piwik no script img

„Es gibt eine lautstarke Zirkuslobby“

Wenn Zirkusse mit Wildtieren auftreten wollen, fordern Tierrechtler immer wieder Auftrittsverbote. Jost-Dietrich Ort von der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht erklärt, warum das rechtlich nicht so einfach ist und wie es dennoch gelingen kann

Interview Marthe Ruddat

taz: Herr Ort, welche Tiere darf ein Zirkus eigentlich mit auf Reisen nehmen?

Jost Ort: Laut Gesetz dürfen Zirkusse alle Tiere mit sich führen. Der Erwerb bestimmter Tiere ist zwar durch das Naturschutzgesetz verboten oder zumindest eingeschränkt, aber wenn die Tiere schon da sind, wie es bei Zirkussen der Fall ist, dann geht es zum einen um den Tierschutz, also eine artgerechte Haltung beispielsweise. Zum anderen muss natürlich die Sicherheit gewährleistet werden und dieser Bereich spielt bei den sogenannten gefährlichen Tieren eine zentrale Rolle.

Welche Tiere gelten denn als gefährlich?

Es gibt verschiedene Einschätzungen, was als gefährlich gilt. Der Bundesrat oder auch die Berufsgenossenschaften der Zirkusbetreiber selbst haben Listen dazu erstellt. Allgemein gelten auf jeden Fall Raubkatzen und große und schwere Tiere wie Elefanten, Großbären, Flusspferde und Nashörner als gefährlich.

Inwiefern regelt das Tierschutzgesetz, was Zirkussen erlaubt wird und was nicht?

Der für Zirkusse interessante Teil des Tierschutzgesetzes ist der Paragraf 11, der vorschreibt, dass es der Erlaubnis der zuständigen Behörde bedarf, wenn jemand Tiere gewerblich zur Schau stellen will. Diese Erlaubnisse haben alle Zirkusse, sonst könnten sie nicht umherreisen.

Das ist die Betriebserlaubnis?

Genau. Das ist die Grundlage, auf die sich jeder Zirkus berufen kann. Wenn ein Zirkus nun herumreist, muss er aber bei der jeweiligen Gemeinde beantragen, dort sein Lager aufschlagen zu dürfen.

Jost-Dietrich Ort, 75, war als Oberstaatsanwalt in Hessen unter anderem für Tierschutzverfahren zuständig. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht.

Mittlerweile haben mehrere Städte und Gemeinden beschlossen, Zirkusse, die Wildtiere mit sich führen, nicht mehr auftreten zu lassen.

Das stimmt. Bei den Auftrittsverboten beziehen sich die Kommunen auf ihr Selbstbestimmungsrecht. Denn die Grundstücke, auf denen die Zirkusse ihr Lager aufstellen wollen, sind gemeindliche Grundstücke wie Marktplätze und Festwiesen. Einige Zirkusse gehen gegen solche Verbote gerichtlich vor. Sie begründen die Klage mit dem Einschnitt in die im Grundgesetz verankerte Berufsfreiheit.

Die Urteile der jeweiligen Gerichte fallen unterschiedlich aus. Was gilt denn nun?

Am Ende gilt das jeweilige Urteil des Gerichts. Als der Paragraf 11 des Tierschutzgesetzes 2013 neu gefasst wurde, hat die Bundesregierung in der offiziellen Begründung ausgeführt, dass Fragen der Berufsfreiheit hinter dem Tierschutzgedanken zurückstehen müssen. Trotzdem wird dieser Punkt von den Gerichten immer wieder als Begründung angeführt, wenn den Zirkusbetreibern Recht gegeben wird. Beispielsweise vom Verwaltungsgericht Hannover im letzten Jahr. Für dieses Gericht war aber der Punkt entscheidend, dass tierschutzrechtliche Regelungen in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes und nicht die Selbstverwaltung der Kommunen fallen.

Gibt es Schlupflöcher für die Gemeinden? Wie könnten sie den Auftritt des Zirkusses in ihrem Ort verhindern?

Wenn eine Gemeinde rechtssicher handeln will, dann sollten sie ein Auftrittsverbot nicht mit dem Tierschutz begründen, sondern sich auf die Gefahrenabwehr stützen.

Gefahrenabwehr?

Das Mitführen wilder Tiere birgt natürlich Gefahren. Jede Gemeinde kann sagen, dass ihnen das Risiko zu hoch ist, dass solche Tiere beispielsweise aus ihren Käfigen ausbrechen könnten. Das genannte Urteil aus Hannover wurde vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg zwar noch einmal bestätigt, das Gericht hat in seiner Begründung aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Verbot rechtmäßig wäre, wenn es im Vorfeld auf die Gefahrenabwehr bezogen wäre.

Also darf das nicht erst beschlossen werden, wenn ein Zirkus die Nutzung einer Fläche beantragt?

Das kann durchaus im Einzelfall erfolgen, kann dann aber bei der gegebenen Eilbedürftigkeit zu unvollständiger Begründung führen und etwa mit Gleichbehandlungsgrundsätzen kollidieren. Besser ist, so einen Beschluss im Vorfeld als Satzung zu treffen. Es muss genau definiert werden, welche Tiere als gefährlich eingestuft werden. Dabei können sich die Gemeinden an bereits vorhandenen offiziellen Listen, beispielsweise aus dem Polizeirecht Bayern, orientieren.

Es gab bereits mehrere Bundesratsinitiativen, woraufhin der Bundesrat die Bundesregierung aufforderte, Wildtiere im Zirkus zu verbieten. Warum ist das noch nicht passiert?

Auch der Bundesrat ist der Meinung, dass ein Verbot von Wildtieren im Zirkus nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit verstößt und der Tierschutz hier das höhere Gut ist. Es gibt aber eben auch eine lautstarke Zirkuslobby. Und so wird das Thema immer wieder auf die lange Bank geschoben. Man umgeht klare Rechtsverordnungen und trifft stattdessen lieber Vereinbarungen über die Haltungsbedingungen der Tiere. Das ist wie beim Dieselskandal: klare Gesetze lieber nicht, wir treffen lieber Vereinbarungen.

Das für den Tierschutz zuständige Landwirtschaftsministerium will nach eigener Aussage gemeinsam mit den Zirkusbetreibern ein Konzept „zur Reduzierung der Haltung bestimmter Tierarten in Zirkusbetrieben“ vereinbaren. Wird das zu einem Wildtierverbot für Zirkusse führen?

Es mag sein, dass so ein Wildtierverbot vereinbart wird. Dann vermutlich aber mit riesigen Übergangsfristen und ob die Zirkusse das dann wirklich umsetzen, ist fraglich.

Wieso?

Das war bei den Nerzfarmen damals genau dasselbe. Bis zu einer gewissen Zeit mussten die Bauten für Nerze gewisse Maßstäbe erfüllen. Um diese umzusetzen, galt eine lange Übergangsfrist. Und als die verstrichen war und die ersten Betriebe geschlossen werden sollten, weil sie sich nicht an die Vorgaben hielten, klagten die Betreiber. Und manche waren sogar erfolgreich, weil die Gerichte sagten, solche Umbauten seien nicht von einem Tag auf den anderen umzusetzen. So etwas würde ich bei dem Verbot von Wildtieren auch befürchten.

Manche Zirkusse haben keine Wildtiere, dafür aber Pferde. Können Kommunen auch hier ein Auftrittsverbot erteilen?

Ein generelles Verbot dürfte rechtlich unwahrscheinlich von Bestand sein, da Gefahrenabwehr kaum zieht. Die beispielsweise von verschiedenen Städten erfolgten Auftrittsverbote für Ponykarusselle aus Tierschutzgründen erscheinen mir deshalb derzeit rechtlich zweifelhaft. Anders ist es, wenn konkret bei den Tieren Haltungsverstöße festgestellt werden. Dann kann und muss das Veterinäramt einschreiten und erforderliche Maßnahmen einleiten, auch Auftrittsverbote.

Wie wird überprüft, ob sich die Zirkusse an die Haltungsvorschriften für Tiere halten?

Da, wo die Zirkusse hinreisen wollen, müssen sie sich beim Veterinäramt anmelden. Das Amt ist dann verpflichtet, die Zirkusse zu überprüfen und das, was sie festgestellt haben, im Tierbestandsbuch einzutragen. In meiner Karriere hatte ich auch schon den Fall, dass das eher sehr oberflächlich geschieht. Da stand dann: Ich war da, alles in Ordnung soweit, aber es befand sich alles noch im Aufbau.

Läuft das öfter so?

Dieses konkrete Tierbestandsbuch betreffend war das zumindest nicht die absolute Ausnahme.

Woran liegt das?

Ich glaube, es ist auch eine Frage des persönlichen Engagements. Wenn der Veterinär beispielsweise ein exotisches Tier beschlagnahmen lässt, dann kommt natürlich auch die Frage auf: Was machen wir jetzt damit? Im Zweifel ist der Zirkus ja auch nach wenigen Tagen wieder weg. Dann wird halt nicht so genau hingeguckt oder der Betreiber wird einfach ermahnt, gewisse Sachen anders zu handhaben.

Was passiert mit den Tieren, die beschlagnahmt werden?

Die Tiere, die wegen eines Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz beschlagnahmt und eingezogen werden, fallen dem Staat anheim. Sie werden dann verkauft. Wenn das Verfahren zu lange dauert und die Aufbewahrungskosten den Wert des Tieres übersteigen, kann es zu einer Notveräußerung kommen.

So ein Vorgang mag bei Pferden einfach funktionieren. Bei Löwen dürfte das schwieriger sein.

Ja, das ist schwerer. Solche Aktionen müssen gut vorbereitet sein und auch die Haltungsbedingungen in den Auffangstationen müssen gut überprüft werden, sonst ist der Staat schnell in derselben Situation wie der Tierquäler zuvor. Leider gibt es auch nur wenige Auffangstationen für Wildtiere, dabei sind sie von zentraler Bedeutung, um das Tierschutzgesetz effektiv umsetzen zu können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen