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Unterm Schleier

Obwohl sich der Salafismus ausgesprochen männlich inszeniert, radikalisieren sich zunehmend auch Frauen. Warum Geheimdienste und Polizei bislang kaum Einblicke in diesen Teil der Szene haben, können Sozialarbeiter*innen immerhin erklären

Von Jan-Paul Koopmann

Brüder, Gotteskrieger und Zauselbärte: Der Salafismus ist gespickt mit Männerbildern. Dieser Eindruck liegt nur zum Teil an der bewusst martialischen Selbstinszenierung, er folgt auch einem realen Rückzug der Frauen aus der Öffentlichkeit ins Private – und unter das Kopftuch, dem der Salafismus nicht unbedingt anzusehen ist. Und trotzdem sind die Salafistinnen mit kleinem I längst nicht mehr nur Objekte oder Anhängsel ihrer männlichen Begleiter. Auch für junge Frauen ist religiöse Radikalisierung eine selbstbewusste Rebellion gegen die westliche Gesellschaft und gegen die eigene Familie.

Seit einiger Zeit ist verwunderten Medienberichten zu entnehmen, dass auch Frauen sich nicht nur fromm verschleiern, sondern dass sie sich auch selbst auf den Weg nach Syrien gemacht haben, um im selbst ernannten Kalifat des IS zu leben. Bundesweit sollen rund 20 Prozent der Syrienausreisenden Frauen sein. In Bremen, einem Hotspot der Salafistenszene, waren laut Innenbehörde sogar 11 von 30 Ausgereisten weiblich. Vergeblich versucht hatte das auch die damals 16-jährige Safia S. aus Hannover, die als IS-Sympathisantin gilt und bei einem Anschlag einen Polizisten mit dem Messer schwer verletzte.

Solche aktiven terroristischen Aktionen sind allerdings die Ausnahme unter den radikalisierten Frauen – die meisten betätigen sich eher im Hintergrund der islamistischen Strukturen. Und dieser Bereich ist für Polizei und Geheimdienste weitgehend verborgen. Auf Anfrage der Grünen hat der Bremer Senat im März verkündet, dass dieses Problem zwar bekannt sei, bislang aber keine speziell auf Frauen ausgerichteten Programme existieren.

Auch wenn Sozialarbeiter*innen stets betonen, dass Radikalisierung (auch bei Männern) immer nur im Einzelfall zu erklären sind, gibt es doch Tendenzen, die nahelegen, dass Frauen sich grundsätzlich anders radikalisieren als Männer. Daraus aber geschlechtsspezifische Konzepte zu Prävention und Deradikalisierung zu entwickeln, ist bislang noch nicht gelungen. Den Sicherheitsbehörden fehlen dazu, wie es heißt, noch einschlägige Erfahrungen mit Rückkehrerinnen, die gesicherte Informationen mitbringen. Und selbst die IS-Propaganda ist widersprüchlich, wo sie versucht, einerseits ein Bild gottgefälligen Ehelebens zu vermitteln – und sich zugleich mit ihrer bewaffneten Al-Khansaa-Brigade schmückt: ihrer durchweg weiblichen Religionspolizei, die vor allem Frauen drangsaliert. Nach der letzten Phase militärischer Niederlagen hieß es, die Frauen wollten nun auch an die Front.

Die Verhältnisse im sogenannten Islamischen Staat sind also undurchsichtig, bereits die Vorgeschichte der Ausreisen sind von außen nur schwer zu durchleuchten: „Frauen radikalisieren sich unauffälliger“, sagt Mehlike Eren-Wassel. Die Streetworkerin arbeitet beim Bremer Verein Vaja und berät dort Eltern, Angehörige und Betroffene. Während Männer sich in islamistische Cliquen begäben und ihren Glauben aggressiv zur Schau stellten, gebe es Frauen, die scheinbar von heute auf morgen ohne Vorwarnung verschwänden.

„Die Männer haben gemerkt, dass Frauen viel besser netzwerken können und deshalb stärker in der Lage sind, die Szene zu binden und am Leben zu halten“

Bericht des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen

In den Moscheen sitzen Frauen meist in abgesonderten Bereichen, manchmal sind sie in eigenen Räumlichkeiten sogar nur über Videoschaltung mit den Predigten verbunden. Wenn hier Radikale für den Islamismus werben, sagt Eren-Wassel, bleibt das selbst den männlichen Autoritäten der Gemeinden verborgen. Mehr noch gilt das im Internet, wo salafistische Gruppen und auch der „Islamische Staat“ eine beachtliche Infrastruktur unterhalten.

Die Mädchen fühlten sich „verstrickt in ein Gemenge aus westlichem Lebensstil, Religion und Traditionen, die sich nur religiös ausgeben“, sagt Eren-Wassel. Die mehrfache Ausgrenzungserfahrung macht Frauen empfänglich für die identitätsstiftenden Angebote aus dem vermeintlich urtümlichen Islam. Und so verrückt das auch klingen mag: Vom IS versprechen sich diese Mädchen mehr Gleichberechtigung als zu Hause, wo in vielen türkischen oder arabischen Familien den Söhnen oft weit mehr Freiheiten gelassen werden als ihren Schwestern. Im Gottesstaat, so die Idee, haben sich alle dem Gesetz zu unterwerfen. Freiheit mag im totalen Staat auf null gesetzt sein – das dann aber immerhin für alle.

Eren-Wassel beschreibt den Weg in die Radikalisierung so: Über das Internet suchen die Frauen Rat zu alltäglichen Lebensfragen, von der angemessenen Kleidung über Erziehung bis zur Partnersuche. Gerade in diesem letzten Schritt verschmelzen Ideologie und individueller Lebensentwurf, den passenden Partner gibt’s noch obendrein.

Diese Netzwerke sind nicht zu verwechseln mit harmlosen Dating-Plattformen, die es für Muslime (und übrigens auch für gläubige Christen oder Juden) zuhauf gibt. „Minder“ (Muslim-Tinder) etwa präsentiert seine App als Treffpunkt für lebensfrohe Menschen auf Partner*innensuche. Doch die Grenzen sind fließend. „Salafi Nikah“ erscheint im Internet ebenfalls in modernem Webdesign, lässt aber keinen Zweifel an seiner konservativen Grundhaltung: Menschen kommen in dem Imagevideo gar nicht erst vor, dafür Koranverse. Bereits der Slogan „Find your partner & Complete your deen“ betont die Ehe als religiöse Instanz, als elementarer Bestandteil des gottgefälligen Lebens. Der Glaube ist hier nicht länger eine Eigenschaft des Partners, sondern die eigentliche Motivation, überhaupt einen zu suchen. Nicht mehr online ist die Seite „Jihad Matchmaker“, die PartnerInnen unmittelbar für den gemeinsamen Kampf vermittelt hat und inzwischen wohl ersetzt wurde durch ein von außen nicht mehr einsehbares Angebot unzähliger Chatgruppen und Mikroblogs über Messenger wie Whatsapp oder Telegram. Einige Frauen haben Dschihadisten gleich über Skype geheiratet, andere nur die gemeinsame Ausreise organisiert, oder sich im Kalifat verabredet.

Vordergründig geht es jedenfalls um geordnete Verhältnisse – um eine gottgefällige Ehe. Vorhanden sind Krieg und Gewalt aber auch in dieser weiblichen Partnersuche: in Gestalt des männlichen Kriegers, des „Löwen“, der für die gemeinsame Überzeugung kämpft.

Dass die Frauen den Terror auch unbewaffnet unterstützen, indem sie das System stabilisieren, Propaganda verbreiten und den Kämpfern den Rücken stärken, beobachten die Sicherheitsbehörden auch in Bremen und folgen damit der Einschätzung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes: „Die Männer haben gemerkt“, heißt es dort, „dass Frauen viel besser netzwerken können und deshalb viel stärker in der Lage sind, die Szene zu binden und am Leben zu halten.“ Umgekehrt befürchtet man nun auch in Bremen, die Rückkehrerinnen seien wegen ihrer Vernetzung noch erheblich schwerer aus der Szene zu lösen als Männer.

Und die Sorge des Sicherheitsapparats gilt nun auch den in Syrien geborenen Kindern, die mit ihren Müttern zurückkehren. Bisher nämlich sind salafistische Familienstrukturen die absolute Ausnahme, verglichen mit der salafistischen Rebellion gegen das Elternhaus.

Auch die Streetworkerin Eren-Wassel hatte bislang nicht mit solchen Fällen zu tun, gibt sich aber zuversichtlich: Sozialarbeit in Deutschland habe mit Rechtsextremismus und vor allem auch während des Sektenbooms in den 1970er- und 1980er-Jahren einschlägige Erfahrungen gesammelt – und das ließe sich schon übertragen. Im jeweiligen Einzelfall.

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