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Getöteter Gendarm wird zum Nationalhelden

Vieles bleibt unklar nach der Geiselnahme in einem südfranzösischen Supermarkt. Der von der Polizei erschossene Täter soll sich auf den „Islamischen Staat“ berufen haben

„Sein Opfer macht seiner Einheit und der Nation alle Ehre“

Präsident Emmanuel Macron über den getöteten Arnaud Beltrame

Aus Paris Rudolf Balmer

Noch fehlen Details über Ablauf und Beendigung einer terroristischen Geiselnahme in Trèbes bei Carcassonne in Südfrankreich. Der 25-jährige Radouane L., der sich in einem Testament auf den „Islamischen Staat“ (IS) beruft, hat am Freitag bei drei Etappen seiner mörderischen Aktion vier Menschen getötet und mehrere verletzt, bevor er beim Sturm der Gendarmerie-Spezialeinheit GIGN auf den Supermarkt, in dem er sich mit einer Pistole und drei später entdeckten Sprengsätzen verschanzt hatte, erschossen wurde. Die Behörden haben nur wenig Informationen zu dieser Erstürmung geliefert.

Für die Medien und die Staatsführung aber gibt es dabei einen Helden: Der 45-jährige Gendarmerie-Offizier Ar­naud Beltrame hatte sich bei den Verhandlungen mit dem Terroristen angeboten, den Platz der Geiseln einzunehmen. Beltrame hat dies mit dem Leben bezahlt. Er wurde nach dem Sturmangriff seiner Kollegen schwerverletzt per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht, wo er Stunden später starb.

„Er hat das Leben anderer gerettet, sein Opfer macht seiner Einheit und der Nation alle Ehre“, sagte Staatspräsident Emmanuel Macron. In der einstimmigen Bewunderung dieses „Nationalhelden im Krieg gegen den Terror“ ist vom Lebenslauf eines exemplarischen Offiziers die Rede, der im Verlauf seiner Karriere immer ein Vorbild für seine Kameraden gewesen sei. Niemand unter seinen Vorgesetzten, Kollegen und Angehörigen zeigte sich überrascht von Beltrames aufopferndem Einsatz. Alle schildern ihn als einen Pflichtbewussten, dem der Patriotismus und der Dienst für Nation und Mitmenschen über alles andere ging.

Laut Staatsanwalt François Molins hatte der in Marokko geborene, aber in Carcassonne wohnhafte Radouane L. am Morgen zuerst ein Auto gestohlen und dabei den Fahrzeughalter schwer verletzt und einen Beifahrer getötet. Vermutlich hatte er zuerst einen Angriff auf Soldaten vorgehabt, aber vergeblich vor einer Kaserne gewartet. Danach habe er vier CRS-Polizisten bemerkt, die vom Joggen heimkehrten, und habe auf sie geschossen. Einer von ihnen wurde verletzt.

Danach ließ der flüchtende Radouane L. das Fahrzeug vor dem Geschäft Super-U in Trèbes stehen. Zu Beginn der anschließenden Geiselnahme im Supermarkt erschoss er den Fleischer und einen Kunden. Von zunächst fünfzig Anwesenden konnten in der Verwirrung zwanzig durch eine Hintertür fliehen. Andere Geiseln ließ der Terrorist nach Verhandlungen gehen. Als nur noch eine Verkäuferin als Geisel übrig blieb, bot sich Beltrame an, ihren Platz einzunehmen. Der Oberstleutnant der Gendarmerie hatte im Dezember 2017 an einer Übung teilgenommen, bei der das Szenario eine terroristische Geiselnahme in einem Supermarkt war.

Laut Molins habe Beltrame dann sein Mobiltelefon auf Gesprächskontakt gestellt, damit seine Kollegen mithören konnten, was vorging. Als sie so nach fast drei Stunden Schüsse hörten, griffen sie an und erschossen den Geiselnehmer. Sie fanden Beltrame schwer verletzt. Hatte er versucht, den Terroristen zu überwältigen, oder war dieser mit den Nerven am Ende gewesen? Wurde Beltrame gar durch Schüsse aus dem eigenen Lager verletzt?

Was genau geschehen ist, bleibt vielleicht für immer unklar. Beltrame aber hat seinen Platz als Opfer und Held im Kampf gegen den Terrorismus. Die Regierung hat eine nationale Gedenkfeier angekündigt und zieht mit ihrer patriotischen Verklärung des Exempels ohne zu zögern den ganzen politischen Nutzen aus der Tragödie.

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