: Rechts um!
Fast hätte Osnabrück Mut bewiesen: Um den Radverkehr sicherer zu machen, sollte ein Rechtsabbiegeverbot für Lastwagen auf dem Wallring her. Aber das ist jetzt Geschichte
Von Harff-Peter Schönherr
Es war eine radikale Idee, und sie kam von ganz oben. Ein Rechtsabbiegeverbot für LKW auf dem „Wallring“, der die Osnabrücker Innenstadt umgibt? Stadtbaurat Frank Otte ist ein Mann, der keine Visionen scheut.
Rechtsabbiegender LKW, geradeaus fahrender Radfahrer – eine Konstellation, die in Osnabrück schon oft tödlich war. Ottes Lösung: Wenn alle LKW, die von außen auf den Ring treffen, ihn künftig nur noch im Uhrzeigersinn befahren, als Linksabbieger, und nicht gerade innenstädtischer Lieferverkehr sind, können sie ihn auch nur als Linksabbieger verlassen, und dabei hat der Fahrer den kreuzenden Verkehr besser im Blick.
Verkehrsleitungsplanerisch sei das „natürlich sehr komplex“, hatte Otte der taz Ende Dezember 2017 erklärt. „Aber die Zustimmung ist allseitig, von der Politik über die Verwaltung bis zum Speditionsgewerbe.“
Doch dann kam die Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt vom 6. September. Seither steht fest: Ottes Fahrtrichtungssystem ist Geschichte. Sicher, die tödlichen Radfahrunfälle seien „besondere Umstände, die besondere Maßnahmen rechtfertigen“, teilte die Verwaltung mit. Aber ein generelles Rechtsabbiegeverbot sei „weder rechtlich zulässig noch technisch möglich“. Es widerspreche „dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, sofern es „mildere Mittel“ gebe: die bauliche Verbesserung der Radwege entlang des Rings, die Ausweisung von Fahrradstraßen parallel zu ihm, Spiegel an den Ampeln …
Alle 28 Kreuzungs- und Einmündungspunkte waren technisch analysiert, Verkehrsmengen gezählt worden. Auswirkung auf den Busverkehr, neue Gefahrenpunkte durch Verkehrsverlagerungen, Aufnahmekapazität von Linksabbiegespuren … Die Verwaltung hatte sich ins Zeug gelegt.
Am Ende stand ein Beschluss: Unverbindlichkeit statt Verbot. Um die LKW „aktiv zu lenken“, werden die Zufahrtsstraßen zum Wallring „dort, wo es möglich ist“, mit Wegweisern ausgestattet, für „Innenstadt“ und „Fernverkehr“. Das war’s.
„Ein Verbot wäre der große Schnitt gewesen“, sagt Volker Bajus, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Osnabrücker Stadtrat, und schüttelt den Kopf. „Aber dafür ist die Stadt wohl noch nicht reif. Hier herrscht scheinbar immer noch das alte Denken: Hauptsache freie Fahrt für den motorisierten Individualverkehr.“
Die Lösung der Sicherheitsprobleme für Radler sei „eine Schlüsselfrage bei der lokalen Verkehrswende“, sagt er. „Mehr Menschen auf das Rad bekommen wir nur, wenn alle nicht dauernd das Gefühl haben müssen, jede Fahrt am Wall sei ein Höllenritt.“ Die Entscheidung der Verwaltung sei daher „sehr enttäuschend“, sagt Bajus, dessen Fraktion in Sachen Rechtsabbiegeverbot eng an Ottes Seite steht. „Angesichts der realen Gefahr von Menschenleben kommt mir das Argument der ‚Verhältnismäßigkeit‘ absurd vor.“ Aber gegen die Stellungnahme des Rechtsamts lasse sich „aus der Politik heraus keine belastbare andere Entscheidung organisieren“.
Daniel Doerk, Osnabrücks streitbarster Fahrrad-Aktivist und -Blogger kommentiert: „Ich hatte mir schon gedacht, dass so was dabei rauskommt.“ Dass die LKW-Fahrer den neuen Schildern folgen würden, bezweifelt er: „Die fahren doch einfach, wohin das Navi sie führt.“ Die Politik müsse endlich „wirklichen Mut aufbringen“.
Volker Bajus, Die Grünen Osnabrück
Tobias Demircioglu, Kreisverbandssprecher des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD), sieht das genauso: „Höchst bedauerlich. Ich habe mir sehr gewünscht, dass es zu diesem großen Wurf kommt!“ Unverbindliche Schilder? „Was bringen denn diese ganzen freiwilligen Maßnahmen? Die nimmt doch keiner ernst!“
Viele LKW durchfahren Osnabrück. Und nicht alle tun es, weil sie zum Lieferverkehr gehören. „Manche sparen sich eben jeden Kilometer Maut, den sie können“, sagt der Grüne Bajus.
Außerdem führt die B 68 mitten durch die Stadt. Die ortsansässigen Speditionen haben sich zwar verpflichtet, die Innenstadt zu meiden, wenn es um Fernverkehr geht, aber passiert das wirklich immer?
Fest steht: Das Rechtsabbiegeverbot ist tot. „Das ist erst mal ad acta gelegt“, bestätigt Mike Bohne, Fachbereichsleiter Geodaten und Verkehrsanlagen – wohl auch, weil es teuer wäre, Kreuzungsumbauten inklusive.
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