Rassismus im Job: Damals, im Callcenter

Mesut Özil hat eine Debatte über Rassismus angestoßen. Das ist gut. Viele Menschen erleben täglich Rassismus, können sich aber nicht so leicht wehren.

Illustration einer Frau an einem Schreibtisch, aus dem Telefonhörer schlagen Flammen

Egal woher er dröhnt: Rassismus tut weh Illustration: Katja Gendikova

Als Mesut Özil wegen der rassistischen Anfeindungen gegen ihn seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt gab, war mein erster Gedanke: Recht hat er. Niemand muss sich so etwas gefallen lassen. Mein zweiter Gedanke war: Glück hat er. Denn die meisten müssen sich so etwas gefallen lassen – sie haben keine Möglichkeit, ihren Job einfach hinzuschmeißen, weil sie von Rassismus betroffen sind.

Mit sechzehn Jahren arbeitete ich nach der Schule in einem Callcenter für ein großes Versandhaus. Eigentlich war meine Aufgabe, Bestellungen entgegenzunehmen und Rücksendungen zu organisieren. Doch gibt man Menschen eine Telefonnummer, nutzen sie diese – auch zweckfremd. Da man sich damals noch nicht in Kommentarspalten im Internet austoben konnte, musste der Hass woanders raus. Am Telefon ging das relativ anonym.

Es gab obszöne Anrufe, viele onanierende Männer. Menschen riefen aber auch an, um ihren Rassismus rauszulassen. Meist waren Schwarze Models im Katalog der Anlass: Ob es denn keine ordentlichen deutschen Mädchen mehr gebe. Ob man wirklich denke, man würde was kaufen, dass so eine getragen hat. Nach einem besonders verstörenden Anruf dieser Art bat ich meine Vorgesetzte, meine Fünfminutenpause etwas vorziehen zu können, um mich zu beruhigen. Es gab keinen praktischen Grund, warum sie das hätte ablehnen sollen. Sie tat es aber. Weil ich mich nicht so haben sollte. Weil sie nicht versteht, warum ich mich jetzt so aufregen würde, und überhaupt aus Prinzip. Nicht wegen so etwas. Das müsse ich aushalten.

Ich hielt es aus. Weil ich diesen Job brauchte. Und aus dem gleichen Grund halten viele Menschen noch viel schlimmere Situationen aus. Rassismus am Arbeitsplatz hat viele Facetten und betrifft viele Menschen unterschiedlich. Es gibt allerdings keine Berufsgruppe, die ausschließen kann, damit konfrontiert zu sein. Ob Telefonistin, Lehrer, Ärztin oder Fußballprofi: Die Rassismen, denen man ausgesetzt ist, sind zwar unterschiedlich, können aber immer auftreten.

Hätten meine Kolleginnen damals im Callcenter ein offenes Ohr für mich gehabt, hätte ich mich schon wesentlich besser gefühlt. Wut und Ekel über „die Stöhner“, wie wir sie nannten, wurden geteilt. Über die rassistischen Anrufe aber schien nur ich mich aufzuregen.

Der Rassismus im Büro kam nicht nur von den Kunden: Es gab Kolleginnen, die Kund*innen rassistisch beleidigten. Und es gab Kolleginnen, die den zuckersüßen Telefonistinnen-Leitfaden mit einem Schlag vergaßen und aggressiv und pampig mit Kund*innen sprachen. Nach dem Auflegen ließen sie sich darüber aus, dass sie keinen Bock hätten, mit Ausländern zu sprechen. Aus den üblichen, sich widersprechenden rassistischen Ungründen: „Können sich sowieso nix leisten“ und „die kriegen die Kohle hinterhergeschmissen und können sie für all den Kram hier ausgeben“.

Nicht, wer rassistisch ist, stört, sondern wer es anprangert

Wenn ich etwas dagegen sagte, signalisierten mir die Kolleginnen, die meine Meinung dazu im Grunde teilten, ich solle das besser ignorieren. Ich sollte keinen Stress machen, damit alle in Ruhe weiterarbeiten konnten. Dass nicht diejenigen, die sich rassistisch äußern oder handeln, als Störende betrachtet werden, sondern die, die Rassismus ansprechen, ist gängige Praxis – und begegnet vielen, die Rassismus widersprechen.

Schon in der Schule beginnt rassistische Diskriminierung auf dem beruflichen Lebensweg: Wenn Klassenarbeiten von Max und Murat unterschiedlich bewertet werden, macht eine Studie dazu den strukturellen Rassismus dahinter sichtbar. Doch im individuellen Einzelfall ist dieser Rassismus schwer nachzuweisen. Deshalb wird Murat erst mal eines mit auf den Weg gegeben: Wenn dein Zeugnis genauso gut sein soll wie das von Max, musst du eben besser sein als er.

Das setzt sich im Beruf fort: Ob Rassismus wirklich der Grund war, warum du die Stelle oder Beförderung nicht bekommen hast, lässt sich nur in den seltensten Fällen sicher feststellen. Deshalb sei vorsichtshalber einfach besser – dann bist du auf der sicheren Seite. Das ist ein häufiger Rat, den Menschen zu hören bekommen, die rassistischer Benachteiligung ausgesetzt sind: Es mag ja sein, dass weiße Bewerber*innen bevorzugt wurden, obwohl du genauso qualifiziert bist.

Du musst dann eben noch qualifizierter sein. Wenn du nur gut genug, fleißig genug, an Expertise nicht zu übertreffen bist, dann wird deine Hautfarbe oder dein Name keine Rolle mehr spielen. Durch Exzellenz kann man nicht nur etwas für die persönliche Karriere tun, sondern auch gleich helfen, die Vorurteile gegenüber der eigenen Community abzubauen: Übernimm Verantwortung, tritt einen Gegenbeweis an.

Alles richtig machen zu müssen, beschneidet die Kreativität

Wenn es heißt, Schwarze Menschen kommen immer zu spät – achte darauf, die Erste im Büro zu sein. Wenn sie sagen, Südeuropäer*innen sind faul – mach mehr Überstunden als die Kolleg*innen. Erlaube dir keinen Rechtschreibfehler – wenn deine Deutschkenntnisse ohnehin angezweifelt werden, obwohl du hier geboren und aufgewachsen bist.

Dieser zusätzliche Druck ist wenig hilfreich: Immer skeptisch beäugt zu werden macht unsicher und schränkt Kreativität ein. Wer ständig alles richtig machen will, früher kommt und später geht, sich immer wieder rückversichert, um bloß keine Fehler zu machen, gilt schnell als langweiliger Streber. Die ­Überkorrekten, die zu verkrampft an die Sache rangehen, wenig Lockerheit ausstrahlen. Mit solchen Leuten arbeitet niemand wirklich gern.

Wie überall, wo Rassismus wirkt, bist du bei erfolgreicher Arbeit die gut integrierte Ausnahme, der Einzelfall. Bei Fehlern bist du die Bestätigung des Vorurteils gegenüber einer ganzen Gruppe.

In den 70er Jahren bezeichnete Nobelpreisträgerin Toni Morrison Rassismus als Ablenkung, die Menschen davon abhält, ihre Arbeit zu tun, indem sie gezwungen sind, Zeit und Energie darauf zu verschwenden, Vorurteile und rassistische Stereotype zu widerlegen.

Ausschlüsse im Kulturbetrieb sind subtiler

Dies gilt noch immer. Die meisten Diversitätsbeauftragten und Wissenschaftler*innen, die zu den Themen Rassismus, Diversität und Migration arbeiten, hatten das ursprünglich nicht als berufliches Ziel auf ihrer Agenda. Sie wurden in ihrer Laufbahn nur immer wieder mit rassistischen Ausschlüssen konfrontiert und haben dann ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Fähigkeiten dafür eingesetzt, dagegen zu arbeiten.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Heute sitze ich nicht mehr am Telefon, sondern arbeite als freie Theatermacherin. Meine Kolleg*innen kann ich mir jetzt aussuchen. Der Rassismus sitzt jetzt nicht mehr mit mir am Tisch. Ausschlüsse im Kulturbetrieb sind subtiler. Fördergelder werden zum Beispiel von Jurys vergeben, die wenig divers sind. Für viele Künstler*innen of Color ist es in diesem ohnehin schon umkämpften Bereich besonders schwer, dort ein offenes Ohr für ihre Anliegen zu finden.

Jury-Mitglieder ohne Migrationshintergrund können oft weder die Dringlichkeit der Themen noch ästhetische Ansätze nachvollziehen, die nicht aus dem europäischen Raum kommen. Ähnlich ist das mit Theaterkritiker*innen. Es gibt einige Kritiken, in denen meine Stücke gut besprochen werden, von denen ich aber trotzdem hoffe, dass sie niemand gelesen hat, weil der exotistische Blick auf meine Arbeit einfach peinlich ist.

Auf welche Art auch immer Menschen im Beruf Rassismus ausgesetzt sind: Es ist zermürbend, und nur durch Solidarität unter Kolleg*innen lässt sich dem etwas entgegensetzen. Wir sollten also alle mehr aufeinander achten, rassistischen Äußerungen widersprechen und die Strukturen hinterfragen, die zu Ausschlüssen führen. Damit wir alle in Ruhe unserer Arbeit nachgehen können. Denn arbeiten ist oft anstrengend genug. Besonders bei dieser Hitze.

Simone Dede Ayivi ist Theaterregisseurin in Berlin. Mehr zu ihr gibt es hier.

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