Projekt „Housing First“ in Hannover: Liegen gelassen

Die Stadt Hannover hatte ein Projekt angekündigt, um Obdachlose in Wohnungen unterzubringen. Was ist daraus geworden?

Ein Schlafplatz von Obdachlosen unter einer Brücke in Hannover.

Ihre Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt liegen bei null: Obdachlose in Hannover Foto: dpa

HANNOVER taz | Monatelang hat der Rat der Stadt Hannover auf das Konzept der Verwaltung gewartet. Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP will ein Housing-First-Projekt in der Stadt starten, also Wohnungen anbieten, in die Obdachlose ziehen können, ohne wie bisher erst zeigen zu müssen, dass sie wohnfähig sind.

Sucht, psychische Probleme oder Schulden lassen sich leichter bearbeiten, wenn man erst einmal ein sicheres Zuhause hat, so der Ansatz. Die Verwaltung sollte nun aufzeigen, wie das Projekt in Hannover umgesetzt werden kann. Noch vor der Sommerpause sollte das Papier vorliegen, aber die Verwaltung verschob den Termin – bis in den Dezember.

Das, was nun tatsächlich in der Drucksache steht, nennt die grüne ­Ratspolitikerin Katrin Langensiepen „eine maximale Enttäuschung“. „Es ist wirklich ernüchternd, dafür, dass das so lange gedauert hat.“ Denn die ­Stadtverwaltung hat in ihrem Konzept keine einzige mögliche Fläche, kein Haus oder auch nur Wohnungen identifiziert, die sich für Housing First eignen würden.

Der Fachbereich Soziales verfüge nicht über eigene Objekte und auch durch mögliche Kooperationspartner, die man angesprochen habe, sei keine Liegenschaft gefunden worden, heißt es in dem Papier, das sich „Niedrigschwelliges Wohnangebot für Wohnungslose“ nennt.

Housing First ist ein alternativer Ansatz, um Obdachlosigkeit zu bekämpfen.

Normalerweise bekommen Wohnungslose in städtischen Notunterkünften einen Platz. Eine eigene Wohnung bekommen sie erst, wenn sie beweisen, dass sie sich als wohnfähig erwiesen haben. Sie müssen etwa Suchterkrankungen behandeln oder sich um ihre Schulden kümmern.

Neu an Housing First ist, dass die Betroffenen zuallererst eine Wohnung bekommen und in der ruhigen, stabilen Umgebung dann von Sozialarbeitern unterstützt werden, wenn sie dies möchten.

Das Konzept wurde erstmals 1988 in Los Angeles, Kalifornien, ausprobiert. Mittlerweile gibt es solche Projekte auch in Wien, Berlin und Helsinki. Der Rat der Stadt Hannover will ebenfalls ein Modellprojekt einführen.

Zudem gebe es in Hannover bereits Angebote, die mit einer ähnlichen Ausrichtung arbeiteten: Die Soziale Wohnraumhilfe vermiete beispielsweise 178 öffentlich geförderte Wohnungen in Hannover, Burgdorf und Langenhagen an Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht seien. Sozialpädagogische Betreuung gebe es dort auch. Die Verwaltung wirft deshalb „die Frage auf, ob die Umsetzung eines Projektes Housing First in Hannover erforderlich ist oder ob der Ausbau bestehender Projekte der sinnvollere Weg sein könnte“.

Dirk Machentanz von der Gruppe Linke/Piraten im Rat der Stadt Hannover hält diese Haltung für „eine komplette Missachtung der mehrheitlichen Ratspolitik“. Es sei die Aufgabe der Verwaltung, die Beschlüsse des Rates umzusetzen. Zudem sei die Annahme, Housing First könne überflüssig sein, eine komplette Fehleinschätzung. „Wenn das so wäre, würde es keine Obdachlosen auf der Straße geben“, sagt Machentanz.

Linke und Piraten haben selbst bereits schon ein grobes Konzept von Housing First vorgelegt. Sie stellen sich darin vor, dass das städtische Wohnungsunternehmen Hanova ein Gebäude mit 15 bis 25 Wohneinheiten bereitstellt, in dem es auch einen Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss geben soll. Notwendige Umbaumaßnahmen sollen durch die späteren Bewohner unter Anleitung selbst vorgenommen werden. „Die Obdachlosen müssen die Möglichkeit bekommen, selbst ihre Wohnung zu gestalten“, so Machentanz. Der Ratspolitiker kritisiert, dass das Housing-First-Projekt nun gar nicht im Haushalt von 2019 vorkommt. „Es war ein Fehler, den Haushalt so zu beschließen“, sagt Machentanz.

Und auch die Grüne Langensiepen ist darüber unglücklich. „Wir hätten gern Geld eingestellt, aber das war nicht machbar“ – so ganz ohne Konzept oder genaueren Plan, sagt sie. „Das macht die Arbeit als ehrenamtliche Abgeordnete nicht leichter.“

Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Robert Nicholls, sieht in dem Konzept der Verwaltung hingegen „gute Grundlagen“. Der Fachbereich Soziales habe bereits Gespräche mit der Region Hannover, Unternehmen der Wohnungswirtschaft sowie Trägern der Wohnungslosen- und Suchthilfe geführt. „Das begrüße ich, weil es das Bewusstsein herstellt, dass hier Handlungsbedarf besteht“, sagt Nicholls.

Steigende Baukosten

Housing First sei nach wie vor ein sinnvoller Ansatz. Nun sei die Politik gefragt, um aus den Erkenntnissen einen Antrag für ein Modellprojekt zu formulieren. „Angesichts der Realitäten auf dem Wohnungsmarkt macht es nur bedingt Sinn, zu glauben, das macht jetzt allein die Stadt“, sagt der SPD-Ratspolitiker.

Aufgrund steigender Baukosten sei es unwahrscheinlich, dass die Stadt Hannover selbst ein Haus bauen könne. Die Stadt brauche Partner. Nicholls hofft, dass die Bauverwaltung in Kooperation mit der Wohnungswirtschaft eine Immobilie findet.

„Ich hoffe, dass wir mit dem Modellprojekt im kommenden Jahr starten können“, sagt Nicholls. Konkrete Pläne, um Obdachlose von der Straße direkt in eine eigene Wohnung zu bringen, sind das noch nicht.

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