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Lust auf ihre Dichtung wecken

Eine Woche lang feierte das Literaturforum im Brecht-Haus die deutsch-jüdische Dichterin Nelly Sachs in Vorträgen und intimer Stimmung. Sie einem jüngeren Publikum nahezubringen bleibt allerdings schwer

Zum 125. Geburtstag der Dichterin erschien diese Briefmarke Foto: Schöning/imago

Von Laila Oudray

„Anstelle von Heimat halte ich die Verwandlungen der Welt“. Nelly Sachs hat betörend und eindrucksvoll über die Schoah, über Flucht und Heimat geschrieben. Mit eindrucksvollen Bildern gab die deutsch-jüdische Lyrikerin dem Schrecken eine Sprache. Die Literaturwissenschaftlerin Carola Opitz-Wiemers befürchtet jedoch, dass Nelly Sachs in Vergessenheit gerät. Die letzte große Veranstaltung über die Nobelpreisträgerin war eine Ausstellung im Jüdischen Museum 2010 – zu ihrem 40. Todestag.

Opitz-Wiemers möchte Nelly Sachs wieder stärker ins Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit rücken. „Man darf nicht auf Geburtstage oder Gedenktage warten, um solche Aktionen zu organisieren“, meint sie. Vor drei Jahren hat sie eine Vortragswoche über die däni­sche Dichterin Inger Christensen im Literaturforum im Brecht-Haus organisiert. Letzte Woche war dann die Nelly-Sachs-Woche.

Die Dichterin wurde im Alter immer besser

Im Verlauf von fünf Tagen gab es jeden Abend einen knapp zweistündigen Vortrag – beinahe wie ein Referat. Carola Opitz-Weimers moderiert, hält sich allerdings zurück, könnte präziser nachfragen. Im Zentrum steht der Referierende und der Vortrag. Das Programm folgte einem klassischen Ablauf: Biografie, Werkanalyse, Rezeptionsgeschichte, Vertonungen und Lesung.

Opitz-Weimers nutzte im Vorfeld ihr Netzwerk und gewann namhafte Expert*innen für die verschiedenen Vorträge. So übernahm der schwedische Autor Aris Fioretes den ersten Vortrag. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler*innen realisierte er 2010 die vierbändige Werksausgabe, die Ausstellung im Jüdischen Museum und eine umfassende Bildbiografie. In seinem Vortrag skizzierte er die verschiedenen Stationen im Leben von Nelly Sachs – von ihrer Kindheit in einer assimilierten jüdischen Familie in Berlin der Jahrhundertwende bis hin zur tragischen ersten Liebe. Er beschreibt ihr Leben mit der Mutter unter dem Regime der Nationalsozialisten, ihre dramatische Flucht nach Stockholm, das beengte Leben in Schweden, das Ringen um Anerkennung als Dichterin. Und schließlich ihren späten Ruhm und den immer krasser auftretenden Verfolgungswahn und die Krankenhausaufenthalte in ihrem späteren Leben.

Ohne Notizen und Präsentation referiert Fioretes über Nelly Sachs und verweist dabei immer wieder auf den Einfluss ihrer Erfahrungen auf ihr Werk: „Nelly Sachs wurde, anders als viele andere Lyriker*innen, im Alter immer besser“, so Fioretes. Er erzählt eigentlich nicht viel Neues, sondern fasst Wichtiges und Spannendes zusammen.

Ähnlich auch bei den anderen Vorträgen, doch die Veranstaltungsreihe versteht sich auch nicht als akademische Tagung, in der neue Erkenntnisse geteilt werden. Nicht die Expert*innen sollen befriedigt werden, sondern Interessierte, die vielleicht einzelne Texte gelesen haben. So sieht es auch Carola Opitz-Weimers: „Wir wollen einen neuen Leserkreis für Nelly Sachs erschließen.“

Die Stimmung war immer recht intim – es gibt keine Bühne, Referent*innen und Publikum sind auf Augenhöhe. Etwa 60 Menschen passen in den Raum mit der großen Fensterfront, die zur Chauseestraße hinausführt. Während die Lesung der Schauspielerin Corinna Harfouch am Freitag so viele Besucher*innen lockte, dass nicht alle daran teilnehmen konnten, war der Vortrag von Ariane Huml über die Vertonungen und Inszenierungen von Sachs’ Werken spärlich besucht.

Ihr Leben überstrahlte oft das Werk in der Rezeption

Das Publikum hörte den ­Ausführungen der Ex­pert*in­nen gebannt zu, schweigend, mit konzentriertem Blick. Pas­san­t*innen schauen von der Straße aus immer wieder neugierig hinein. Das Publikum ist homogen: interessierte Bildungsbürger mittleren bis höheren Alters. Leider ist es der Veranstaltung nicht gelungen, ein junges Publikum anzuziehen. Doch das muss in Zukunft geschehen, wenn man den Anspruch hat, das Andenken von Nelly Sachs bewahren zu wollen.

Einer der Höhepunkte der Woche war der Vortrag von Florian Strob, einem Literaturwissenschaftler. Mit wenigen an die Wand geworfenen Zitaten zeichnet er die Beziehung zwischen Nelly Sachs und den führenden Literaturjournalist*innen der 1960er Jahre wie Werner Weber. Dabei zeigt er einerseits, wie selbstbewusst und beharrlich Nelly Sachs über Jahrzehnte hinweg ein beeindruckendes Netzwerk aufbaute, um ihre Texte zu veröffentlichen. Andererseits wird deutlich, wie schwierig das Verhältnis zwischen den Jour­nalist*innen und der Autorin war, wie häufig das Werk hinter Nelly Sachs und ihr Leben rückte, wie häufig ihr Äußeres eingehender beschrieben wird als ihre Worte. Es sind Probleme, die den Literaturjournalismus bis heute prägen.

Nach den Vorträgen gibt es meist keine Diskussion, relativ schnell zerstreut sich das Publikum. Die Nelly-Sachs-Woche glich einer Ringvorlesung, die teilweise in Hektik geriet. Das Programm war wohlüberlegt, aber vielleicht doch zu vollgepackt. Doch trotz der Mängel: Es war eine Vortragsreihe, die Lust auf die Wiederentdeckung von Nelly Sachs gemacht hat und hoffen lässt, dass man nicht wieder einige Jahre auf so eine Veranstaltung warten muss.

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