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Kommentar Asylrecht in der EUMauern als Vision? Bitte nicht!

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Friedrich Merz tut mit seinem Vorschlag zu einer Reform des Grundrechts auf Asyl so, als wäre das vernünftig. Dabei ist sein Vorstoß höchst populistisch.

Eine Mauer bauen, um Menschen draußenzuhalten? Come on! Das ist so Trump Foto: dpa

D ie Gründerväter und -mütter der Bundesrepublik schrieben nach dem Zweiten Weltkrieg sehr bewusst das Grundrecht auf Asyl in die Verfassung. Es ist eine Lehre aus der Nazizeit und den fürchterlichen Erfahrungen von JüdInnen, die damals versuchten, vor dem Hitler-Regime zu fliehen. Dass Friedrich Merz dieses Grundrecht im Wettbewerb um ein Parteiamt schleifen möchte, ist schäbig – und es sagt einiges über den Kandidaten.

Zynisch könnte man entgegnen, Merz' Vorschlag sei doch realistisch. Schließlich wurde das Asylrecht im Jahr 1993 entkernt. Seither gilt die Drittstaaten-Regelung: Wer über ein EU-Land oder einen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, kann sich nicht mehr auf das Grundrecht berufen. Die meisten Flüchtlinge genießen deshalb keinen Schutz mehr nach deutschem Asylrecht, sondern nach der Genfer Flüchtlingskonvention, die Deutschland unterschrieben hat.

Leuchtete der Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ früher wie eine Fackel, glimmt im Grundgesetz heute nur noch eine Kerze. Sie aber sang und klanglos zu löschen, wie es Merz möchte, wäre dennoch falsch. Merz tut so, als orientiere er sich an der Vernunft, doch in Wirklichkeit ist sein Vorstoß populistisch. Er erweckt den Eindruck, es gebe ein besonderes Problem, weil sich Deutschland als einziges Land das Individualrecht auf Asyl leiste.

Das ist falsch, weil kaum noch ein Flüchtling Schutz durch das Grundrecht auf Asyl bekommt. Außerdem ist Deutschland eben nicht der einzige Staat, der politisch Verfolgten hilft; die Genfer Flüchtlingskonvention haben über 140 Staaten unterschrieben.

Er will den deutschen Mindeststandard aufgeben

Merz‘ nächste Anleihe bei den Populisten ist, dass er sich um Details und Umsetzbarkeit nicht schert. Wie genau sähe denn sein Konzept eines eu­ro­päi­schen Asylsystems aus? Das bestehende spaltet die EU seit Jahren, die asylrechtspolitischen Vorstellungen des ungarischen Autokraten Viktor Orbán lassen sich an der Grenze zu Serbien beobachten: Dort steht ein Stacheldrahtzaun, Grenzschützer sollen Flüchtlinge misshandeln und gewaltsam abschieben.

Ein Asylsystem, das Menschenrechte auch nur einigermaßen schützt, ist in Europa nicht in Sicht. Merz schlägt also vor, den deutschen Minimalstandard aufzugeben, um die Latte noch niedriger zu legen. Ungarn als Vision? Bitte nicht.

Merz stellt das Asylrecht in Frage, Spahn will den UN-Migrationspakt nochmal in aller Ruhe diskutieren. Im Moment ist ein Überbietungswettbewerb zu beobachten, bei dem sich beide auf Kosten der Schwächsten profilieren. Und sie nehmen in Kauf, die Rechten zu stärken, indem sie deren Themen und Zerrbilder übernehmen. Für den künftigen Kurs der CDU lässt das nichts Gutes hoffen.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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8 Kommentare

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  • Es gibt monatlich ca. 16000 Asylanträge. Die werden nur von Menschen gestellt, die es irgendwie bis an die deutsche Grenze geschafft haben - Survival of the fittest/überwiegend junge Männer.

    Man sollte vielleicht mal ernsthaft darüber nachdenken, ob es nicht bessere und gerechtere Möglichkeiten gibt, Flüchtlingen zu helfen als das derzeitige deutsche Asylsystem. Z.B. Länderquoten mit Einreisevisa, die im Heimatland erteilt werden.

  • Hmm?.. das Thema Asylrecht und Migration ist m.E. zu sehr `begrenzt´und MUSS (!) .. und sollte- im Lichte der Tatsachen das es mehr und mehr Klimaflüchtlinge gibt - , Neuformuliert werden ! Aus den mehr und mehr unbewohnbaren tropischen Regionen werden noch viel mehr Migranten kommen , die im Norden Schutz und Überleben suchen ! Die bisherigen hässlichen Klassifikationen der eigentlichen Klimaflüchtlinge als "Armutsflüchtlinge" ist m.E. zutiefst inhuman !



    ..ist irgendwie seltsam wie die herrschende Politik sich in althergebrachter provinzieller Denklogik windet und die Folgen der globalen Klimaveränderung kleinredet..



    Mit populistischen Slogans, oder mit Ökonomie und Militär lässt sich die Klimakatastrophe nicht abwenden !



    Humanes ökologisches Umdenken! JA DANKE !

  • Herr Merz schafft mit seiner Tätigkeit bei Blackrock wahrscheinlich für viele Menschen Lebensumstände die Fluchtursachen aus wirtschaftlichen Gründen befördern.



    Selbst gehört er zum allerobersten "Mittelstand" - dann wirds Zeit für eine gated community um das wohlverdiente für sich zu sichern.



    Ein toller Mann, aber das war er schon immer.



    Für die links der Mitte positionierten Parteien könnte es in der Summe aber positiv werden, wenn die Herren Span und März nach rechts rudern und die Mitte wieder "entmerkelt" wird.

  • Friedrich Merz meint, er gehört zur Mittelschicht, weil er "von seinen Eltern Werte mitbekommen [hat], die die Mittelschicht prägen: darunter Fleiß, Disziplin, Anstand, Respekt und das Wissen, dass man der Gesellschaft etwas zurückgibt, wenn man es sich leisten kann".

    Ich finde interessant, dass dazu nicht Nächstenliebe, Mitleid, Barmherzigkeit, Karitas, Mäßigung oder Wohlwollen zählen.

    Hierbei handelt es sich, soweit ich weiß, auch um christliche Werte bzw. Tugenden.

    Und wie steht es mit den Werten des Grundgesetzes?

    Art. 1 Abs. 1 GG:

    Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

    Art 1 Abs. 3 GG:

    Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

    Art 2 Abs. 2 Satz 1 GG:

    Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

    Art 2 Abs. 2 Satz 2 GG:

    Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

    Auf Asyl hat sowieso nur Anspruch, wer politisch verfolgt wird - wobei Staaten, die jemanden politisch verfolgen, regelmäßig dazu neigen, diejenigen, die sie politisch verfolgen, wenn sie derer habhaft werden, der Freiheit zu berauben, die körperliche Unversehrtheit zu verletzen oder ihnen das Leben zu nehmen.

    Wie ließe es sich mit den grundlegendsten Werten unseres Grundgesetzes vereinbaren, Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, diesen zu verwehren, wenn das unter Umständen bedeutet, dass sie aufgrund politischer Verfolgung der Freiheit beraubt werden, ihre körperliche Unversehrtheit verletzen oder ihnen das Leben zu genommen wird?

  • Anschließe mich - aber bitte vor der eigenen Tür - Kehwochen!



    Dank im Voraus.

    Ihrs - geht ok.



    “Er will den deutschen Mindeststandard aufgeben



    Merz‘ nächste Anleihe bei den Populisten ist, dass er sich um Details und Umsetzbarkeit nicht schert. Wie genau sähe denn sein Konzept für ein europäisches Asylsystem aus? Das Thema spaltet die EU seit Jahren, die asylrechtspolitischen Vorstellungen des ungarischen Autokraten Viktor Orbán lassen sich an der Grenze zu Serbien beobachten: Dort steht ein Stacheldrahtzaun, Grenzschützer sollen Flüchtlinge misshandeln und gewaltsam abschieben.…“

    Aber - Däh! - las sich‘s gehört in der taz - von einem prom.Volljuristen - bereits so:



    ”.…Wahrscheinlich wäre es für den politischen Diskurs transparenter gewesen, das deutsche Grundrecht auf Asyl ganz abzuschaffen, als es nur auf einen kümmerlichen symbolischen Rest einzuschränken…“



    So - ja ja - der Herr Vorläufer di taz - der feine Herr Christian Rath! Newahr.



    Doch Doch - nicht to glöben - aber hier: www.taz.de/!5526877/

    Als ich diese - öh These im Kollegenkreis kundtat.



    (Alle AsylR-erfahren - weil in Kölle am VG - machts jeder.)



    Allgemeines fassungs-ratloses Kopfschütteln & nur mal dess:



    “Hat der sie noch alle? Und wenn uns die EU um die Ohren fliegt?!



    Wer will das wissen! Stehn wir ohne jeden Standard da.



    Diese Republik - die dank des Grundgesetzes post WK II.



    Mit dem höchsten Level gestartet ist!“ Eben. Kurzsichtiger geht nicht!



    & weiterhin gilt -



    Der Satz des Verfassungsrichters Jürgen Kühling.



    Anläßlich der Schleifung von Art 16 GG 1992/93 .



    “Wir schaffen ohne Not eines der! Grund&Menschenrechte unserer Verfassung ab - nur weil wir schlecht organisiert sind!“ im Spiegel-Interview.



    Liggers. Gilt weiterhin. Newahr.



    Normal.

  • MERZ LEBT IN EINEM DOPPELT HERMETISCH ABGERIEGELTEN TAL DER AHNUNGSLOSEN:

    SAUERLAND PLUS HOCHVERDIENER-EXKLAVE

  • Trotzdem finde ich die Äußerungen des Herrn Merz gut, wenn man sie als Denkanstoß für weitere Diskussionen zum Thema Migration verstehen will. Und nur dann!



    Und das Diskussionsbedarf besteht, erkennt man an der Vielzahl der Artikel, die täglich darüber berichten. Es ist alsö wohl nicht so, dass die Menschen " da draußen" genug davon haben, ganz im Gegenteil.



    Und was ist eigentlich so schlimm daran, den Migrationspakt noch einmal zu diskutieren? Auch der scheint "die da draußen" zu interessieren. In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu erfahren, warum Staaten wie Amerika, Australien oder Österreich nicht unterschreiben werden, andere wie Dänemark, Belgien oder auch Schweden Nachbesserungen fordern.

    • @Hans-Georg Breuer:

      aber wir wollen jetzt doch bitte mal nicht so tun, als ginge es den beiden Herren hier um Aufklärung und Diskussion. Es geht beiden um einen Überbietungswettbewerb in Sachen: "Wer ist der Rechtskonservativere"



      Unglücklich bin ich zwar nicht darüber, dass die ach so charmante Maske gleich wieder Risse bekommt, aber dass wieder die Stammtischparolen bedient werden und damit dazu beitragen Fremdenhass noch mehr gesellschaftsfähig zu machen, das bekümmert mich dann doch.



      Aber mei, wir werden das nicht aufhalten und können nur hoffen, dass es einem Herrn Merz (Spahn wird's wohl nicht werden) ebenso geht wie der CSU in Bayern.