Handball-WM und die Deutschen: Schlandball, Schlandball über alles!

Handball-WM in Deutschland: Wenn Kartoffeln ausrasten und sich selbst fürs Hutbürgern nicht zu schade sind. Ein Spielverderber-ABC.

Ein Handballspieler macht ein Selfie vor Fans

Selfie-Rot-Gold: Uwe Gensheimer und einige Hutbürger Foto: dpa

Alternative für Fußball (AfF): Goldene Steaks à la Ribery kommen bei den Handballern nicht auf den Teller. Bob Hanning, der Vize-Präsident des Deutschen Handball-Bundes, hat kurz vor der WM das volksnahe Programm der AfF vorgestellt. Sein Versace-Sweatshirt mit goldenen Verzierungen und Leopardenmotiv, das er tags darauf trug, diente auch lediglich einem handfesten Zweck: Druck von der Mannschaft nehmen.

Bommes, Alexander: Nach deutschen Siegen lächelt kaum einer glückseliger als der ehemalige Handball-Bundesligaspieler und heutige ARD-Handballjournalist. Zudem ist er ein bekennender Liebhaber der deutschen Nationalmannschaft, wofür er von dieser zurückgeliebt wird. Kumpelgespräche nach jeder Partie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Näher kommt man an keine Sportart ran (▶ AfF ).

Chemie: Bei der Fußball-Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer fiel die Amoniak-Schnüffelei beim russischen Team unter die Rubrik Dopinggerüchte. Als Beleg des deutschen Ideenreichtums wird dies derzeit bei den deutschen Handballern verhandelt. Macht wach und ist nicht verboten. Echt pfiffig, die Jungs.

Darts: Die deutschen Handballer lieben noch einen anderen großen Sport. Die Dartscheibe im WM-Quartier, so hört man, wird häufig ins Visier genommen. Zielen ohne Zerren und Ziehen, das ist fast so gut wie die Alternative zum Fußball.

Einkommen: Die Sport-Bild hat die Tage enthüllt, dass selbst dieser Tischtennis-Heini Dimitrij Ovcharov und der Volleyball-Sonderling Georg Grozer mehr verdienen als Deutschlands größte Handball-Ikone Uwe (▶) Gensheimer. Ganz zu schweigen vom jüngsten und ärmsten Nationalspieler Franz Semper, der mit 10.000 Euro im Monat über die Runden kommen muss. Auch das stellt Volksnähe her.

Fairplay: Das ist im Handball ein Fremdwort. Die Spieler raufen und bohren im Zweifel schon mal einen Finger ins Nasenloch des Gegners. Die Fans pfeifen, wenn die Gegner der Deutschen den Platz betreten und können es kaum an sich halten, wenn die Hymne des Gastes erklingt. So viel Hass ist selten.

Gensheimer, Uwe ist ein deutscher Handballspieler, einer der besten. Er spielt in Frankreich bei Paris Saint Germain. Auf Linksaußen könnte er zum deutschen Star der WM werden. Ein anderer Starkandidat ist Keeper Andreas Wolff. Den kennen viele, weil er schon einmal Losfee für den DFB-Pokal spielen durfte.

Heimvorteil: Der WM-Gastgeber kommt mindestens ins Halbfinale – egal, wo das Turnier stattfindet. Siehe Tunesien 2005 und Katar 2017. Der Veranstalter kann den Spielplan so gestalten, dass die Heimmannschaft mehr spielfreie Tage hat als die Gegner. Den Rest erledigen die (▶) Referees und die (▶) Klatschpappe.

IHF: Die internationale Handball Föderation hat alles, was einen modernen Sportverband ausmacht. Er gebiert sich philantropisch und hat einen Präsidenten, der schon des Öfteren unter schwerem Korruptionsverdacht stand. Verbandspräsident Hassan Moustafa kassiert üppige Beraterhonorare für nichts und schaut schon mal weg, wenn Schiedsrichter auf absurde Weise eine Gurkentruppe (Kuwait) zu Olympia pfeifen. Der Handball muss sich hier gewiss nicht vor dem Fußball verstecken.

Wann ist ein Foul ein Foul? Weiß keiner. Im Zweifel pfeifen die Schiris die Heimmannschaft zum Sieg

Jungs: Vor drei Jahren firmierte das deutsche Team bei der erfolgreichen EM in Polen noch unter dem Label „bad boys“. Klang irgendwie nach Rockband. Nach der Katastrophen-EM letztes Jahr in Kroatien musste man sich neu erfinden. Allenthalben wird nur noch von den „Jungs“ gesprochen. Klingt irgendwie bodenständig.

Klatschpappe: Der gefaltete Karton, mit dem sich so schön rhythmisch Krach machen lässt, macht die WM zum lautesten Musikantenstadl, seit es Karl Moik nicht mehr gibt.

Liedgut: Nach jedem Tor, in jeder Auszeit, in jeder noch so kleinen Pause schallt das pure Grauen durch die Hallen. Unbestrittener Tophit: „Ladi, Ladi, Ladi, Ladiooooh“, der Song, mit dem ein Mann namens Peter Wackel zu einer wahren Ballermannberühmtheit geworden ist.

Meinungsfreiheit: Die Handball-WM wird von einer gesellschaftlichen Debatte begleitet. Dürfen Sportler sagen, was sie denken oder riskieren sie am Ende gar den Verlust eines Sponsorenvertrags. Deutschlands Handball-Ikone Stefan Kretzschmar sieht in diesem Zusammenhang die Meinungsfreiheit bedroht. Schlimm.

Nationalhymne: Zu Beginn jeden Spiels erfreuen sich die Fans in den sozialen Medien, dass die Deutschen alle so schön und fast alle inbrünstig die Hymne mitsingen. Da muss Deutschland doch Weltmeister werden.

Olympia: Weil das deutsche Team sicher bei dieser WM zwischen Platz zwei und sieben landen wird, darf man an den Qualifikationsturnieren für die Olympischen Spiele in Tokio 2020 teilnehmen. Und weil Deutschland seinen riesigen Handballhunger entdeckt hat, ist die Bewerbung für die Gastgeberrolle dabei schon fast auf dem Weg.

Patriotismus: Comeback of the Hutbürger. Wer dachte, der schwarz-rot-goldene Sonnenhut sei als Fanartikel nach diesem Sommer des Nationalismus ein wenig verbraucht, hat sich getäuscht.

Quote: Gegen Kroatien erzielten die Handballer die Rekordmarke von 10,02 Millionen Zuschauern an den Fernsehschirmen. DHB-Vize Hanning träumt derweil vom totalen Triumph: „Wenn wir einen Marktanteil von 30 Prozent haben, dann frage ich mich immer – was machen die anderen 70 Prozent?“

Referees: Mit denen gibt es immer Ärger. Das hat Hassan Moustafa, der Präsident der (▶) IHF, zu Beginn des Turniers schon festgestellt. In kaum einer anderen Sportart haben die Schiedsrichter so viel Einfluss auf das Spiel. Wann ist ein Foul ein Foul? Das weiß keiner. Im Zweifel pfeifen die Schiris die Heimmannschaft zum Sieg. Bei der WM 2007 ist Deutschland so auf absurde Weise Weltmeister geworden.

Sportpalast: Das deutsche Publikum wird auf derart aggressive Weise vom Hallensprecher aufgepeitscht, dass finstere Assoziationen naheliegen.

Taktik: Natürlich gibt es Systeme. Aber wen interessiert schon, wann das Team von einer 6-0-Verteidigung auf 3-2-1 umstellt? Hauptsache die (▶) Jungs kämpfen und siegen. Von Handball versteht eh keiner etwas.

Überwachung: Der verpflichtende Lauschangriff bei den Auszeiten lässt uns TV-Zuschauer ganz nah an das deutsche Team rücken. Wir bekommen genau mit, was Böhmi, Fabi, Pauli und Kohli machen müssen, damit Gense am Ende den Ball bekommt. Bei so viel Vertrautheit vermehrt sich die Handball-Familie im Nu.

Volkssport: Handball ist der Sport für wahre Kartoffeln. Er hat in Deutschland kaum Migrationshintergrund.

Weltsport: Fußball wird überall gespielt, Basketball fast überall geliebt. Spitzenvolleyvball gibt es in Asien, Amerika und Europa. Beim Handball ist das anders: Alle bisherigen Weltmeister kommen aus Europa.

X-Box: Handball auf der Konsole? Gibt’s. „Handball 17“ ist für 12,99 Euro bei Saturn zu haben. Es soll Menschen geben, die das spielen.

Young Shin Cho: Mithilfe des südkoreanischen Trainers schrieb der Handball in Deutschland Weltpolitik. Der Coach dirigierte ein vereintes koreanisches Team und nahm sich dabei offenbar die deutsche Vereinigung zum Vorbild. Den vier Nordkoreanern wies er Statistenrollen im stärkeren südkoreanischen Tross zu.

ZDF: Das Zweite Deutsche Fernsehen hat fast keine Kosten gescheut, um das WM-Finale am Sonntag um 17.30 Uhr live aus Herning (Dänemark) zu übertragen. Wir sind schließlich Handball. Für einen ganz besonderen Fall wies das ZDF allerdings auf eine mögliche Programmänderung hin. Sollte das Team von Christian Prokop nicht ins Endspiel kommen, beschränkt sich das ZDF auf das Spiel um den Dritten Platz. Wir sind schließlich Deutschland.

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