Rhetorik der US-Rechten: Die Pornifizierung der Politik
Linke in den USA sprechen über Pornografie höchstens als Problem. Die Neue Rechte hingegen versucht sie für Politik und Stimmenfang gezielt zu nutzen.
Wer ein großer amerikanischer Präsident werden will, braucht einen Satz als Markenzeichen. „Ich bin ein Berliner“, ruft John F. Kennedy 1963 vor dem Schöneberger Rathaus. 24 Jahre später, Ronald Reagan am Brandenburger Tor: „Mister Gorbatchow, tear down this wall!“ Obama sagt bei jeder Gelegenheit „Yes we can!“ Und sein Nachfolger? „You can grab them by the pussy.“ Behauptet Donald Trump schon vor seiner Wahl. Gewählt wird er trotzdem. Trump hat ein rassistisches Programm? Gewählt wird er trotzdem.
Trotzdem? Ta-Nehisi Coates widerpricht. In seinem aktuellen gefeierten Buch „We were eight years in power – eine amerikanische Tragödie“ weist der afroamerikanische Autor mit vielen Zahlen nach, dass Trump nicht trotz, sondern wegen seiner rassistischen Politik gewählt wurde. Für Coates ist Trump der erste weiße Präsident der USA, nach acht Jahren Obama vertritt er eine explizit weiße Agenda. Und eine maskulinistische, hat er doch die erste Präsidentin verhindert.
Geholfen hat ihm Steve Bannon, Drahtzieher im Wahlkampf und zentrale Figur der Alt-Right, der Neuen Rechten in den USA. Auf seiner Werbetour für eine vereinigte Rechte in Europa verkündet Bannon beim Front National: „Sie nennen dich Rassist? Sie nennen dich xenophob? Dann trag’ es wie ein Ehrenabzeichen!“
Wie ein Ehrenzeichen tragen Männer wie Trump und Bannon ihren Glauben an die Überlegenheit des männlichen Geschlechts und der weißen „Rasse“. „White supremacy hatte schon immer eine perverse sexuelle Note“, schreibt Ta-Nehisi Coates. „Insofern passt es, dass Trumps Aufstieg von Steven Bannon begleitet wurde, einem Mann, der seine männlichen weißen Kritiker als ‚cucks‘ verhöhnt.“
Cucks ist abgeleitet von „Cuckold“, einer altertümlichen Bezeichnung für den „gehörnten Ehemann.“ Im Dictionary ist cuck ein „Fotzenknecht“. Einer, der Gefallen daran findet, wenn seine Frau vor seinen Augen Sex mit einem anderen Mann hat. Dabei wird unterschieden zwischen der masochistischen Version – der Mann genießt die Demütigung – und dem dominanten „Alpha Cuckold“, der bestimmt, wann seine Frau mit wem Sex hat.
„Cuckold“ in der Pornografie
In der Pornografie erfreut sich die Kategorie „Cuckold“ seit Jahren wachsender Beliebtheit und ist „in der Regel rassistisch aufgeladen“, so die Autorin und Alt-Right-Expertin Veronika Kracher: „Eine weiße Frau wird von als triebhaft inszenierten schwarzen Männern penetriert, während der ebenfalls weiße Ehemann dies fasziniert verfolgt.“
Allerdings boomt auch eine Cuckold Porn-Variante, in der der weiße Ehemann eher beängstigt als fasziniert zuschaut, wie seine weiße Frau von einem BBC gefickt wird. BBC steht im durchrassialisierten Porn-Vokabular für Big Black Cock. Dank der pornotorischen Angst des weißen Mannes vor der Potenz des Schwarzen ist im Grunde jeder Black Cock ein Big Cock. Der in seiner Männlichkeit verunsicherte weiße Cuck wird von der Alt-Right politisch aufgeladen, „zum geflügelten Wort“, so Veronika Kracher.
„Die Figur Cuck wird umgangssprachlich verwendet, um einen schwächlichen Mann zu bezeichnen – einen jämmerlichen, verweichlichten, kurzum: effeminierten, unrichtigen Mann. Die Bezeichnung spricht dem so Bezeichneten richtige, eigentliche, starke Männlichkeit ab“, sagt Paula-Irene Villa, Soziologieprofessorin in München, Schwerpunkt Gender.
„Cucks werden auch ‚cuckservatives‘ genannt und sind in dieser Rhetorik – etwa bei Steve Bannon – zu sehr an einen vermeintlich feministisch-liberalen Mainstream angepasst, Cucks sind demnach nicht konsequent genug bei der kantigen Formulierung und brachialen Durchsetzung ultra-konservativer oder nationalistischer Werte.“
Die Feindbild-Konstruktion des feministisch-liberalen Mainstreams analysiert Angela Nagle in ihrem Buch „Die digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten“. Die Alt-Right bekämpft einen Mainstream, den sie als „sentimental feminized space“ erlebt. Dagegen helfe nur eine maskuline, grenzüberschreitende, unsentimentale Gegenkultur, eine Transgression von rechts, so Nagle.
Cuck fungiert als Begriffscontainer
Mit der Bezeichnung ‚Cuck‘ wolle Bannon „seine politischen Gegner entmannen und der Lächerlichkeit preisgeben. Der Begriff impliziert, die sogenannten ‚Cucks‘ seien außerstande mit der Virilität und dem Chauvinismus von Donald Trump und seinen Anhängern mitzuhalten“, sagt Veronika Kracher.
Cuck fungiert als Begriffscontainer für alles, was der Feminismus und die angebliche Diktatur der politischen Korrektheit aus dem einst so stolzen weißen Mann gemacht haben: Weichei, Warmduscher, Schattenparker, Sitzpinkler, Schwanzlutscher. Oder „Jammerlappen“ und „Distanzierungs-Muschi“. So nannte der AfD-Politiker André Poggenburg kürzlich parteiinterne KritikerInnen. Der sexistisch befeuerte Antifeminismus der AfD macht auch vor den eigenen Leuten nicht halt.
Aber zurück zum Schwanzlutscher und seiner politischen Orchestrierung von rechts. Eine populäre Spielart des Cuckold-Porn bedient die Angstlust des homophoben Maskulinisten und liefert zugleich ein politisch instrumentalisierbares Narrativ. Im sado-masochistischen Dreieck zwingt die starke weiße Frau ihren schwachen weißen Gatten, den Big Cock des schwarzen Mannes zu lutschen. Dieser lässt es sich gefallen, wenn auch leicht angewidert, hier führt die Frau Regie. Der Gipfel der Erniedrigung: der BBC spritzt auf den Körper der weißen Frau, die ihren Schwächling nötigt, das Sperma abzulecken.
Versuchen wir die Perspektive des homophoben, maskulinistischen Neurechten einzunehmen: Der darf in diesem Szenario schwulen, obendrein als „interracial“ codifizierten Sex besichtigen, auch heimlich genießen, ohne sich schuldig zu machen. Schließlich wohnt er einer Horrorvision bei, einem Sodom und Gomorrha der genderwahnsinnigen Libertinage, „Rassenschande“ inklusive.
Und unser Mann kann sich politisch wie sexuell erheben über den jämmerlichen Cuck. Die Cuck-Darsteller werden nach Stereotyp gecastet: kleiner Schwanz, schwabblig, unbehaart, unsicher, unsportlich, gerne etwas älter, verschwulte, verweichlichte, verweiblichte, entmannte Lachnummern.
Gratis-Opium fürs Volk
Die Genderforscherin Paula-Irene Villa diagnostiziert eine Pornifizierung der Politik, nicht nur in den USA. „Auch an Putin, Berlusconi oder Bolsonaro in Brasilien lässt sich eine Pornifizierung beobachten. Pussy grabbin’ und die obszöne Diffamierung beispielsweise von LGBTQI*-Menschen, aber auch die Bagatellisierung sexualisierter Gewalt. Wird diese politische Logik sexualisiert, wirkt das rasch wie ein handelsüblicher schlechter Porno.“
Hier kommt ein Klassenaspekt ins Spiel. „When they go low, we go high!“ Für dieses Credo bekam Michelle Obama viel Applaus von aufgeklärten Liberalen und Linken. Ihr Markenzeichen-Satz reklamiert die moralische Überlegenheit der Obama-Demokraten gegenüber Alt-Right und Trump. Aber aus high wird schnell Hochmut und die Rechten ziehen sich den Schuh umgekehrt an: „When they go high, we go low!“ So lassen sie die tugendgewisse, auf Political Correctness fußende Kritik an ihrem Lebensstil und ihrer Politik ins Leere laufen.
Wenn der republikanische Präsident Sex mit einem Pornostar hat, dann tut das seiner Popularität keinen Abbruch – im Gegenteil. Wenn er diesem Pornostar öffentlich ein „Pferdegesicht“ bescheinigt, lachen seine Fans.
In linksliberalen Kreisen wird über Pornografie kaum gesprochen, und wenn, dann höchstens als Problem. Anders bei der Neuen Rechten. Da dient Pornografie als Resonanzraum, als Folie. Männer wie Trump oder Bannon tun nicht verschämt so, als wüssten sie von nichts. Sie wissen um Porn und teilen dieses Wissen mit ihrer Klientel, von White Trash bis gediegenes Patriarchat. So tut sich eine Kluft auf: Die einen gehen mit den Obamas high und geben Geld aus für anspruchsvolle Netflix-Serien, die anderen, die niederen Stände gucken Proll-TV und Porno. Gratis-Opium fürs Volk.
Der Politisierung von Sexualität durch Feminismus und antiautoritäre, antipatriarchale Emanzpationsbewegungen setzt die Neue Rechte eine Sexualisierung der Politik entgegen, die wir aus faschistischen und autoritären Regimes kennen. Tanz den Mussolini, Berlusconi, Adolf Hitler und den Putin. Sie wissen, was sie tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut