piwik no script img

Kommentar Mord an Viktoria MarinovaUnverständliche Passivität

Kommentar von Barbara Oertel

Nach dem Mord an der Journalistin Viktoria Marinova muss die EU handeln. Statt zuzusehen sollten Sanktionen gegen Bulgarien eingeleitet werden.

Der Demontage von Grundrechten und -freiheiten darf man nicht länger tatenlos zusehen Foto: ap

N ach dem Mord an der bulgarischen TV-Journalistin Viktoria Marinova ist die Aufregung groß – wieder einmal. Das war auch im Februar dieses Jahres so, als der slowakische Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová regelrecht hingerichtet wurden. Kritische Medienmacher werden in Mitgliedsstaaten der EU buchstäblich zum Schweigen gebracht – ein Vorgehen, das aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion bekannt, jedoch vielfach kaum noch einer Erwähnung wert ist.

Über Kuciak spricht fast niemand mehr und auch im Fall Marinova dürfte die erste Empörung bald verpufft sein. Dabei war eine derart barbarische Tat in Bulgarien – auch wenn die genauen Hintergründe noch unklar sind – leider nur eine Frage der Zeit.

Denn Journalisten leben in dem Balkanstaat, der dieses Jahr auf dem weltweiten Index für Pressefreiheit auf Platz 111 Schlusslicht in der EU ist, gefährlich. Bedrohungen von Journalisten sind an der Tagesordnung – manchmal vor laufender Kamera. Unbotmäßige Medien werden an ihrer Arbeit gehindert, indem obskure Anschuldigungen gegen sie vorgebracht werden, die in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren münden.

Gelder aus Brüssel, die Bulgarien erhält, um über EU-Programme zu informieren, verteilt die Regierung in Sofia so gezielt wie intransparent an bestimmte Medien. Deren Vertreter üben sich im Gegenzug in Selbstzensur und Gehorsam gegenüber den Machthabern.

Angesichts dieser negativen Entwicklung ist die Passivität der EU unverständlich, ja sogar schädlich. Nicht nur, weil die Veruntreuung von EU-Geldern in großem Stil für Teile des Regierungsapparats und Oligarchen in Bulgarien bereits seit Jahren ein einträgliches Geschäft ist. Vor allem geht es darum, der Demontage von Grundrechten und -freiheiten nicht länger tatenlos zuzusehen. Rückhaltlose Aufklärung zu fordern ist richtig, aber nicht ausreichend.

Brüssel muss jetzt handeln und im Rahmen seiner Möglichkeiten Sanktionen gegen Bulgarien einleiten. Alles andere wäre eine Bankrotterklärung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Nach meinen bescheidenen Kenntnissen versickerten bisher ca. Jahr für Jahr einige hundert Millionen Euro in Bulgarien. Man möge mich korrigieren, falls das nicht stimmen sollte. Nach dem Mord in Malta und dem Doppelmord in der Slovakei ist dieses der vierte Mord im Zusammenhang mir Korruption. Was macht die EU? Sie guckt einfach zu! Ist im Falle Maltas etwas passiert, Malta einst eines der demokratischsten Länder Europas! Wenn es um soche Summen geht, dann ist der Weg zum Auftragsmord nicht mehr weit. Die Aufdeckung sicherlich unendlich schwierig, vielleicht sogar unmöglich. Aber die EU muss wenigstens in Folge dieser Auftragsmorde ihre Mittelvergabe selbst überprüfen und die Konsequenzen ziehen. Sowohl im Falle Maltas, als auch der Slovakei und jetzt Bulgariens. Eines geht nicht mehr: Milliarden mit einem Füllhorn auszuschütten, ohne jegliche rechtliche Kontrolle. Und dass in Bulgarien geschummelt wird, wird sich schon seit Jahren unter der Hand erzählt. R.I.P. Viktoria Marinova.

    • @Wilfried Bergmann:

      Der Zusammenhang, in dem der Mord steht, ist doch noch offen.

      Auch Frau Oertel schreibt, dass "die genauen Hintergründe" der Tat "unklar" sind.

      Der Artikel gibt also im wesentlichen Spekulationen wieder.

      Die können ja auch stimmen, aber erwarten Sie wirklich wie Frau Oertel, dass die EU aufgrund von Spekulationen Sanktionsmaßnahmen trifft?

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @Wilfried Bergmann:

      Die EU soll handeln?



      Gibt es wirklich noch Menschen, auch solche mit journalistischer Tätigkeit, die an eine moralische EU glauben?



      Das kommt mir wie eine Bankrotterklärung vor.