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„Billionen von Dollar für den Kohleausstieg“

Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur IEA, fordert einen globalen Fonds, um Schwellenländern den Abschied von der Kohle zu finanzieren

Kühe, Kohle, Klimawandel – problem­orientierte Ansicht der rohstoffreichen Provinz Mpumalanga im Nordosten von Südafrika Foto: Siphiwe Sibeko/reuters

Interview Bernhard Pötter

taz: Herr Birol, in Ihrem neuen Bericht zeigen Sie den Regierungen der Welt eine „Röntgenaufnahme“ der momentanen Energiepolitik. Dieses Bild erinnert an einen starken Raucher. Wird der Patient überleben?

Fatih Birol: Dafür müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Erstens: Seine Lungen müssen vom Rauchen geheilt werden. Zweitens: Er darf nicht mehr rauchen. Für die Energiepolitik heißt das: Selbst wenn die Fabriken, Kraftwerke und Autos der Zukunft emissionsfrei sind, ist das nicht genug. Wir müssen auch das System säubern.

Also das Rauchen aufgeben – keine neuen Kraftwerke oder Industrieanlagen mehr errichten, die fossile Brennstoffe verfeuern?

Jede neue Infrastruktur muss sauber sein, falls die Welt ihre Klimaziele erreichen will. Man kann fossile Anlagen nur da haben, wo CO2 aufgefangen und gespeichert wird. Die Energiepolitik der Zukunft muss die erneuerbaren Energie ausbauen, Energie viel effizienter nutzen und offen sein für neue Technologien. Wir brauchen das alles, wenn wir die Ziele erreichen wollen. Derzeit entfernen wir uns von ihnen. Um im Bild zu bleiben: Statt das Rauchen zu reduzieren, sind wir sogar von Zigaretten auf kubanische Zigarren umgestiegen.

Alle reden über Dekarbonisierung. Die IEA-Zahlen zeigen allerdings das Gegenteil.

In der Tat sehen wir eine schnellere Karbonisierung statt einer Dekarbonisierung. Ende 2018 haben wir die höchsten CO2-Emissionen der Geschichte erreicht. Am meisten sorgt mich, dass sich die politische Debatte und unsere Klimaziele immer mehr von dem entkoppeln, was auf den Märkten in der Realität passiert. Das ist genau entgegengesetzt.

Was ist zu tun?

Der Energiesektor ist das Herz des Problems. Zwei Drittel der Kohlendioxid-Emissionen kommen aus der Energie. Ohne eine Lösung hier haben wir überhaupt keine Chance, das Klimaproblem zu lösen. Wir müssen also viel mehr in erneuerbare und saubere Techniken investieren, in Effizienz, CO2-Abscheidung und Speicherung und in Wasserstoff. Und wir müssen einen Weg finden, wie wir mit der existierenden Infrastruktur umgehen.

Sie sprechen von einem ­Kohleausstieg, den wir in Deutschland gerade versuchen?

Deutschland und Wirtschaftsminister Peter Altmaier leisten da heroische Arbeit. Der Kohleausstieg ist kein leichter Job, es gibt die Gewerkschaften, das ist alles sehr politisch und schon lange ein Problem. Aber: Deutschland hat etwa 40 Gigawatt Kohleleistung, im Schnitt sind die Kraftwerke etwa 40 Jahre alt, normalerweise laufen sie 45 oder 50 Jahre. Sie vorzeitig abzuschalten ist schon schwierig genug in Deutschland, aber in Asien haben wir etwa 2.000 Gigawatt Kohle, im Schnitt 11 Jahre alt. Sie stehen in armen Ländern, nicht in Deutschland. Wie sagen wir denen, sie sollen ihre Kraftwerke zumachen, weil wir das in Berlin, Brüssel oder New York so wollen?

Wie gelingt das, ohne dass die armen Länder auf den Kosten für ihre Kohlekraftwerke sitzen bleiben?

Wir müssen einen Finanzierungsmechanismus schaffen, um diese Länder dafür zu entschädigen, dass sie diese Kraftwerke früher vom Netz nehmen. Das muss der Kohleausstieg in Asien werden. Die Kohleflotte dort kann im Normalfall noch 40 Jahre laufen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, können wir den Klimazielen auf Wiedersehen sagen.

Wie viel Geld werden wir dafür brauchen?

Ich weiß keine genaue Zahl, aber es werden Billionen von US-Dollar sein. Das ist mehr, als jemand tragen kann, dafür brauchen wir einen globalen Finanzierungsmechanismus. Ohne einen solchen Anreiz werden diese Länder nicht aus der Kohle aussteigen.

Bisher gibt es den Green ­Climate Fund der UNO mit 10 Milliarden Dollar für vier Jahre. Das sind Peanuts, wenn man das vergleicht mit dem, was Sie fordern.

Ja, das ist winzig, verglichen mit dem, was nötig wäre. Wir brauchen ein Mehrfaches dessen, was heute die Verpflichtungen der Länder zur Finanzhilfe sind. Man könnte sich auch dar­auf konzentrieren, das CO2 am Kraftwerk einzufangen und zu speichern. Aber diese Technik ist noch in den Anfängen. Und sie würde in Ländern wie Indien oder Indonesien die Strompreise hochtreiben. Dann stellt sich wieder die Frage: Wer soll das bezahlen? Das ist vielleicht billiger, als die Werke zu schließen, aber auch dafür müsste jemand zahlen.

Die OECD Länder, die ja auch die IEA tragen, sollen also viel Geld auf den Tisch legen, um ihren Konkurrenten in der Weltwirtschaft eine grüne Energieversorgung zu finanzieren. Die Regierungen werden nicht begeistert sein.

Zuerst einmal sollte es eine weltweite Anstrengung sein, alle Länder müssen beteiligt sein. Aber es ist ganz wichtig, dass man die Schwellenländer nicht für ihren Entwicklungsstand bestraft. Ist ein solcher Mechanismus im heutigen politischen Klima vorstellbar? Realistisch betrachtet, glaube ich das nicht. Wenn ich mit den Ministern aus Schwellenländern spreche, ist Klimawandel nicht das drängendste Problem, Luftverschmutzung und Wasser sind dort wichtiger. Und wenn ich mit Ministern in den reichen Ländern rede, sehe ich, dass der politische Schwung von 2015, dem Pariser Abkommen, abgenommen hat. Die politischen und diplomatischen Anstrengungen gehen zurück, die Emissionen nehmen zu und wir schrei­ben einen Bericht nach dem nächsten, der viel stärkere Einschnitte fordert.

Eine neue Studie hat letztens berechnet, dass 100 Prozent erneuerbare Energie in allen Bereichen bis 2050 durchaus möglich ist. Was halten Sie von dieser Einschätzung?

Foto: IEA

Fatih Birol

61, leitet seit 2015 die IEA als Exekutivdirektor. Der türkische Wirtschaftswissenschaftler war vorher Chefökonom der Behörde, die 1974 von der Organisation der Industrieländer OECD gegründet wurde.

Wir sehen den Anteil der Erneuerbaren signifikant zunehmen, allerdings hauptsächlich im Strombereich. Bei Autos, Flugzeugen und in der Industrie wird das langsamer gehen. Ich werde mich nicht auf eine Wette zu Prozenten einlassen, aber bisher ist die Marktdurchdringung der Erneuerbaren sehr gering, verglichen mit dem, was wir sehen werden.

Der Anspruch ist gewaltig. Die Weltagentur für Erneuerbare, Irena, sagt, wir müssten den Zuwachs in Erneuerbare um das Sechsfache steigern, um die Klimaziele zu schaffen. Ist das machbar?

Erneuerbare werden um das Mehrfache wachsen, ob nun um das Drei- oder Achtfache, da lege ich mich nicht fest. Doch dann kommt das nächste Problem. Bisher haben die Regierungen nur den Ausbau unterstützt, aber ab einem Anteil von erneuerbarem Strom im Netz von 20 bis 25 Prozent wird es wichtig, wie man ihn ins Netz integriert. Deswegen treffen wir uns mit Minister Altmaier am 22. September für ein großes Ministertreffen in Berlin zu diesem Thema.

Die IEA ist oft kritisiert worden, weil sie die erneuerbaren Energien unterschätzt hat und die Klimaziele nicht deutlich abbildet. Viele Regierungen schwören auf die IEA-Zahlen. Sind das also sich selbst erfüllende Prophezeiungen?

Was wir machen, ist nicht politisch. Wir erstellen Szenarien, wir sagen den Regierungen: Wenn ihr mit euren Klimaplänen so weitermacht wie bisher, landen wir bei 3 Grad Temperaturanstieg, was eine Katastrophe wäre. Wir sagen aber auch: Wenn ihr einen Weg wählt, der das Pariser Abkommen einhält, der den Zugang zu Energie sichert und die Luft sauberer macht, dann müsst ihr mehr auf Erneuerbare, auf Effizienz und auf saubere Technologien setzen. Wir bestimmen nicht, was die Regierungen tun. Wir geben ihnen die Optionen, sie wählen aus. Und wir folgen da sehr genau der Wissenschaft mit unserem Szenario, das sich „deutlich unter 2 Grad“ orientiert. Wir haben bei der IEA vor 15 Jahren den Kampf gegen den Klimawandel begonnen und sind entschlossen, damit weiterzumachen.

Sie zeichnen ein düsteres Bild. Ist Ihre einzige Hoffnung, dass Sie sich irren?

Es kann gut sein, dass wir uns irren. Aber leider liegen wir meistens richtig.

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