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31 Jahre Schweinefernsehen

Die Unis in Göttingen, Hannover und Kiel arbeiten zusammen mit zwei Landwirtschaftskammern an einem Projekt, das die Schweinehaltung verbessern soll. Ein Besuch im kameraüberwachten Versuchsstall

Aus Futterkamp Esther Geißlinger

Neugierig zupfen und zerren runde Schnauzen am festen Stoff des Overalls und an den Gummistiefeln. Ein Konzert aus Grunzen und Quieken aus fast 60 Schweinekehlen erschwert jede Unterhaltung, aber Michael Hahne und seine Kollegin Maria Gentz brauchen nicht viele Worte. Die beiden stehen in einem Koben der Lehr- und Versuchsanstalt Futterkamp, um sie herum 14 Tiere. Beide tragen grüne Baumwollanzüge, hohe Stiefel und Plastikhandschuhe. Sie lassen die Schweine an Wattenbäuschen nuckeln, um Speichelproben zu nehmen. Das Problem ist, von jedem Tier genau eine Probe zu erhalten, was einfacher klingt, als es ist. Denn die Tiere, alles andere als scheu, drängen sich gegen die Beine der beiden WissenschaftlerInnen, rennen durcheinander und scheinen das Ganze für einen großen Spaß zu halten.

Elf Wochen sind die Schweine in diesem Koben alt. Jenseits des Mittelgangs, der den langgezogenen Stall in zwei Hälften teilt, toben auf einer ebenso großen Fläche weitere 14 Jungschweine herum, sie sind eine Woche älter. Insgesamt gibt es noch zwei weiteren Koben. Die Luft riecht nicht gerade nach Veilchen, aber für einen Stall voller Schweine frisch und sauber, dank eines Entlüftungsverfahrens, das den stechenden Ammoniakgeruch abzieht. Die Koben sehen sauber aus, nicht nur, weil der Kot der Tiere durch den Spaltenboden fällt, sondern vor allem, weil jede Schweinegruppe eine Ecke ihres Reviers als Toilette benutzt und die anderen Bereiche rein hält.

Maria Gentz hat eine weitere Probe genommen und steckt das Teströhrchen in das dafür vorgesehene Kästchen. Später wird der Schweinespeichel im Labor auf das Hormon Cortisol untersucht. Es entsteht in der Niere und dient als Anzeiger für Stress. Hahne schaut sich die Haut der Tiere an: Gibt es Kratzer oder blaue Flecken, sind die rosigen Ohren heil? Gentz hat ein besonderes Auge auf die Ringelschwänze – alle Schweine sind unkupiert, was eine Besonderheit in deutschen Ställen ist.

„Toll zu sehen, dass das geht“, sagt die 25-Jährige, die in Göttingen Agrar­wissenschaft studiert hat und nun ihre Doktorarbeit über das Verhalten von Schweinen schreibt. Hahne (26), studierter Tiermediziner, promoviert an der Uni Hannover zur Gesundheit der Tiere. Beide beteiligen sich an „Inno-Pig“, einem auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekt, für das 2,7 Millionen Euro bereitstehen. Beteiligt sind die Christian-Albrechts-Universität Kiel, die Georg-August-Universität Göttingen und die Tierärztliche Hochschule Hannover, die Landwirtschaftskammern Schleswig-Holstein und Niedersachsen, die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands sowie eine Reihe von Unternehmen, die Stallsysteme und Ausrüstung herstellen.

Wegen der langen Laufzeit und der Bandbreite der Beteiligten sei Inno-Pig ein „sehr ungewöhnliches Projekt“, sagt der 34-jährige Tierarzt Onno Burfeind, der an der Lehr- und Versuchsanstalt Futterkamp für die Schweinehaltung verantwortlich ist. Futterkamp, ein ehemaliger Gutshof, liegt mit seinen zahlreichen Stallungen und Feldern im Hügelland des nord-östlichen Schleswig-Holsteins. Hier werden angehende Landwirte ausgebildet, hier testet die Landwirtschaftskammer neue Getreidesorten. Und probiert moderne Haltungsformen aus. „Wir möchten den Bauern eine Stallform vorschlagen, die gut für die Tiere ist, die aber auch so wirtschaftlich umgesetzt werden kann, dass die Höfe Gewinn abwerfen“, sagt Burfeind. Solchen Ideen würden sich Landwirte keineswegs verweigern: „Viele bitten um Rat, wie sie es machen können.“

Einer der Probleme, die bei der Massenhaltung von Schweinen immer wieder genannt werden, ist das Kupieren der Ringelschwänze. Bisher passiert das standardmäßig, auch in Futterkamp, wo pro Jahr 12.000 Ferkel geboren werden. „Abschneiden ist der beste Schutz vor Abbeißen“, sagt Burfeind.

Maria Gentz erforscht im Rahmen des Inno-Pig-Projektes, ob es auch anders geht. In mehreren Versuchsreihen werden Ferkel von der Geburt bis zur Schlachtreife begleitet, gewogen, gemessen und gefilmt. In allen Ställen hängen Kameras, die rund um die Uhr laufen. „Alles in allem 31 Jahre Schweinefernsehen“, seufzt Gentz. Die Dauersendung aus dem Stall wird die Doktorandin im Schnelldurchlauf anschauen müssen, sie hofft auf ein paar Erkenntnisse aus dem geheimen Leben der Schweine: „Wann sind die Tiere nervös, warum gibt es Streit, wie entstehen Konflikte?“ Bewegungsprotokolle sollen verraten, wer König oder Königin im Koben ist, welche Tiere sich unterordnen und zu welchen Uhrzeiten welche Aktivitäten anstehen.

Inno-Pig setzt bereits bei den Muttersäuen an. Normalerweise werden die Tiere, die gut 200 Kilo wiegen, vor der Geburt in „Ferkelschutzkörben“ zwischen Metallstangen fixiert, damit sie sich nicht hinlegen und die Jungtiere erdrücken können. „Das sind die größten Verluste in den ersten Lebenstagen“, sagt Burfeind. Rund 15 Prozent der Ferkel sterben, weil die Sau sie unabsichtlich tötet.

Doch der Preis für die Muttertiere ist hoch: Sie stehen wochenlang in den „Schutzkörben“, in denen sie sich nur vorwärts und rückwärts bewegen können. Im Inno-Pig-Versuchsstall gibt es eine gemeinsame Kinderstube, in der sich mehrere Sauen mit ihren Ferkeln frei bewegen können. Es ist ein großer Bereich im Stall, mit Boxen an den Seiten, wo jeweils eine Sau mit ihren Jungen liegt. Wärmelampen werfen rotes Licht auf die Ferkelchen, die lang ausgestreckt auf dem Boden liegen.

„Die prügeln sich auch, um die Rangfolge klar zu machen“

Michael Hahne, Tiermediziner im Schweine-Versuchsstall, über seine Schützlinge

So friedlich es aussieht, Burfeind ist nur halb überzeugt: „Wenn eine Sau sich hinlegt, wird sie gleich von 40 Ferkeln umlagert, die trinken wollen. Wenn die letzte sich legt, ist die erste schon wieder aufgestanden – das macht jede Menge Unruhe.“ Einige Ferkel drängen sich bei mehreren Sauen an die Zitzen, andere kommen gar nicht zum Zug: Was in der Natur normal wäre, stört die durchgeplanten Abläufe eines Betriebes. Auch werden im Gewusel noch mehr Jungtiere erdrückt. „Das kann auch nicht im Sinne des Tierwohls sein“, meint Burfeind. Er propagiert eine Zwischenform, bei der die Sau nur einige wenige Tage im Schutzkorb festgehalten wird statt wie jetzt einige Wochen.

Maria Gentz und Michael Hahne setzen mit ihren Forschungsprojekten an, wenn die Ferkel von den Muttertieren getrennt werden. Der heutige Standard in konventionellen Betrieben sieht vor, dass die Tiere in einen neuen Stall gebracht, gemästet und erneut sortiert werden, wenn sie 30 Kilo wiegen. In einem dritten Stall wachsen sie zur Schlachtreife von 125 Kilo heran, die sie nach etwa sechs Monaten erreichen. „Wir testen hier die einphasige Mast“, sagt Hahne. Sprich: Die Tiere werden in 14-köpfige Gruppen aufgeteilt und leben in diesen Herden bis zum Transport ins Schlachthaus. Das Ziel ist, dass die Tiere weniger Stress haben, weil sie einander seit Ferkeltagen kennen.

„Die prügeln sich auch, um die Rangfolge klar zu machen“, sagt Hahne. „Aber es ist ein Unterschied, ob Jungtiere mit sieben oder welche mit 30 Kilo Gewicht aufeinander losgehen.“ Vor allem: Da der Platz am Ende für 14 Tiere reichen soll, die fast einen Meter lang sind und breite Rücken haben, haben die heranwachsenden Ferkel vergleichsweise viel Platz. Auch das entspannt – macht allerdings einem Landwirt, der scharf kalkuliert, Kummer, weil er den Ferkeln mehr als den gesetzlichen Mindestplatz bietet. Auch sind die heutigen Spaltenböden entweder für die zarten Klauen der jüngeren Ferkel oder die schweren Schweine vor der Schlachtreife zugelassen, ein Boden für beide Altersstufen fehlt. „Da müsste es eine gesetzliche Lösung geben“, so Burfeind.

Bei ihrem Rundgang durch den Versuchsstall sind Gentz und Hahne bei den größten Schweinen angelangt. Auch hier stehen 14 Tiere auf knapp 15 Quadratmetern. Die Jungschweine, ein halbes Jahr alt und um die 120 Kilo schwer, sind ruhiger als ihre jüngeren Geschwister. Allerdings immer noch neugierig: Wenn ein Gast zu ihnen in den Koben tritt, schnuppern sie genauso an den Hosenbeinen wie die Kleinen. Ihre Ringelschwänze haben sie alle noch, trotz der Enge in den Boxen. Maria Gentz musterte die Tiere zufrieden. Trotzdem: Gelöst ist die Frage noch längst nicht. „Hätte ich die Antwort, ich wäre reich“, sagt die Doktorandin.

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