: Große Geste in kleinen Städten
Am Freitag streikten weltweit Schüler für die Klimawende – nicht nur in den Großstädten, auch in der Provinz. Ein Besuch in Eberswalde und Oranienburg
Von Helena Schäfer und Philipp Schulz
Als Landelin sein Handy aus der Tasche zieht, blinken 300 neue Nachrichten auf. „Weniger als sonst“ sagt er. „Weil gerade alle streiken“. Der 16-jährige Schüler hat mit Freunden die Fridays-for-Future Bewegung nach Eberswalde, nördlich von Berlin, geholt.
Umringt von Menschen mit Plakaten, stehen sie auf dem Bahnhofsvorplatz. Aus den Boxen singen die Ärzte „Lasst die Leute reden“. Viele sind an diesem grauen Tag gekommen: Schüler, Studierende, Aktivisten von Greenpeace, manche extra aus dem 30 Kilometer entfernten Bernau.
Am Freitag streikten, neben den rund 20.000 Menschen in Berlin, auch in 230 anderen deutschen Städten vor allem Schüler für ein besseres Klima. Während in Berlin die Studentin Luisa Neubauer und der Fernseharzt Eckardt von Hirschhausen sprachen, ist die Demonstration in Eberswalde eher so, wie Greta Thunberg sie im August 2018 in Stockholm startete: ein Streik, bei dem das selbstgemalte Banner, das mit Kreppband an einer Mauer befestigt ist, abreißt und sich die Schüler bei der örtlichen Druckerei bedanken, die ihre Flyer umsonst gedruckt hat. Zwischen Schulrucksäcken, Trillerpfeifen und Plakaten ist ein öffentlicher Raum entstanden, in dem sich junge Menschen politisieren.
Warum die Schüler nicht nach Berlin fahren, hat verschiedene Gründe. Landelin will, dass in so vielen Städten wie möglich demonstriert wird. In Oranienburg finden die Organisatoren dagegen, dass eine Zugfahrt auch irgendwie klimaschädlich ist.
Hier haben die Grundschüler der Kinderschule Oberhavel ganz basisdemokratisch entschieden, dass sie demonstrieren. Schulleiterin Anikke Knackstedt ist nur als Aufsichtsperson dabei, als sich die rund 25 Kinder vor dem Oranienburger Schloss versammeln. „Wir sind eine demokratische Schule in freier Trägerschaft, die Kinder besprechen solche Themen in der Kinderversammlung. Mich haben sie nur gebeten, die Demo anzumelden.“ Begleitet werden sie von über 100 Eltern und älteren Schülern. Die 11-jährige Mathea hält eine Rede: „Unsere Lehrerin hat mal gesagt, dass viele Tropfen einen Wasserfall ergeben. Wenn also alle was tun für die Umwelt, dann schaffen wir es, dass sich die Erde nicht weiter erwärmt.“
In Eberswalde ist der Ton schärfer: Leo, einer der Organisatoren, empört sich über die Kritik an den Klimastreiks: „Die AfD hat gegen uns gehetzt. Aber wir haben nichts anderes erwartet außer Hass. Sie haben Greta als Klima-Nazi dargestellt. Die FDP ist genauso schlimm: Die haben uns alle eine Ökodiktatur genannt.“ Leo schreit die Worte in die Menge. Ein anderer Schüler ruft: „Wir bewegen etwas. Nicht nur in Berlin, São Paulo oder Sydney, sondern auch in Eberswalde.“
Der Demozug setzt sich mit Pfeifen, Fahrradklingeln und Rasseln in Bewegung. Menschen stehen an geöffneten Fenstern und beobachten die Demo, manche filmen mit dem Handy.
Auch in Oranienburg sammeln sich Schaulustige. Eine ältere Dame meint, dass die Schule auch egal sei, wenn das mit dem Klimawandel stimmen würde.
Die Eltern fotografieren begeistert ihre Nachwuchsdemonstranten. „Stell dich mal neben das große Plakat und nimm die Kapuze ab, so erkennt man dich ja gar nicht.“ „Ruft noch Mal das mit dem Stopp für Plastik.“
Nach einer guten halben Stunde, löst sich die Demonstration auf. Es regnet und die Kinder haben Hunger.
In Eberswalde trübt der einsetzende Regen die Stimmung nicht. Landelin steht überwältigt zwischen den Menschen, eine grün-weiße Fridays-for-Future-Fahne um die Schulter gebunden: „Am Anfang haben wir gedacht: Wenn wir irgendwann mit 20 Leuten auf dem Marktplatz stehen, dann haben wir, was wir wollen. Jetzt stehen wir hier mit 600 Leuten. Nie im Leben hätte ich das gedacht. Nie im Leben.“
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