: Das Wort Frieden ist in der Türkei verboten
Die türkische Polizei hat im Zusammenhang mit der Militäroffensive in Afrin offiziell 91 Personen festgenommen, die das Vorgehen kritisieren. Darunter befinden sich mehrere Journalisten, unter anderem ein Autor der taz gazete
Von Ali Çelikkan undDoris Akrap
In der Nacht zum Dienstag sind in Ankara acht Personen im Zusammenhang mit der Militäroffensive in Afrin festgenommen worden. Unter den Inhaftierten sind neben Mitgliedern der Oppositionspartei HDP und des Menschenrechtsvereins IHD auch die beiden Journalisten Sibel Hürtaş und Hayri Demir.
Hürtaş ist die Ankara-Korrespondentin des TV-Senders Artı Gerçek. Der Journalist Hayri Demir arbeitet für die Mezopotamia News Agency und die taz gazete. Vor ihrer Schließung war Demir für die Nachrichtenagentur Diha tätig. Beiden Journalisten wird vorgeworfen, Terrorpropaganda und Volksverhetzung zu betreiben. Beide wurden auf die Polizeiwache der Antiterroreinheit in Ankara gebracht.
Zuvor waren ihre Wohnungen gestürmt und durchsucht worden. Dabei wurden im Fall von Demir Texte als „Beweise“ beschlagnahmt, darunter ein Interview mit der ehemaligen Kovorsitzenden der HDP, Figen Yüksekdağ. Demirs Anwalt Ceren Şimşek hatte bis zum gestrigen Dienstagnachmittag keinen Kontakt zu seinem Mandanten. Er hoffte aber, noch für diesen Tag die Erlaubnis zu erhalten, ihn zu besuchen.
Hayri Demir hatte auf Twitter Berichte von Beobachtern der Militäroperation in Afrin wiedergegeben, die von den Informationen der Regierung abweichen. Sibel Hürtaş hatte Interviews geteilt, die sie mit einem Abgeordneten der HDP und einem ehemaligen AKP-Abgeordneten gemacht hatte, die sich gegen den Krieg in Afrin aussprachen und die Regierung kritisierten.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavuşoğlu hatte am Sonntag zu Protokoll gegeben, dass jeder, der sich gegen die türkische Afrin-Offensive ausspreche, ein Unterstützer der „Terroristen“ sei. Zuvor hatte die türkische Regierung in einen „15-Punkte-Plan“ vorgestellt, wie Journalisten über die „Operation Olivenzweig“ berichten sollen. Jeder Bericht, der nicht mit der Sicht der türkischen Regierung übereinstimmt, kann in ihren Augen demnach schon als Verbrechen gelten.
Konflikt Die Türkei will bei ihrer Militäraktion im Norden Syriens nach Angaben von Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu Gefechte mit syrischen, russischen und US-Soldaten vermeiden. Sie werde aber alles tun, was für ihre Sicherheit notwendig sei, sagte der Minister laut einem Fernsehbericht am Dienstag. Der türkische Angriff auf die Stadt Afrin im Nordwesten Syriens richtet sich gegen die Kurdenmiliz YPG und die von ihr dominierten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF). Diese werden von den USA unterstützt.
Kurdische Reaktionen Die Verwaltungen in den kurdisch kontrollierten Gebieten Syriens riefen die Generalmobilmachung aus. „Wir fordern unser gesamtes Volk auf, Afrin und seine Würde zu verteidigen“, heißt es in dem Appell. Die syrischen Kurden haben seit dem Beginn des Bürgerkriegs drei autonome Bezirke geschaffen, darunter auch Afrin im Nordwesten Syriens.
Türkische Drohungen Die Türkei drohte mit der Vertreibung syrischer Kurden aus der überwiegend von Arabern bewohnten syrischen Stadt Manbidsch im Osten des Landes. „Die Terroristen in Manbidsch feuern als Provokation ständig Schüsse ab“, sagte Çavuşoğlu nach dem Bericht des TV-Nachrichtensenders Habertürk. Er fügte hinzu: „Wenn die Vereinigten Staaten sie nicht stoppen, dann werden wir sie stoppen.“ Während die Kämpfe in Afrin am Dienstag weiter anhielten, beschoss die türkische Artillerie kurdische Gebiete im Nordosten Syriens. Außerdem bombardierte die Luftwaffe eine Stellung der PKK im Nordirak. (rtr, dpa)
Die türkische Staatsanwaltschaft hatte am Montag erklärt, dass in 57 Fällen Ermittlungen im Zusammenhang mit der Militäroffensive laufen würden. Regierungstreue Medien beziffern die Zahl der Betroffenen jedoch weit höher, etwa 300 Personen seien im Visier der Ermittler.
Die regierungsnahe Nachrichtenagentur Anadolu verbreitete am Dienstag die Nachricht, dass seit Beginn der Offensive 91 Personen in 13 türkischen Städten festgenommen worden seien, weil sie „falsche Informationen verbreitet und Propaganda für Terrororganisationen im Zusammenhang mit der Operation Olivenzweig“ betrieben hätten. Drei der Festgenommenen seien bereits in ein Gefängnis überstellt und inhaftiert worden.
Bereits Sonntagnacht wurde die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Nurcan Baysal in Diyarbakır festgenommen, der Journalist İdris Yılmaz in Van und der Journalist İshak Karataş in Istanbul. Auch das Haus von İsmail Eskin, ebenfalls ein Autor der taz gazete, der in Deutschland als politischer Flüchtling lebt, wurde von einer Polizeieinheit gestürmt. Laut Eskin wurde seine Familie in der Türkei bedroht, der man gesagt habe, sie sei in Gefahr, wenn er nicht aufhöre, über Afrin zu reden.
Die HDP-Abgeordnete Meral Danış Beştaş hatte am Montag im Parlament öffentlich Ministerpräsident Binali Yıldırım gefragt: „Ist es ein Verbrechen, gegen den Krieg zu sein?“ und sich nach den genauen Gründen und der Zahl der Festgenommenen erkundigt.
Das allgemeine Klima der Einschüchterung machte die oppositionelle Tageszeitung Evrensel am Dienstag zu ihrem Aufmacher. Ihr Titel lautete: „Sie haben verboten, Frieden zu sagen“. In Istanbul und Diyarbakır wurden Friedensdemonstrationen von der Polizei angegriffen und beendet, in Izmir und Kocaeli wurden Protestmärsche verboten, noch bevor sie begonnen haben.
Außerhalb der Türkei fanden am Montag Friedenskundgebungen statt, auch in Deutschland. In Hannover kam es auf dem Flughafen zu Rangeleien zwischen Kurden und einer protürkischen Gruppe.
Der Istanbuler CHP-Abgeordnete Barış Yarkadaş sagte: „Journalisten sind überall auf der Welt gegen Krieg. Sie müssen nicht so denken wie Politiker. Die AKP sollte begreifen, dass es unmöglich ist, dass alle so denken wie sie, und die Journalisten in Ruhe lassen.“
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