Räumungsklage vor Gericht: Eigenbedarf für einen Ahnungslosen

Eine Mieterin mahnt die Einhaltung des Mietspiegels an und erhält darauf eine Klage auf Eigenbedarf. Ein Gerichtstermin.

Menschen auf einer weiten Freifläche, im hintergrund Wohnhäuser

Am Tempelhofer Feld ist Immobilienbesitz ein profitables Geschäft Foto: imago/eventfotografen.de

BERLIN taz | Raum 208 im Amtsgericht Neukölln ist zu klein, man zieht in den größeren Saal 228 um. Mehrere Dutzend Menschen sind gekommen, um einer Mieterin moralische Unterstützung zu geben. Heute wird über das Begehren ihrer Vermieterin verhandelt, sie wegen Eigenbedarfs aus der Wohnung zu klagen. Ihre Anwälte, die Mietrechtsexperten Benjamin Raabe und Klaus Poschmann, melden keinen besonderen Schutzbedarf, keinen Härtefall an.

Sie zweifeln vielmehr an, dass der Eigenbedarf überhaupt existiert. Die Vorsitzende Richterin erklärt zur Eröffnung, es sei zu prüfen, ob es „ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe für den Eigenbedarf“ gibt. Ein Vergleich ist offensichtlich nicht möglich, also wird zur Beweisaufnahme geschritten. Einziger Zeuge ist der Ehemann der Klägerin.

Klaus W. wird aufgerufen. Der 60-Jährige mit akkurat geschnittenem Haar, Freizeithemd, grauer Jeans und Wildledersneakern soll plausibel machen, dass er mit seiner Frau die Wohnung in einem Altbau nahe dem Tempelhofer Feld wirklich beziehen wird. Im Winterhalbjahr will das Ehepaar sein Domizil im grünen Umland verlassen, „um den Arbeitsweg der Frau zu verkürzen“. Die Kanzlei, bei der die Anwältin Partnerin ist, residiert in Mitte.

Ob er die Wohnung, die zumindest zeitweise sein Lebensmittelpunkt werden soll, schon mal gesehen habe, fragen die Anwälte der Mieterin. Hat er nicht. Was er denn über die Wohnung wisse? Eigentlich nur, dass es eine Zweiraumwohnung sei, mit Dusche. Die stehe in der Küche, klären ihn die Anwälte auf. Das sei ihm neu, störe ihn aber nicht.

Das unbekannte Wesen

W. wird gebeten, zu erläutern, warum es unbedingt diese Wohnung sein müsse, schließlich sei seine Frau Eigentümerin des ganzen Hauses. Zweieinhalb Jahre hätte das Ehepaar nach einer Lösung für das Problem des langen Fahrwegs gesucht, erklärt er. In Mitte, näher am Büro wäre nichts zu finden gewesen, er selber habe dort mehrere Objekte besichtigt, aber es sei nie etwas daraus geworden. So habe man sich auf Neukölln verständigt, und diese Wohnung sei die preisgünstigste im Objekt.

Davon, dass seine Frau und ein zweiter Gesellschafter das Haus schon 2016 in 26 Eigentumswohnungen aufgeteilt haben, will er nichts gewusst haben, wie er überhaupt die geschäftlichen Verhältnisse seiner Ehepartnerin kaum zu kennen scheint. Dass sie nur 600 Euro Altersrente bekommen werde und Angst vor Armut habe, ist ihm immerhin bekannt. Dazu ist er informiert, dass das in Frage stehende Haus mit weniger als 870.000 Euro belastet ist, was bei Einzelverkauf der Wohnungen ordentliche Rendite versprechen würde. Davon, dass der Eigenbedarf angemeldet wurde, nachdem die Mieterin mit Verweis auf die Mietpreisbremse eine Mietminderung durchsetzen wollte, weiß W. wiederum nichts.

Mit seiner Frau, von deren finanziellen Verhältnis er wenig weiß und noch weniger sprechen will, möchte der Mann, der selber Immobilienkaufmann ist, also in eine Wohnung einziehen, die er noch nie gesehen hat. Die Anwältin der Eigentümerin erklärt dazu, dass er eben großes Vertrauen in seine Ehepartnerin habe, wenn die sage, dass das schon in Ordnung gehe.

Ob Klaus W. nun tatsächlich so ein folgsamer Simpel ist, der in Zukunft von Oktober bis März in einer unsanierten Küche duschen wird oder eingeweihter Darsteller einer Show zur Entmietung einer profitabel zu verkaufenden Eigentumswohnung in bester Lage, wird die Richterin entscheiden müssen. Ihr Urteil wird in den nächsten Wochen erwartet. Es ist davon auszugehen, dass beide Seiten sich danach auf einen weiteren Instanzenweg vorbereiten.

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