Acht Jahre nach Fukushima: Alles soll ganz normal wirken

Sind die Unfallfolgen acht Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima überwunden? Japans Regierung und Betreiber Tepco sagen: ja.

Eine Frau verbeugt sich vor einem Mahnmal

Erfurcht an einem Denkmal in Kamaishi: Mehr als 20.000 Menschen starben bei dem Tsunami in 2011 Foto: dpa

FUKUSHIMA taz | Auf dem zerfetzten Dach von Reaktor 1 greift eine gewaltige Zange, die an einem Kranhubseil hängt, nach Betonteilen und Metallstreben. An der Westseite von Reaktor 2 wurde ein Vorbau angedockt und die Wand des Reaktorgebäudes geöffnet. Über Reaktor 3 thront eine röhrenförmige Kuppel mit einem Bergungskran. Acht Jahre nach der dreifachen Kernschmelze ist die Atomanlage Fukushima Nr. 1 laut Betreiber Tepco unter Kontrolle. „Wir haben Fortschritte erzielt“, berichtet Sprecher Hideki Yagi bei einer Besichtigungstour für ausländische Journalisten.

Die Reporter dürfen in Alltagskleidung bis auf 40 Meter Luftlinie an die Reaktoren ­heran. Gemäß ihren Dosimetern werden sie in zwei Stunden weniger verstrahlt als bei einem Flug nach Deutschland. Die Radioaktivität sank, weil alle Bodenflächen mit Spritzbeton versiegelt wurden.

Daher brauchen die aktuell 4.200 Arbeiter auf 96 Prozent des AKW-Geländes keine Atemmasken und Schutzanzüge mehr zu tragen. Aber direkt über den Meilern herrscht eine solche Strahlenhölle, dass alle Arbeiten ferngesteuert ausgeführt werden müssen. Als Nächstes plant Tepco, die 1.573 abgebrannten Brennelemente aus ihren Lagerbecken über den zerstörten Meilern zu holen. Die Bergung beginnt in diesem Monat an Reaktor 3.

Nicht nur in der Atomanlage versucht die Regierung, den Anschein von Normalität zu erwecken. Auch außerhalb soll alles harmlos wirken. Zwar lässt sich die Radioaktivität dort nicht zubetonieren – die verstrahlten Orte Futaba und Okuma am AKW bleiben gesperrt. Aber seit dem Jahr 2014 wurden neun Gemeinden in der ursprünglichen Evakuierungszone nacheinander für bewohnbar erklärt.

Radioaktivität über dem Grenzwert

In Nahara, in zwanzig Kilometer Entfernung vom AKW, ist mehr als die Hälfte der Bewohner zurückgekehrt. Doch insgesamt leben nur 23 Prozent der 160.000 Evakuierten wieder an ihren alten Wohnorten. Die Mehrheit davon sind ältere Menschen. Dagegen haben sich kaum Familien mit Kindern an ihre einstigen Wohnorte zurück gewagt.

Dass ihre Gesundheitssorgen berechtigt sind, beweisen Messungen von Greenpeace im Herbst 2018 in Fukushima. An fast 10 Prozent von 17.000 Stellen maßen die Umweltschützer eine Strahlung vom bis zu 100-fachen des offiziellen Dekontaminationsziels von 0,23 Mikrosievert pro Stunde. An fast allen Stellen lag die Radioaktivität über dem international empfohlenen Grenzwert für Kinder von jährlich 1 Millisievert.

„Die Regierung ignoriert mit ihrer unverantwortlichen Siedlungspolitik das Ausmaß und die Risiken der Strahlenbelastung“, erklärte Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. Außerdem würden viele Dekontaminierungsarbeiter bei ungenügender Vorbereitung und schlechter Bezahlung hoher Strahlung ausgesetzt.

Die scharfe Kritik dürfte bei der japanischen Regierung auf taube Ohren stoßen. Bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio unter dem Slogan „Reconstruction Olympics“ will sie beweisen, dass die Region ihren Schrecken verloren hat.

Ballspiel in Fukushima

Die Laufstrecke für die Träger der olympischen Fackel soll ab März 2020 ausgerechnet an der Sportanlage J-Village beginnen, die nach der AKW-Katastrophe sechs Jahre als Tepco-Krisenzentrale diente. Außerdem hat das japanische Olympiakomitee sechs Softball- und ein Basketball-Turnierspiel in Fukushima angesetzt, damit das negative Erbe des Atomunfalls vergessen wird.

Diese Absicht stößt vielen weiterhin evakuierten AKW-Anwohnern sauer auf. Die staatlich heruntergespielte Strahlengefahr erschwere ihnen die Aufklärung über ihr Schicksal und ihre Heimat. „Niemand kümmert sich mehr um die Folgen des Atomunfalls, sodass wir unsere Sorgen wegen der Radioaktivität unterdrücken müssen“, klagte Noriko Tanaka von der Organisation „Mothers’ Radiation Lab“.

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