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Schaden als Chance

Fahrradfahrer sollten auch leichte Unfälle mit Autos bei der Polizei melden. Das kann politische Wirkung entfalten, die Straßen sicherer machen und sich finanziell rechnen

Von Lars Klaaßen

Mit den Zahlen ist das so eine Sache. Die Polizei hat 2016 rund 2,6 Millionen Verkehrsunfälle in Deutschland erfasst. Die Versicherungsbranche hat für denselben Zeitraum hingegen 3,5 Millionen Verkehrsunfälle in den Akten. Weil bei leichten Fahrradunfällen oft keiner die Polizei hinzuruft, erfasst diese nur einen kleineren Teil des Geschehens. Die Notwendigkeit, wegen bloßer Sachschäden die Versicherung in Anspruch zu nehmen, wird von den beteiligten Autofahrern hingegen weit häufiger gesehen. „Bei Unfällen mit Kraftfahrzeugen ist die Dunkelziffer, also nicht gemeldete Unfälle, zwar geringer als bei Unfällen nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer untereinander oder bei Alleinunfällen“, sagt Roland Huhn, Referent Recht beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). „Aber selbst hier ist die bekannte Differenz erheblich.“ Hinzu kämen noch folgenlose Kollisionen und Beinaheunfälle, die allesamt bei keiner Stelle gemeldet würden.

Wo wird es öfter mal knapp?

Ecken, an denen Radfahrer regelmäßig knapp einem Unfall entgehen, werden nämlich häufig nicht wahrgenommen. Erst wenn es einmal richtig kracht und jemand gesundheitlich zu Schaden kommt, gehen die Scheinwerfer an. Verschwänden diese vermeintlichen Bagatellfälle nicht unter dem Radar, sähe das offizielle Bild der Verkehrssicherheit ganz anders aus. Und das hat Folgen. „Könnten wir im Ganzen erfassen, was und wo auf den Straßen jeden Tag schiefgeht“, so Huhn, „ließe sich die Prävention deutlich verbessern.“ Das Wissen darum, wo sich immer wieder leichte Unfälle ereignen, könnte Verkehrsplanern wichtige Hinweise liefern, was sich wo für Fußgänger und Radler verbessern ließe. Das bisherige Bild sieht so aus: Fast 80.000 Fahrradunfälle wurden im Jahr 2016 gemeldet, mehr als 14.500 Radfahrer wurden dabei so schwer verletzt, dass sie für mindestens 24 Stunden ins Krankenhaus mussten. 80 Prozent dieser Unfälle waren Kollisionen zwischen Auto und Fahrrad. Bei schweren Verletzungen werden ohnehin Krankenwagen und Polizei gerufen. Aber auch bei nur leichten Sachschäden lohnt es sich für die involvierten Radler, die Polizei einzuschalten. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn es geht auch um Geld: Denn solange sie selbst sich an die Verkehrsregeln gehalten haben, können Radfahrer vom Unfallgegner mit Kfz einen Schadensersatz erwarten, ohne ein Verschulden nachweisen zu müssen. Dem Kfz wird, ähnlich wie der Bahn oder einem AKW, vom Gesetzgeber eine grundsätzliche Betriebsgefahr unterstellt, und die schlägt bei Unfällen zu Buche.

Ob ein Verkehrsunfall für Radler gesundheitliche oder gar tödliche Folgen hat, wird von sehr unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. „Das ist zum Beispiel auch eine Altersfrage“, weiß Huhn. „Von den bei Unfällen getöteten Radlern sind 59 Prozent mindestens 65 Jahre alt.“ Während die Verletzungsgefahr bei Unfällen für Autoinsassen eng mit der Geschwindigkeit korreliert, spielen bei Radlern viele Zufälle eine Rolle. „Auch deshalb“, betont Huhn, „wäre es von Vorteil, wenn die Polizei mehr leichte Unfälle erfasst.“ Deren Berichte und Statistiken werden an die Verkehrsunfallkommission weitergegeben, wo wiederum auch Stadtplaner der Kommune sitzen. Diese erhielten dann ein umfassenderes Bild. „Nicht jeder mag lange am Unfallort warten, bis die Polizei kommt“, wendet Huhn ein. Aber man könne leichte Unfälle auch später melden. Nach drei Monaten jedoch verjähren Ordnungswidrigkeiten.

Recht und Geld bekommen

„Auch Radfahrer, die einen leichten Unfall mit einem Auto hatten, sollten die Polizei rufen“, rät Anja Matthies, Rechtsanwältin bei bikeright. „Denn Versicherungen versuchen immer wieder einmal, Ansprüche vom Unfallgegner ihrer Klienten zu kürzen.“ Ein Polizeibericht helfe, gerechtfertigte Forderungen durchzusetzen. Viele Radler wollen eine juristische Auseinandersetzung meiden, weil sie den Aufwand und die Kosten scheuen. Hier will bikeright ­Abhilfe schaffen. Nach einem Unfall können Radfahrer dort anrufen oder einen Termin über die Webseite buchen. Die Kanzlei arbeitet bundesweit, eine Erstberatung ist kostenlos. Hält bikeright eine juristische Auseinandersetzung für aussichtsreich, können die Radfahrer mit der bike­right GmbH einen Vertrag abschließen. Diese finanziert ihnen den Prozess. Wird am Ende eine Schadenssumme ausgezahlt, behält bikeright 25 Prozent ein. Wird nichts ausgezahlt, bekommt auch bike­right nichts. „Etwa 90 Prozent der Fälle können wir außergerichtlich klären“, berichtet Matthies.

Geschädigte Radfahrer kommen auf diesem Weg nicht nur ohne großen Aufwand zu Schadensersatz, sondern haben der Unfallstatistik damit auch noch Informationen geliefert, die auch auf der Straße vielleicht noch etwas verbessern.

adfc.de

bikeright.de

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