Eine erstickende Stille

Gewalt in den Lebensräumen: Der Spielfilm „Alles ist gut“ von Eva Trobisch spielt mit Geschlechter- und Klassenfragen

Ihre Antworten sind vernichtend, klären nichts und spenden keinen Trost

Von Dennis Vetter

Janne sieht im Baumarkt ein Video über Sportschuhe: „Ex­trem abrieb- und kratzfest!“ Eigenschaften, die Eva Trobisch mit ihrem Film „Alles ist gut“ vom Publikum einfordert. Um individuelle und strukturelle Gewalt zu verhandeln, geht sie einfühlsam und intelligent, mitunter brutal bis an die Grenze zum Nihilismus.

Die Vergewaltigung von Janne, um die sich der Film entspinnt, ist dabei nur ein Ausgangspunkt. Bald wird das Erzwungene und Übergriffige auch über den Körper hinaus zur sinnlichen Grundsituation einer Erzählung, die sich so lange weiterschraubt, bis alle Lebensräume der Figuren von Gewalt durchsetzt sind. Und dann steht alles wortwörtlich still. Der Film geht auf Grundeis und legt ausgerechnet mitten in Bayern eine philosophische Kälte frei, die schwer zu verdauen ist.

Alle Last trägt Aenne Schwarz. In der Rolle von Janne agiert sie einen ganzen Katalog von Situationen durch, die von ihrer körperlichen und emotionalen Verletzung überschattet werden oder diese noch verstärken. Trobisch will eine permanente Auseinandersetzung, sucht das Unausweichliche im Unterschwelligen. Sie lässt Janne nicht innehalten, die Begegnung mit dem Täter Martin (Hans Löw) immer wieder durchleben. Unbeirrt nimmt sie einen Job bei dessen Schwiegervater Robert (Tilo Nest) an. Weil sie Robert mag und Martin keinen Raum geben will. Weil sie sich weigert, dem Geschehenen seine Drastik zuzugestehen.

Martin wiederum ist ein unscheinbarer Waschlappen, der sich mehrmals mit schlechtem Gewissen zu ihr stellt und fragt, was er tun kann. Ihre Antworten sind vernichtend und von Schwarz scharf ausgesprochen, klären nichts und spenden keinen Trost. Neben Jannes Fähigkeit, Martin mit Worten zu zerstören, erscheint ihre Stille allen anderen Menschen gegenüber umso erstickender.

Nicht einmal ihrem Freund Piet (Andreas Döhler) sagt sie etwas. Gerade ihm nicht. Als sie nach der traumatischen Nacht nach Hause kommt, verschweigt sie, warum sie eine Schramme an der Backe hat. „Jetzt denken alle, ich hab dir eine reingehauen“, meint Piet. Und bald wird klar, dass der Verdacht nicht haltlos ist. Von dem sympathischen Berliner, der Janne so nah ist und für sie nach München zog, geht die größte Aggression im Film aus.

Trobisch spielt neben Geschlechter- und Klassenfragen mit innerdeutschen Mentalitäten und verkompliziert die Menschen vielfach, Männer wie Frauen. Besonders gut funktioniert Robert, der mit Janne befreundet und doch der Onkel des Vergewaltigers ist. Der Großkapitalist und Verleger will sie mit privilegiertem Herumgejammer überzeugen, sein Jobangebot als Lektorin anzunehmen: „Ich brauch wenigstens eine Frau in meinem Leben, die zu mir hält.“

Die Geschichte verdichtet sich in einem Theatersaal, wo Janne mit Robert und Martin ein unwichtiges Stück sieht, das nichts zur Sache tut. Der Kunstraum wird zum entrückten Schauplatz des Wegsehens, in dem nur die Naiven noch an Ästhetik denken.

Eva Trobisch skizziert eine fundamentale Entfremdung vom Körper, vom Leben. Die Verhältnisse tun dazu perfide und wie nebenbei ihren Teil, ebenso wie die unappetitliche Konstruiertheit, die den Film durchzieht. In einem bitteren Moment, wenn es um Abtreibung geht, wird beinahe ein Kind überfahren. Ausgerechnet. Die souveräne Janne bewegt sich nicht mehr zielsicher und trifft letztlich auf das Schlimmste, was ihr in Deutschland begegnen kann: Banalität, bar jeder Regung.

„Alles ist gut“. Regie: Eva Trobisch. Mit Aenne Schwarz, Andreas Döhler und anderen Deutschland 2018, 94 Min.