Lob des Bierbikes: Der Makel am Ort der Macht

Das Bierbike ist der giftig-demokratische Stachel im Gesäß des Bildungsbürgertums. Und das sollte unbedingt so bleiben.

Menschen radeln auf einem Bierbike

Gelebte Demokratie! Menschen auf einem Bierbike Foto: Imago/IPON

Zu den Bierbikes, den rollenden Tresen mit Fahrradantrieben, scheint es in diesem Land keine zwei Meinungen zu geben: Die Bierbikes sind, so hört man allerorts, der absolute Tiefpunkt des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Politiker, Journalisten und Bevölkerung sind sich ausnahmsweise einig. Fahrradfahrende Sauftouristen seien, poltern sie, ein Schandfleck für Deutschlands wunderschöne Innenstädte.

Sogar Berlin, einst Hochburg alternativer Lebensphilosophien, besinnt sich mittlerweile wieder auf sein kulturelles Erbe preußischer Tugendhaftigkeit. Das Bezirksamt von Berlin-Mitte hat die verhassten Bierbikes aus dem historischen Stadtzentrum verbannt. Und kürzlich wurde vom Verwaltungsgericht bestätigt: Es ist zulässig, sie auf bestimmte Straßen zu beschränken – und unter der Woche auch auf bestimmte Zeiten.

Die grüne Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop will die Bikes gleich ganz verbieten. Die Stadt brauche, wie sie in ihrem Tourismuskonzept „2018 plus“ verkündete, mehr Qualitätstourismus in Form von Kongressbesuchern, Gourmetfeinschmeckern und Kulturliebhaberinnen.

Null Feinstaub, null Rußpartikel

Die Bierbikes würden, so argumentieren die Gegner, die Sicherheit gefährden, den Verkehrsfluss behindern, sie seien ein öffentliches Ärgernis und würden ein falsches Image der Stadt in die Welt hinaus senden.

Papperlapapp. Alles Unsinn.

Seit der Einführung der Bierbikes in Berlin hat es mit ihnen keinen einzigen Unfall gegeben. Die Fahrer müssen stets nüchtern sein, die Bremsen funktionieren und nach jeder Tour wird das Gefährt gewartet. In puncto Sicherheit dürfte das Bierbike den meisten anderen Rädern in Berlin überlegen sein.

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Auch sind sie auf den mehrspurigen Straßen der Innenstadt kein Verkehrshindernis. Man kann sie leicht überholen, sie sind nur vereinzelt unterwegs, und verpesten – anders als die Taxis, Busse, manipulierten Dieselkraftfahrzeuge und SUVs – die Luft nicht mit ihren Abgasen. Das Bierbike ist der Inbegriff einer ökologisch verantwortungsbewussten Verkehrspolitik. Null Abgase. Null Luftverschmutzung. Null Feinstaub. Null Rußpartikel.

Ungeachtet dessen, behaupten die Kritiker, seien die Bierbikes ein öffentliches Ärgernis. Na ja, die unschönen Szenen mit besoffenen englischen Touristen, die den Passanten grölend ihre Hintern entgegenstreckten, sind schon lange passé. Vor jeder Tour gibt es Alkoholkontrollen. Wer mehr als 0,2 Promille im Blut hat, darf nicht mitfahren. Es dürfen keine Spirituosen wie Schnaps oder Likör getrunken werden. Die Obergrenze für Bier liegt bei einem 20-Liter-Fass für 16 Teilnehmer.

Und: Die Tour dauert zwei Stunden. Das Fahrrad wiegt 1.000kg. Da muss man kräftig strampeln, der Alkohol wird wieder ausgeschwitzt. Ist doch eigentlich ganz wunderbar, sollte man denken: anstatt in irgendwelchen Bars rumzuhängen, tun unsere Gäste auch noch etwas für ihre Fitness und werden dabei direkt wieder klar.

Gestörter Wille zur Arbeit

Dennoch: Sie trinken Bier, sind gutgelaunt, hören Musik und singen im öffentlichen Raum. Diese Lebensfreude kann im durchrationalisierten, rauen Alltag eines gestressten Großstadtbürgers natürlich gehörig auf die Nerven gehen. Im urbanen Tagesablauf herrscht protestantische Arbeitsethik; Nichtstuer und Gute-Laune-Menschen werden da schnell zu Störenfrieden.

Ja, sie stören die Konzentration, die Sublimierung, den kapitalistischen Lebensfluss, sie stören den Willen zur Arbeit. Kurzum: Das öffentliche Ärgernis ist die verblasste Erinnerung an den Urlaub, eine Art Sehnsucht auf Rädern – nach einem anderen, dem leichteren Leben.

Bliebe also noch das Image-Problem. Weshalb, fragt sich der bildungsbürgerliche Staatsbürger, müssen die ausgerechnet auf Deutschlands Prachtboulevard Unter den Linden ihr Unwesen treiben?

Der Berliner Dom, das Stadtschloss, das Historische Museum, die Staatsoper, die Humboldt-Universität, das Reiterstandbild Friedrich des Großen, die diplomatischen Vertretungen der Weltmächte, das Brandenburger Tor, die Akademie der Künste – hier weht der Geist der Geschichte, hier wurde und wird Weltpolitik gemacht, hier repräsentiert sich das Land der Dichter und Denker mit der architektonischen Wucht seiner vergangenen Jahrhunderte. Bierbikes seien, so der bildungsbürgerliche Staatsbürger, die Makel inmitten dieses ruhmreichen Ortes des Geistes und der Macht.

Grölen gegen die Zentralen der Weltpolitik

Das Bierbike ist der giftig-demokratische Stachel im piefigen Gesäß des deutschen Bildungsbürgertums. Die triumphale Schicksalsmacht von einst: unterwandert von rhythmisch-tanzbaren Popsongs, zu denen in die Pedale getreten wird.

Der staatstragende Untertan: heute ein mündiger Radfahrer, der auf die unerträgliche Leichtigkeit des Seins mit einem Bier anstößt und den Zentralen der Weltpolitik „Can’t Take My Eyes Off You“ entgegen singt – in der Coverversion von Gloria Gaynor. „I love you, baby, and if it’s quite alright I need you, baby, to warm a lonely night. I love you, baby …“

Das ist Poesie, gelebte Demokratie, ist eine humorvolle Antwort auf die Dialektik der Aufklärung, ist die Kampfansage an den neoliberalen Individualismus im Kreise seiner singenden Freunde. Nein, Berlin braucht keinen neuen spießbürgerlichen „Qualitätstourismus“ á la Ramona Pop mit einem zahlungskräftigeren Biedermeier-Publikum, das tagsüber andächtig durch die Museen flaniert und abends kultiviert die Oper besucht oder formvollendet in einer der vielen Gourmettempel der Hauptstadt speist.

Berlin soll schmutzig, ambivalent, laut, jung, leidenschaftlich, genusssüchtig, dilettantisch, frivol, sexy, illoyal, unseriös und bierbikeistisch bleiben. Fertig, aus.

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