erkundigen wollte, bestritt man im Bafög-Amt den Erhalt des Antrags. Andererseits schien man über den Vorgang ganz gut informiert zu sein, denn Frau ­Asmari musste sich fragen lassen, warum sie dem Amt unnötige Arbeit mit einem aussichtslosen Antrag mache. Für ihren dritten Antrag musste sie erneut aus Afghanistan den Einkommensnachweis ihrer Eltern beschaffen. Diese Be­scheinigung hat die gleiche Qualität wie beim ersten Anlauf, aber diesmal wurde Frau Asmari bei Abgabe des Antrags gesagt, dass das wahrscheinlich nicht ausreicht.

Matthias Knuth

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut "Arbeit und Qualifikation" der Universität Duisburg-Essen.

Willkommenskultur? Fachkräftesicherung? Bürger*innenfreundlichkeit auch gegenüber nichtdeutschen Mit­bür­ger*innen?

Aus dem Wortlaut des Gesetzes eindeutig erkennbare Rechte würden den Betroffenen sowohl den finanziellen Unterhalt sichern als auch zu einem respektvolleren Umgang bei den Ämtern führen.

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