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„Es gibt noch große Scheu“

Die Leiterin der NS-Gedenkstätte Bunker Valentin im taz-Gespräch über den Umgang mit rechten Übergriffen und die Alltäglichkeit von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus

Foto: Wolfgang Borrs

Christel Trouvé, Jahrgang 1970, ist wissenschaftliche Leiterin des Denkorts Bunker Valentin.

Interview: Gareth Joswig

taz: Frau Trouvé, kürzlich sprühten mutmaßlich Rechte vor dem NS-Gedenkort Valentin „Stoppt den Schuldkult“ an eine Mauer. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Christel Trouvé: Meine erste Reaktion war ein großer Seufzer: Da haben schon wieder welche nicht verstanden, worum es an diesem Ort geht. Dieser vermeintlich praktizierte Schuldkult ist eine Phantasmagorie, auf der viel zu viel herumgeritten wird.

Bürgerschaftspräsident Christian Weber hat vorgeschlagen, den Spruch mit einer einordnenden Plakette als Diskussionsanstoß stehen zu lassen. Dann wurde er von Linken übersprüht und daraufhin entfernt.

Ich halte es für problematisch, so einen Spruch hier stehen zu lassen – gerade mit Blick auf die Menschen, die hier gelitten haben, aber auch unseren Besuchern und den Menschen gegenüber, die eine andere Haltung vertreten. Und jene, die das dahingeschmiert haben, sind mit aufklärerischen Argumenten anscheinend nicht mehr zu erreichen. Ein anderer Weg könnte beispielsweise eine künstlerische Auseinandersetzung sein, so wie sie bereits an anderen Orten praktiziert wird.

Anfang Februar gab es eine Demo gegen zunehmende rechte Aktivitäten in Bremen-Nord. Spüren sie den Rechtsruck auch bei Ihren Besuchern?

Es ist in den letzten Jahren ein paar Mal passiert, dass Besucher als Neonazis zu identifizieren waren. Unsere Hausordnung verbietet das Tragen bestimmter Kennzeichen und wir bereiten unsere Mitarbeiter mit Workshops auf solche Situationen vor. Wir bitten jedes Mal höflich, aber bestimmt, das Gelände zu verlassen. Es gab eine Situation, die nicht so schön hätte ausgehen können – aber der Kollege ist sehr gut geschult und hat entsprechend reagiert. Aber das ist nicht alltäglich: Wir erleben von Besuchern viel Zuspruch für unsere Arbeit.

Wie sieht es mit rechten Schmierereien und Anschlägen aus?

Der Anschlag auf das Mahnmal an Pfingsten 2016 war natürlich brutal. Unbekannte hatten einen Anti-Antifa-Spruch auf das Mahnmal geschmiert und Blumenkränze angezündet, die Nachfahren von Zwangsarbeitern ein paar Tage zuvor als Erinnerung an die Opfer niedergelegt hatten. Das war extrem heftig. Zeitgleich gab es mehrere rechtsextremistische Aktionen in der Stadt, an der Uni und am Weserstadion. Außerdem gab es im vergangenen Jahr eine regelrechte Aufkleber-Schlacht im Umfeld des Bunkers. Neonazi-verherrlichende Sticker finden wir immer wieder in der Nähe.

Wie viel wussten Bremer­Innen von Zwangsarbeit und Massenmord?

Zwangsarbeiter sind täglich von den Lagern durch das Dorfleben marschiert. Aus ihrer Perspektive ist vollkommen klar: Sie haben Menschen gesehen, in den Fenstern, am Straßenrand. Viele Bauern in Bremen-Nord beschäftigten Zwangsarbeiter. Je mehr ich mit Anwohnern in der Umgebung spreche, desto mehr ist spürbar, dass es viele Berührungspunkte gab. Es heißt dann: „Ja, mein Großvater hatte einen Russen oder ein paar Polen auf dem Hof.“

Das war Alltag?

Ja, am besten beantwortet diese Frage ein Zeitzeugen-Zitat eines damaligen Anwohners: „Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis die Häftlingskolonne vorbei war. Zuerst kamen die vom Arbeitserziehungslager, dann die Kriegsgefangenen, zuletzt die KZ-Häftlinge. Das war ein ganz alltägliches Bild.“ Zudem gab es Berichterstattung, etwa in der Norddeutschen vom 27. Dezember 1943: „Der Einsatz an fremdvölkischen Arbeitskräften hat inzwischen einen großen Umfang angenommen, sodass wir täglich, nicht nur in den Betrieben, sondern auch im öffentlichen Leben, mit ihnen in Berührung kommen.“ Quellen und Zeitzeugen widersprechen also allen, die später behaupteten, sie hätten nichts gewusst und gesehen.

Spürt man die Tendenz zur Verdrängung noch heute in der Nachbarschaft der Gedenkstätte?

Es gibt immer noch eine große Scheu, bestimmte Dinge anzusprechen und zu erzählen. Gerade wenn die Familie in irgendeiner Weise involviert war. Aber wir haben auch die gegenteilige Erfahrung gemacht: Einige Personen haben sich ganz aktiv gemeldet und sprechen darüber. Davor habe ich großen Respekt. Es ist nicht leicht zu sagen: „Mein Großvater hat eine Rolle gespielt, die ich mir nicht gewünscht hätte.“

Sind das die Momente, auf die Sie in Ihrem Alltag hinarbeiten?

Wir versuchen hier, Geschichte verständlich zu machen, historische Prozesse und deren Komplexität zu dekonstruieren. Das Wissen führt dazu, dass man sich anders verhält. Die Schuldkult-Debatte ist eine Rauchwand, hinter der sich Leute verstecken; ein Ablenkungsmanöver, um keine Verantwortung für Gegenwart und Zukunft zu übernehmen.

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