piwik no script img

Die K-Gruppen: Massenparteien ohne Proletariermassen

Rund 100.000 Schüler, Studenten und junge Arbeiter organisieren sich in den „roten siebziger Jahren“ in der KPD/ML, der KPD/AO, dem KBW, dem KABD und Dutzenden ihrer jeweiligen Abspaltungen. Die meisten von ihnen nur eine kurze Zeit, ein paar Tausend jedoch einige Jahre, wie der Verfasser dieser Zeilen.

Neben dem Fixstern China orientieren die K-Gruppen ihr revolutionäres Weltbild vor allem an der Vergangenheit. Wir versetzten uns zurück in die Kämpfe der Kommunisten in den zwanziger und dreißiger Jahren, saugten unsere Weisheiten aus Maos Schriften aus den vierziger Jahren („Dem Volk dienen“), prangerten den ­„revisionistischen Verrat“ der Sowjetunion in den Fünfzigern an, als wäre alles gestern gewesen.

Wir ahmten die kommunistischen Massenparteien der Vergangenheit bis ins letzte Detail nach – vom Zentralkomitee bis zur Betriebszelle. Und wollten ihre Kämpfe noch einmal schlagen, um ihre Niederlagen nachträglich in Siege zu verwandeln. Und weil es an Arbeitern fehlte, um die vielen selbsternannten Proletarierparteien zu füllen, wechselten Hunderte von Abiturienten und Studenten in die Betriebe. Selbst das Gepränge der Demonstrationen und Versammlungen, die Aufmachung der Wochenzeitungen Rote Fahne und Roter Morgen sowie einige Hundert Betriebszeitungen mit so schönen Namen wie Der rote Kanthaken oder Westfalenwalze bezogen ihre knallrote Ästhetik aus den dreißiger Jahren.

Niemals zuvor und niemals wieder nach den K-Gruppen wurde in der deutschen Linken so viel Papier beschrieben und bedruckt wie damals. Niemals wurde so viel theoretisiert wie damals – und niemals so vollkommen fruchtlos. Die Wahrheit suchten wir nicht in der Wirklichkeit, sondern in der Exegese toter Buchstaben. Die Klassiker des Marxismus-Leninismus sollten die Anleitung zum Handeln liefern. Und weil sie vielfältig interpretierbar waren, lieferten sie unendlichen Anlass zum Streit und zur dauernden Spaltung.

Obwohl sich alle K-Gruppen in ihren autoritären Deformationen ähnelten wie ein Ei dem anderen, bekämpften sie sich gegenseitig doch bis aufs Messer. Es herrschte die Psychologie von Sekten: Wer nicht bei uns ist, der ist gegen uns.

Als der Spuk in den achtziger Jahren vorbei war, blieb als Erbe der K-Gruppen buchstäblich: nichts. Bernd Ziesemer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen