: Das Bangen vor dem Halloween-Brexit
Bisher war das Grusel-Fest kein Thema in Brüssel. Doch nach sechsstündigem Streit am Mittwochabend ist es zum Toptermin der Europapolitik geworden
Aus Brüssel Eric Bonse
Welcome to Halloween-Brexit – Mit ihrem Beschluss, die neue Deadline für den britischen EU-Austritt auf den 31. Oktober zu verschieben, haben die Staats- und Regierungschefs einen neuen Begriff geprägt.
Ob das nun ein „schlechtes Omen“ ist, wie die französische Tageszeitung Libération schreibt, wird sich zeigen. Klar ist aber schon jetzt, dass das neue Brexit-Datum allen ein wenig unheimlich ist. Die britische Premierministerin Theresa May hatte lediglich einen Aufschub bis zum 30. Juni erbeten, Ratspräsident Donald Tusk wollte gleich um ein ganzes Jahr verlängern.
Damit hätte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gut leben können, so wie die Mehrheit der 27 Staats- und Regierungschefs. Sie wollten den Briten Zeit geben, ihre innenpolitischen Probleme bei der Ratifizierung des ungeliebten EU-Austrittsvertrags zu lösen. Allerdings blieb May eine überzeugende Antwort schuldig, wie die Lösung aussehen soll. Das nutzte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, um den Druck auf May zu erhöhen – und für eine kurze Verlängerung mit harten Auflagen zu plädieren. Nach sechs Stunden Streit einigten sich die EU-Chefs auf den 31. Oktober, den ursprünglich niemand auf dem Zettel hatte. Dieses Datum hat einen Vorteil – und mehrere Haken.
Für den Halloween-Termin spricht, dass er mit dem Ende der Amtszeit der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker zusammenfällt. Im November soll ein neuer Kommissionschef übernehmen, möglicherweise der Sieger der Europawahl im Juni. Damit startet die EU neu durch, Macron hofft sogar auf eine „Renaissance“. Die Briten wären dann raus.
Allerdings ist keineswegs sicher, dass das Brexit-Drama am 31. Oktober wirklich beendet ist. Eine weitere Verlängerung sei durchaus denkbar, sagte der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger. Auch der gefürchtete No Deal, also ein ungeregelter Austritt ohne Vertrag, ist immer noch nicht völlig ausgeschlossen.
Die EU hat sich also nur Luft bis zur Europawahl verschafft. Denn bis dahin, so May, will sie einen neuen Anlauf zur Ratifizierung des Brexit-Deals machen. Zugleich hat sie die Teilnahme an der Wahl des neuen Europaparlaments zugesagt, falls Großbritannien am 23. Mai immer noch EU-Mitglied sein sollte, was in Brüssel als sicher gilt.
Die Briten wählen neue EU-Abgeordnete – noch bis vor Kurzem war das undenkbar. „Die Europawahl ist kein Spiel“, warnte Parlamentspräsident Antonio Tajani noch am Gipfelabend. Doch zu spät: Die Wahl ist schon zur Variablen im Ringen um den Brexit geworden. Wahrscheinlich werden nun 73 britische Abgeordnete ins EU-Parlament nach Straßburg einziehen, unter ihnen auch viele Brexiters.
Deren Vordenker Nigel Farage läuft sich schon warm. Aber auch Sozialdemokraten und Grüne freuen sich auf die Wahl. Für die Genossen bedeutet eine britische Teilnahme, dass sie nicht auf die Labour-Abgeordneten verzichten müssen. Die Grünen rechnen sich gute Chancen bei den Pro-Europäern auf der Insel aus. Bis zu neun Abgeordnete könnten sie nach Straßburg schicken, bisher waren es sechs. Nur die Tories von Theresa May müssen mit einer herben Schlappe rechnen.
Merkel und die anderen EU-Chefs haben dies sogar bereits einkalkuliert. Sie hoffen darauf, dass die britischen Konservativen so große Angst vor der Europawahl haben, dass sie doch noch für den Austrittsvertrag stimmen. Viel mehr als eine Hoffnung ist das allerdings nicht. Eher schon könnten die Tories, einmal ins EU-Parlament gewählt, dort auf Crashkurs gehen.
Der Wortführer der Brexit-Hardliner, Jacob Rees-Mogg, hat bereits angekündigt, die EU-Geschäfte sabotieren zu wollen. Dem französischen Präsidenten Macron hat dies einen derartigen Schreck eingejagt, dass er auf einer Sicherungsklausel bestand. Das Vereinigte Königreich werde „die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen und alle Maßnahmen unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“, heißt es nun im Gipfelbeschluss.
Wasserdicht ist das aber nicht. Falls May zurücktritt, dürfte sich ihr Nachfolger kaum an dieses „Gentlemen’s Agreement“ gebunden fühlen. Bis zum Halloween-Brexit muss die EU weiter bangen, vielleicht wird es danach sogar erst richtig gruselig.
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