Gerichtsprozess um Atomkatastrophe: Freispruch für Fukushima-Manager

Die Atomkatastrophe in Japan bleibt ohne strafrechtliche Konsequenzen. Doch die klagenden Bürger und ihre Anwälte wollen nicht aufgeben.

Der 79-jährige Tsunehisa Katsumata schaut ernst

Hat sich entschuldigt: Tsunehisa Katsumata, ehemaliger Vorsitzender des Tepco-Verwaltungsrats Foto: dpa

TOKIO taz | Ein Bezirksgericht in Tokio hat drei Ex-Topmanager des Stromriesen Tepco in Zusammenhang mit der Fukushima-Katastrophe freigesprochen. Damit gibt es weiterhin keinen strafrechtlich Schuldigen für den größten zivilen Atomunfall seit Tschernobyl.

Der zweijährige Prozess drehte sich um die Frage, ob die Havarie im AKW Fukushima Daiichi hätte verhindert werden können. Die Führungskräfte hatten eine Warnung vor der Möglichkeit eines starken Tsunami erhalten, aber die Schutzmaßnahmen der Atomanlage nicht verstärkt, sondern nur den japanischen Ingenieursverband um eine Stellungnahme gebeten.

Die Manager waren wegen „professioneller Fahrlässigkeit mit Todesfolge“ angeklagt. Sie hätten durch ihr Nichthandeln den Tod von 44 Menschen verursacht, darunter Patienten, die bei der Evakuierung eines Krankenhauses starben. Außerdem seien sie für die Verletzung von 13 Menschen durch Wasserstoffexplosionen verantwortlich. Die Staatsanwälte forderten eine Freiheitsstrafe von je fünf Jahren.

Vor Gericht hatten der 79-jährige Tsunehisa Katsumata, damals der Vorsitzende des Tepco-Verwaltungsrats, sowie die Ex-Vizepräsidenten Ichiro Takekuro (73) und Sakae Muto (69) erklärt, dass sie den massiven Tsunami, der die Kernschmelzen in drei Reaktoren verursachte, nicht vorhersehen konnten. Das Gericht folgte dieser Argumentation, die auch das Unternehmen Tepco bis heute bemüht. „Es wäre unmöglich, ein Atomkraftwerk zu betreiben, wenn die Betreiber verpflichtet wären, jede Möglichkeit eines Tsunami vorherzusagen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“, begründete der vorsitzende Richter Kenichi Nagafuchi sein Urteil.

„Hat dieses Gericht kein Gewissen?“

Darüber empörte sich eine Zuschauerin noch im Gerichtssaal mit dem Aufschrei: „Unglaublich“. Eine andere Frau brach nach dem Urteil in Tränen aus. „Wir werden bis zu unserem Tode weiterkämpfen“, schluchzte sie. „Hat dieses Gericht kein Gewissen?“, klagte ein älterer Mann. Die Protestler waren teilweise aus Fukushima angereist. Greenpeace-Sprecher Shaun Burnie sprach von einem Justizversagen. „Das Urteil ist keine Überraschung, weil ein Schuldspruch ein verheerender Schlag gegen Tepco, die Regierung von Shinzo Abe und die japanische Nuklearindustrie gewesen wäre“, sagte Burnie in Tokio. Einer der Sprecher der Klägeranwälte, Yuichi Kado, betonte, dass der Prozess die Schuld der drei Manager vollkommen bewiesen habe. Daher gilt ein Revisionsverfahren als wahrscheinlich.

Unabhängige Beobachter hatten mit einem Freispruch gerechnet. Denn die reguläre Staatsanwaltschaft hatte zweimal den Antrag von 5.700 Bürgern abgelehnt, einen Prozess zu eröffnen, da es nicht genug Beweise gebe und eine Verurteilung zweifelhaft sei. Jedoch hatte ein mit Laien besetzter Ausschuss vor vier Jahren ein Verfahren gegen die drei Männer angeordnet. Diesem Entscheid musste die Justiz folgen und ernannte zu diesem Zweck unabhängige Anwälte als Strafverfolger.

Die japanische Regierung hatte bereits 2002 davor gewarnt, dass in Fukushima ein Tsunami von bis zu 15,7 Metern möglich sei. Die Tepco-Führung erhielt diese Schätzung 2008 und reagierte darauf nicht, obwohl die Notstromaggregate und die Schalttafeln des AKWs nur wenige Meter über dem Meeresspiegel standen.

Eine unabhängige Untersuchungskommission erklärte dieses Verhalten 2012 damit, dass die Atomindustrie sich selbst regulieren und überwachen durfte. Daher sei es ein Desaster von Menschenhand gewesen. „Wir entschuldigen uns erneut aufrichtig dafür, dass wir vielen Menschen, auch in der Präfektur Fukushima, große Schwierigkeiten und Sorgen bereitet haben“, beteuerte das Unternehmen nach dem Urteil.

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