Neues Album von Die Goldenen Zitronen: „Euer Karma ist eh längst versaut“

Weniger Poltern, trotzdem mehr Dringlichkeit. Wie das geht, zeigt die Hamburger Band mit ihrem neuen Album „More Than a Feeling“.

Fünf Menschen stehen in bunten Kleidern vor einem Baum.

„Die Goldene Zitrone“ poltert nicht mehr so doll, hat aber noch Wumms Foto: Frank Engel

Die Autoindustrie produziert weiter und die Raser rasen weiter in den Erzeugnissen der Autoindustrie. Wobei, der Peak Oil ist bereits erreicht, das Zeitalter der Benzinschleudern geht allmählich vorüber. Dinosaurier haben es den Goldenen Zitronen angetan. Ihr kommende Woche erscheinendes neues Album heißt „More Than a Feeling“, wie ein Song der Melodic-Rocker Boston von 1976. „Unser Reichtum ist kein Ölscheichtum“, lautet ein Reim, den sich die Zitronen in ihrem Song „In der Schleife“ darauf machen.

Wie Arsch auf Eimer passt diese Sentenz zur gerade schwelenden Debatte über ein Tempolimit auf den Autobahnen, als Maßnahme, um die Luftverschmutzung einzudämmen und damit die Klimaerwärmung aufzuhalten. Wundersamerweise tauchen Pkw auf dem neuen Album auch in einem Song auf, und zwar – wie könnte es bei den Zitronen anders sein – als Fetische, mit denen Bürgerinnen ihre Distinktion unter Beweis stellen.

„Besondere Autos“, wie es im Song „Mauern bauen (testweise)“ heißt, „Autos, die sie auch unbedingt fahren wollen“. Darin malt sich Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun, der eine Lehre zum Kfz-Mechaniker abgeschlossen hat, aus, was passiert, wenn rechtspopulistische Forderungen erfüllt werden und eine Mauer als Bollwerk dient. Auch Statussymbole – Autos – werden darin eingehegt.

Die Goldenen Zitronen: „More Than a Feeling“ (Buback/Indigo/The Orchard)

„Ich dachte mir, wenn ihr die Mauer unbedingt wollt, zieht sie doch einfach hoch, so als Wagenburg“, erklärt Kamerun beim Gespräch mit der taz im Berliner Café Einstein seine Idee für einen gespenstischen Text über Abschottung, der von einem nagelnden Sequenzerbeat windelweich geprügelt wird. Wie oft auf „More Than a Feeling“ wirkt das Subjekt, das „Mauern bauen (testweise)“ singt, sehr bestimmt; man merkt, es ist die repetitive Musik, die die Paranoia, wie sie aus dem Gesangsvortrag spricht, rauskitzelt.

Mauern und Zäune

Mauern und Zäune sind zentrale Gegenstände in den Songtexten auf dem Album: Hindernisse, die die Band als textliche Gegenstände auch genauso sperrig vermittelt, aber musikalisch spielend überwindet. Es wabert und pfeift in diesem cool-unbehaglichen und äußerst einprägsamen Musikbett, das die Zitronen bereiten. Mal wird nur über Zäune geraunt im Tenor der Fake-News-Verhetzung, dies dann auch umgehend zurückgewiesen: „Die Leute würden jetzt verlangen, einen Zaun zu errichten / Das wollen eigentlich alle / Eine glatte Lüge“ („Katakombe“).

Mal dient, wie in dem Song „Gebt doch endlich zu, euch fällt sonst nichts mehr ein“, eine Mauer als Ultima Ratio der „edlen Erfinder der Menschenrechte“, die „in Wahrheit outgesourcte Knechte“ bräuchten, um ihre „fuckin’ Privilegien“ zu schützen. Es ist eine Art Gefährder-Ansprache an Politiker und Wirtschaftsbosse, durchaus als Drohung: „Euer Karma ist doch eh schon längst versaut.“ Die Musik kühlt den Text runter, eine zischelnde Hi-Hat und schlangenbeschwörende Gitarrenakkorde, jeweils kurz angespielt und es flutscht.

Die Goldenen Zitronen

„Du sieht aus wie Katakombe. Dein Look ist nicht gerade Bombe“

Ein weiterer Begriff, den die Zitronen abtasten wie ein Geschwür, ist „Volk“. In dem Song „Heimsuchung“ wird er zum Punching-Ball, den verschiedene Sänger zu fassen bekommen und elegant weiterboxen, dass einem ganz schwindlig wird. Zu merken ist daran auch, dass die Bandmitglieder auf dem neuen Album arbeitsteiliger als früher zu Werke gehen. Nicht mehr nur Schorsch Kamerun und Ted Gaier teilen sich das Mikrofon, sondern auch Mense Reents und Enno Palucca tragen zum Gesang bei. Als Gäste sind Sophia Kennedy und Latoya Manly-Spain dabei, auch das tut der Musik gut. „Wir haben verstanden, dass die Einfachheit von Rockmusik für uns eine langweilige Aufführungspraxis ist“, sagt Kamerun.

„More Than a Feeling“, das 13. Werk der 1984 gegründeten Punkband, ist zu einem Paket komprimiert. Durch die musikalische Rahmung als züngelnder New-Wave-Elektronik-Lurch setzt das Album seine Themen präzise und spielt sie konsequent durch: Wie immer ist die Textsprache der Zitronen ein Klärwerk, das medialen Müll, Selbsthilfe-Manuals und Bonmots der politischen und ökonomischen Verlautbarungen filtert und in die Punk-Kanalisation abfließen lässt.

Drumsound verleiht Wumms

Vom Auftaktsong, dem Wutbürger-Por­trät „Katakombe“, bis hin zum G20-Dokudrama-Finale „Die alte Kaufmannsstadt, Juli 2017“ entsteht eine rasant tönende und scheppernde Chronik der letzten Jahre. In der Vergangenheit geriet die Stringenz der Goldies-Argumentation durch die eigene lustvolle textliche Zerstörungswut und das musikalische Torpedieren von Flow gelegentlich unter die Räder. Diesmal ist das anders.

Wenn „More Than a Feeling“ wie aus einem Guss klingt, liegt das an der funktionalen elek­tronischen (Nach-)Bearbeitung. Songs wurden nicht live als Band eingespielt, sondern in Einzelteilen aufgenommen, gesampelt und im Mix als Arrangement am Mischpult wieder zusammengesetzt. Keyboarder Reents hat sie produziert. Auch der Drumsound wird von elek­tronischen Schlagzeugen erzeugt, was dem Wumms der Zitronen klinische Kälte verleiht und den Texten viel mehr Nachdruck.

In den Arbeitsabläufen mögen die Zitronen nun routinierter vorgehen, aber deswegen klingen die Songs noch lange nicht ausrechenbar. Für „More Than a Feeling“ hat diese besondere Konstellation von Charakteren großartige Songs ersonnen. „Das Projekt Goldene Zitronen ist künstlerisch ein sehr elementares Ding, weil, das haben wir gelernt, das ist eine sehr eigene Kombination“, erklärt Ted Gaier.

Manchmal kafkaesk

Wie Alfred Hitchcock in seinen Filmen taucht die Band auch mal selbst in ihren Songs auf. „Bleib bei mir“, zusammen mit Sophia Kennedy, ist sogar eine Art Liebeslied mit dem Gesang von Kamerun und Kennedy. Und „Die alte Kaufmannsstadt, Juli 2017“ ist ein Song über die Riots beim Weltwirtschaftsgipfel in Hamburg, die in der direkten Nachbarschaft der Band derbe Verwüstungen angerichtet haben.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Selbstkritisch besingen die Zitronen darin die Streitigkeiten innerhalb der linken Szene und ihre eigene Involviertheit als Vorband bei der Demo „Welcome to Hell“ sowie das verheerende Bild der Gewalt­exzesse, das medial genüsslich ausgeschlachtet wurde. „Wir urteilen auch im Namen unseres Zweifels, selbstreflektierend und ausprobierend. Texte müssen erst mal durch Instanzen, wir diskutieren sie zuerst, dadurch werden sie besser“, schildert Kamerun die Mühsal, mit der sich die Goldenen Zitronen beim Komponieren konfrontiert sehen.

Obwohl die Hamburger weniger poltern und draufhauen als früher, klingen die neuen Songs deshalb nicht weniger dringlich. Manchmal schalten sie aber um auf Kafkaesk. „Du sieht aus wie Katakombe / Dein Look ist nicht gerade Bombe“ als Refrain zu einem Song, der dokumentarisch montiert, wie sich der irrational verängstigte Zorn im Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Modus Bahn bricht, geht nur, weil ihn die Zitronen auch so hysterisch durchgeknallt singen.

Bundesdeutsche Befindlichkeiten

Auch das Lokalkolorit wird sehr bewusst gepflegt. Ihr stomping ground St. Pauli hat sich von einem der ärmsten Viertel Europas Anfang der Achtziger zu einem poshen Hipsterort gewandelt. „Wir sind da Protagonisten und haben mit den Orten zu tun, über die wir singen. Und wissen, dass Gentrifizierung auch ambivalent ist, das haben wir reflektiert. Wir sind gute Beispiele für etwas. Auch was unsere Biografien anbelangt, mit den Inhalten, in den Themen, mit denen wir umgehen, die sich teilweise gedreht haben“, erklärt Kamerun.

„More Than a Feeling“ verhandelt mit Fake News, Xenophobie und bigotter bürgerlicher Empörung Themen, die eigentlich schon reichlich diskutiert sind. Besonders wird die Verarbeitung aber durch das dialektische Pingpong-Spiel, wie es die Zitronen diesmal an den Tag legen. Bundesdeutsche Befindlichkeiten haben die Band schon immer elektrisiert. Wahrscheinlich sind das Unversöhntsein mit den herrschenden Verhältnissen und die Wut über das Spießertum Raison d’Être der Zitronen.

Dass sie es sich in ihrem Zorn nicht zu gemütlich machen, beweist der selbstironische Song „Das war unsere BRD“, darin werden Allgemeinplätze, Farbabstufungen und Gesellschaftsmodelle nach altem Brauch des Punk beerdigt. „Als jemand, der sich für Irritationen interessiert, für Anwendungen davon, in der Kunst und auch darüber hinaus, finde ich Punk wunderbar und es lässt sich auch als eine Methode begreifen.“ Eine Bürde ist Punk für die Zitronen natürlich auch, aber es gibt weit schlimmere Bürden. Raser zum Beispiel.

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