piwik no script img

Leerstand und Luxus

Rüdiger Lange zeigt in den geschichtsträchtigen Räumen eines leer stehenden Eckhauses in Mitte die letzte Ausstellung, bevor hier Luxuswohnungen entstehen

Von Alicja Schindler

Das Gründerzeit­haus an der Glinkastraße Ecke Taubenstraße ist das einzige Haus weit und breit, dessen Fassade immer noch grau ist. Rüdiger Lange ist der Kurator der Gruppenausstellung „Standard International #5: Spatial Manifestation“, die noch bis 20. Oktober in zwei der herrschaftlichen Wohnungen des leer stehenden Gebäudes in Mitte zu sehen ist. Zuletzt eröffnete Lange dort „Like Home“, „Like Home Extended“ sowie weitere Ausgaben der Reihe „Standard International“.

Seit den 1990er Jahren arbeitet der Berliner Kurator mit Zwischennutzungen. In maroden Gebäuden zeigte er damals vor allem ortsspezifische Werke junger Künstler und Künstlerinnen. 1997 lernte Lange den Immobilieninvestor Marc Kimmich kennen. Gemeinsam entwickelten sie ein Konzept zur künstlerischen Zwischennutzung der Edison-Höfe. „Wir sind heute immer noch sehr gut befreundet. Nur ist er jetzt eben reich und ich immer noch Idealist.“

Kimmich ist heute Vorstand der Immobiliengruppe Copro und spezialisiert auf besondere Projektentwicklungen, bei denen nicht nur Architektur und Ingenieurwesen betreut, sondern gleich ganze Marketingstrategien ausgearbeitet werden. Für das graue Eckhaus an der Glinkastraße gibt es auch solch ein Konzept: „Glint“. Es soll kunst- und designaffine Käufer und Käuferinnen ansprechen. In dem Büro im Erdgeschoss kann man sich in dunkel-luxu­riö­ser Atmosphäre bei loderndem Kaminfeuer beraten lassen. Es gibt Wohnungen bis 330 Quadratmeter, Alt- oder Neubau, laut Tagesspiegel ab 9.900 Euro pro Quadratmeter aufwärts. Fragt man Lange danach, wie er zu dem Bauvorhaben steht, dann antwortet er, dass er frei sei, die Räume im Zeitraum des Leerstandes genauso zu nutzen, wie er das möchte. „Alles andere blende ich eigentlich aus. Ich konzentriere mich auf die kuratorische Arbeit.“

Wer in die Ausstellung will, muss klingeln. Die Besucher und Besucherinnen, die durch die Wohnungstür treten, schreiten andächtig die ochsenblutfarbenen Dielen entlang. „Für mich ist dieses Haus eine Zeitmaschine“, sagt Lange. Die zartflorale Tapete im Wohnungsflur ist noch fast vollständig. An einem Wandteil kann man die Schichten erkennen, die das Haus seit 1879 bereits durchlebt hat. Die unterste ist eine Zeitung in Frakturschrift. Die abgerissenen Tapetenteile ergeben ein ästhetisches Wandbild für sich.

Jeder Raum ist einem einzelnen Werk eines Künstlers oder einer Künstlerin gewidmet. Von Zimmer zu Zimmer schlägt den Besuchenden eine neue Persönlichkeit entgegen, atmet das Holz und knarzen die Dielen einen anderen Rhythmus. In einem Raum mit Kassettendecke aus dunklem Holz steht eine Arbeit von Ina Weber. Vorbild für das frei stehende Objekt ist eine Bushaltestelle in Brighton. Während die geschwungene Oberseite einen Kontrast zur Zim­mer­decke setzt, tritt das kachelartige Muster des Bodens mit ihr in Dialog. Eine Bushaltestelle im Gründerzeitaltbau.

Die Arbeit von Eberhart Bosslet wurde bereits 1978 auf der Documenta gezeigt und hat Sicht auf das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Gelb in der dort hängenden Deutschlandflagge korrespondiert mit dem Gelbton der Holzlatten am oberen Ende der massiven 700-Kilo-Skulptur, die aus Schalungselementen und Deckenstützen aus der Bauindustrie besteht. Auf dem mit Sternen geschmückten Tafelparkett wirkt die Arbeit aber nicht stützend, sondern gewalttätig.

Die kinetische Aluminium-Stahl-Skulptur „Oszilloskop“ von Franka Hörnschemeyer erinnert an eine mechanisch ihre Schlingen durchs Wasser bewegende Unterwasserpflanze. Oder einen Hybrid aus lebendigem Organismus und steifem Roboter, der sich nicht zwischen den Welten entscheiden kann. Der Sockel nimmt das Muster des Parketts auf. Und verweist auf die Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen, die in dieser Wohnung einmal ihr Zuhause hatten, den Kunst­betrachtenden, die im Moment dort stehen, und denen, die sich dort in Zukunft einrichten werden.

Für mich ist dieses Haus eine Zeitmaschine

Inken Reinerts Arbeit „Club 2000“ im Raum gegenüber besteht aus rechteckigen Einzelteilen gesammelter Ost­schrankwände. Parallel und in einer Richtung angeordnet, scheinen die furnierbeschichteten Möbelstücke nach etwas Höherem zu streben. Zusammen betrachtet, ergeben sie ein Bild, als ob sie die Akustik in einem Orchesterraum leiten wollten. Ähnlich wie die Arbeit der Berliner Künstlerin Henrike Naumann, die im vergangenen Jahr um die Ecke im Kronprinzenpalais ausstellte, verweist das Spiel mit dem DDR-Interieur auf vergangene Wohn- und Lebensentwürfe, deren Einrichtung auf Ebay-Kleinanzeigen und auf Flohmärkten weiter existiert. Auch Andrea Pichls vier „Zaunelemente“ aus Stahl oder Holz, ornamental oder blickdicht, scheinen die (Un)möglichkeit individueller Lebensentwürfe in Ost und West zu thematisieren.

Ein besonderer Raum ist der von Manfred Pernice. Der Professor für Bildhauerei an der Universität der Künste ist bekannt für seine meist zylindrischen Skulpturen, die er „Dosen“ nennt. Beim Eintreten in den mit senfgelber Lilien­tapete geschmückten Raum erinnert der Anblick der mittig aufgestellten „Dose“ zunächst an einen grau-blauen Kachelofen. Obendrauf thront eine titelgebende, goldene Keksdose: „Time to ­Celebrate 2000.“ In einer Raumecke hat der Ofen, der dort einmal gestanden und seine nicht mehr anwesenden BewohnerInnen gewärmt haben muss, einen Abdruck hinterlassen. Die Stelle am Boden ist nicht wie die der anderen Öfen rechteckig, sondern rund. Als hätte Pernice die „Dose“ für diesen Raum aus der Geschichte des Kachelofens und der ­Gespräche, die sich ­davor einmal zugetragen haben, gemacht.

Die Kunstwerke setzen das graue Eckhaus in Bezug zu einem selbst. Zwischen Leerstand und Bauarbeiten stimmen sie melancholisch und ermöglichen Räume zur eigenen Positionierung. Zwischen Lebensentwürfen der Vergangenheit und denen, die sich hier bereits ankündigen – in der jeweils eigenen Gegenwart.

„Glint“. Bis 20. Oktober, Mi.–Sa., 14 bis 18 Uhr. Glinkastraße 17

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen