Kolumne Lost in Trans*lation: Demokratie statt Scharia
Der politische Islam hat mit Religion oder Glaubensfreiheit nichts zu tun. Der Protest gegen den „World Hijab Day“ ist daher wichtig.
L etzte Woche fand zum siebten Mal der „World Hijab Day“ statt, der das Kopftuch der muslimischen Frauen feiert. Als Gegengewegung startete in sozialen Medien der Hashtag #NoHijabDay – und als feministische Journalistin unterstütze ich die #NoHijabDay-Bewegung voll und ganz.
Das werden jetzt in Deutschland reihenweise linke Freund*innen als „islamophob“ kritisieren. Sorry, das ist für mich nur leeres Geschwätz. Klar, sollten wir alle dem Slogan „My Body, My Choice“ folgen. Natürlich sollten Frauen selbst über ihre Körper entscheiden, und wenn sie wollen, sollen sie ein Kopftuch tragen oder einen Minirock. Aber: Ich bin auch dafür, dass wir uns entschieden gegen eine Gruppe wehren, die statt Demokratie die Scharia will. Denn einen anderen Planeten gibt es nicht. Wir sollten lernen, hier mit all unseren Farben und Identitäten in Frieden zu leben.
„Aber Religionsfreiheit!!!!“, höre ich die üblichen Stimmen schon sagen. Also bitte, sagen Sie über den (radikalen) politischen Islam, was Sie wollen: mit Religion oder Glaubensfreiheit hat das wirklich nichts zu tun. Das ist eine Bedrohung, die sich vollkommen gegen die Demokratie und Freiheit richtet.
Ich habe 40 Jahre in der Türkei gelebt und durfte dort die Entstehung des politischen Islam in den frühen Neunzigern unmittelbar beobachten. Ich habe gesehen, was diese Entwicklung verursacht hat und wie weit sie fortschreiten konnte. Ich habe gesehen, wie junge Menschen gestorben sind, durch die Bomben, die 2015 in Suruç und in Ankara explodierten. Diese Menschen waren unsere Freund*innen, Mitstreiter*innen, Nachbar*innen und Verwandten. Was diese unschuldigen Menschen getötet hat, war der radikale oder politische Islam. Für mich ist es dieselbe Ideologie, die sich über Aktionen wie den „World Hijab Day“ verbreiten will. Und deshalb müssen wir uns gegen solche Aktionen positionieren.
Im Iran zum Beispiel kämpfen die Frauen gegen das Mullah-Regime. Sie haben eine Protestkampagne gegen das Verschleierungsgesetz gestartet. Jeden Mittwoch schwenken die Frauen ihre Kopftücher, die sie an einen Stock binden, und protestieren gegen die Scharia. Sie haben ihren Protest #WhiteWednesday genannt. Wissen Sie, wie schwer es für Frauen im Iran ist, überhaupt zu protestieren?
Und dann gibt es da eine schwedische, sogenannte „feministische“ Regierung die diesen Protest einfach ignoriert. Während die Frauen auf den iranischen Straßen gegen das Scharia-System demonstrierten, trugen eine Delegation von schwedischen pseudo-feministischen Regierungsvertreterinnen bei ihrem Iranbesuch langärmige Blusen und Kopftuch. Wozu? Warum unterstützen Sie nicht den Protest der Frauen auf der Straße? Als Feministinnen hätten Sie zum Handeln aufrufen können. Sie hätten sagen können, dass die Entscheidung, ob eine Frau ein Kopftuch trägt oder nicht, eine Entscheidung ist, die von niemandem als nur von ihr selbst getroffen werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“