piwik no script img

Immer Streit um Opa Friedrich

Die Eberts sind eine interessante Familie: Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten einige Nachfahren des ersten Weimarer Reichspräsidenten in der DDR – die anderen im Westen. Enkel Georg, 87, erinnert sich

Im Osten als „Opportunist“, „rechter SPD-Politiker“ und „Verräter“ geschmäht: Friedrich Ebert (1871–1925) mit Frau und Kindern Foto: bpk

Von Thomas Gerlach

Die Enttäuschung ist noch Jahre später zu spüren. Da hatte Georg Ebert zwei Studiengänge in Ostberlin und in Moskau absolviert, hatte einen Lehrstuhl an der SED-Parteihochschule inne, hatte Arbeitslosigkeit und ABM verkraftet – und dann wird er nicht wegen seiner eigenen Geschichte ins SWR-Fernsehen eingeladen. Was bei der Ratesendung „Ich trage einen großen Namen“ wohl auch zum Prinzip gehört. „Die für mich außergewöhnliche Einladung erfolgte aus einem einzigen Grund: Ich bin Enkel eines bedeutsamen Mannes, den ich zu meinem größten Bedauern nie kennengelernt habe: Friedrich Ebert.“

Der Enkel hat lange mit dem Großvater gehadert. Schließlich wurde dieser in Büchern und Zeitungsartikeln der DDR mindestens mit dem Attribut „opportunistisch“ geschmäht. Der so gescholtene „rechte SPD-Politiker“ Ebert verkaufte die Novemberrevolution an Militaristen und Kapitalisten, verriet demnach die revolutionäre Masse und hatte die Morde an Liebknecht und Luxemburg auf dem Gewissen.

Und der eigene Vater trat auch noch als Kronzeuge gegen den Großvater auf: Friedrich Ebert junior, das älteste von Eberts fünf Kindern, hatte sich früh für die DDR entschieden. Der Sozialdemokrat „zog Lehren aus dem Faschismus“– und trieb 1946 die Vereinigung von KPD und SPD zur SED nach Kräften voran. Bald stieg er ins SED-Politbüro auf und regierte von 1948 bis 1967 als Oberbürgermeister „Berlin, Hauptstadt der DDR“. Ab 1960 wohnte er, mit Walter Ulbricht, Erich Honecker und anderen Spitzengenossen als Nachbarn, in der Politbüro-Exklave Wandlitz.

Zum 50. Jahrestag der Revolution ist 1968 im Neuen Deutschland die Instrumentalisierung der Eberts zu besichtigen. „In seiner Rede hob Genosse Ebert hervor, dass in unserem sozialistischen Staat das Vermächtnis der Revolutio­näre von 1918 erfüllt sei“, verkündet der Titel, und auf der letzten Seite ist der Vater, Friedrich Ebert senior, neben Noske und Scheidemann wie auf Steckbriefen abgebildet, Überschrift: „Triumvirat der Verräter“. Georg Ebert war damals 37 Jahre alt und lehrte Politische Ökonomie des Sozialismus an der SED-Parteihochschule. Der ostdeutsche Zweig der Ebert-Familie hatte sich eingerichtet – und der Graben zur Westverwandtschaft wurde immer tiefer.

Reichspräsident Ebert hat mit seiner Frau Louise fünf Kinder. ­Georg und Heinrich sterben 1917 an der Front, Tochter Amalie heiratet, bringt die Söhne Heinrich und Peter zur Welt und stirbt bald darauf mit 31 Jahren. Friedrich junior, der Erstgeborene, und Karl werden in der Weimarer Republik in der SPD aktiv und nach Hitlers Machtübernahme als Söhne des verhassten Reichspräsidenten inhaftiert, Karl im Columbiahaus in Berlin, Friedrich in den KZs Sachsenhausen, Börgermoor und Lichtenburg.

Nach Kriegsende wählt Friedrich Ebert junior die SBZ zu seiner neuen Heimat, Bruder Karl geht nach Heidelberg, in die Stadt seines Vaters, wo er auch seine Mutter Louise wiedertrifft. Karl wird 1946 für die SPD in den Landtag des damaligen Württemberg-Baden gewählt. 1948 wendet er sich gegen den „Missbrauch des Namens meines Vaters“ und geißelt den Machtwillen der SED – ein Angriff gegen Bruder Friedrich in Ostberlin.

Der Kalte Krieg erfasst die Familie

Es ist der junge Georg Ebert, der die Verbindung zur Verwandtschaft im Westen aufrechterhält, insbesondere zur Großmutter. Als Louise Ebert 1955 stirbt, reist der 24-Jährige mit seinem Bruder Fritz zur Beerdigung, derweil Vater Friedrich mit seiner Frau in der Sowjetunion kurt.

Der Kalte Krieg erreicht die Ebert-Familie vollends, als am 17. August 1962 der erst 18 Jahre junge Peter Fechter von DDR-Grenzern angeschossen wird und mitten in Berlin verblutet. In einem offenen Brief klagt der Quick-Reporter Heinrich Jaenecke den Ostberliner Oberbürgermeister an und bricht öffentlich mit ihm. Friedrich Ebert junior ist sein Onkel. Jaenecke, 1928 geboren, ist der Sohn der Ebert-Tochter Amalie.

Nach mehreren Jahren in Argentinien war Jaenecke in die Bundesrepublik zurückgekehrt. Er ist, nach dem Tod seines Onkels Karl, des SPD-Landtagsabgeordneten, der lauteste Kritiker der Ost-Eberts. Jaenecke, Reporter nicht nur bei Quick, sondern später auch beim Stern, ist ein begnadeter Autor, Weltenbummler und – im Gefolge von Henri Nannen – auch ein bisschen Jetsetter. Für Georg Ebert ist der Cousin vermutlich nicht viel mehr als ein „Lohnschreiber des Kapitals“. Der Professor der Parteihochschule arbeitet gelegentlich auch publizistisch, etwa als Koautor der Schrift „Das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus“ oder als Verfasser von Artikeln im Neuen Deutschland, etwa über die Triebkräfte der entwickelten sozialistischen Gesellschaft.

Als 1990 diese Triebkräfte versagen, die DDR untergeht und mit ihr die SED-Parteihochschule, wird Ebert arbeitslos. Doch bald erhält er beim Berliner Kautsky-Bernstein-Kreis eine ABM-Stelle. In diesem Verein sind ehemalige SED-Genossen organisiert, die sich der Sozialdemokratie annähern. Ebert findet Zeit, die Familiengeschichte zu studieren. 1991 überlässt er die Totenmaske seines Großvaters, die Vater Friedrich junior stets im Arbeitszimmer aufbewahrte, der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg – ein versöhnlicher Akt.

Auch familiär setzt Tauwetter ein. Die Cousins Heinrich und Georg nähern sich an. So sehr, dass Georg Ebert 2010 das Verhältnis zu Jaenecke als „sehr eng“ beschreibt. Doch politisch bleiben sie auf getrennten Wegen. 2003 äußern sich beide im Fernsehen zur Agenda 2010: Jaenecke begrüßt die Reformen, während PDS-Mitglied Ebert sie heftig kritisiert.

Heinrich Jaenecke stirbt im Oktober 2014. Georg Ebert, 87 Jahre alt, lebt zurückgezogen am Berliner Stadtrand. Bis 2008 war er für seine Partei im Gemeinderat aktiv.

Thomas Gerlach ist Reporter der taz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen