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Immer mehr Tote in Iran

Fünf Tage nach Beginn der Proteste drohen die Revolutionsgardisten damit, „den Spuk zu beenden“. Regierung spricht von „Feinden Gottes“ und „Feinden der Islamischen Republik“

Von Bahman Nirumand

Die Lage im Iran eskaliert. Ausschreitungen und gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei werden aus allen Teilen des Landes gemeldet. Allein in der Nacht zu Dienstag gab es nach Angaben des staatlichen Fernsehens neun Todesopfer. Damit steigt die Zahl der Toten auf mindestens 22. Hunderte von Demonstranten sind bisher festgenommen worden.

Der stellvertretende Sicherheitschef von Teheran sprach von 450 Demonstranten, die in den vergangenen drei Tagen in der Hauptstadt in Haft genommen worden seien. Der Vorsitzende des Revolutionsgerichts in Teheran, Mussa Ghasanfari, warf den Inhaftierten vor, die nationale Sicherheit gefährdet und öffentliches Eigentum beschädigt zu haben. Er bezeichnete sie als „Feinde Gottes“. Darauf steht nach islamischem Recht die Todesstrafe.

Nach offizieller Darstellung kamen von den neun zuletzt getöteten Personen sechs Demonstranten in der Stadt Ghahdaridschan ums Leben. Sie sollen eine Polizeistation in Brand gesteckt und versucht haben, Waffen zu stehlen. Ein Demonstrant starb in Chomeinischahr, ein Mitglied der paramilitärischen Basidsch-Miliz wurde Kahrissang getötet und ein Polizist in der Nähe von Nadschafabad. Alle Orte liegen in der Provinz Isfahan, etwa 300 Kilometer südlich von Teheran.

Tausende gehen auf die Straßen

Der Auslöser der Proteste Die Proteste in Iran haben am vergangenen Donnerstag mit Demonstrationen in Maschad im Nordosten des Landes begonnen. Die Proteste richteten sich anfänglich gegen die steigende Inflation und hohe Arbeitslosigkeit. Ein konkreter Anlass war möglicherweise ein Anstieg der Preise für Eier und Geflügel.

Keine gemeinsame Führung Da die Demonstranten bislang keine gemeinsame Führung haben, gibt es auch keine konkreten politischen Forderungskatalog an die Regierung in Teheran oder die jeweilige Stadtverwaltung. Die Kritik richtet sich sowohl gegen den gemäßigten Präsidenten Hassan Ruhani als auch gegen den Revolutionsführer und Hardliner Ali Chamenei. Der Internetzugang wurde stark eingeschränkt. (ap, taz)

Unterdessen erklärte der Vizekommandant der Revolutionsgarden in dem Stützpunk Sarallah, Esmail Kosari: „Wir werden nicht zulassen, dass sich die Unruhen in Teheran fortsetzen. Sollte es so weitergehen, werden sicherlich die Verantwortlichen die richtige Entscheidung fällen, und dann wird der Spuk aufhören.“ Noch hätten die Revolutionsgarden keinen Auftrag erhalten, einzuschreiten. Bislang sorge die Polizei für Ordnung. Sollte sie jedoch Hilfe benötigen, seien die Garden dazu bereit.

Das Informationsministerium veröffentlichte eine Erklärung, in der es heißt, mit Hilfe von „unbekannten Soldaten des verborgenen Imam Mahdi“ ( damit sind zivile Beamte des Geheimdienstes gemeint) und der Bevölkerung seien zahlreiche Aktivisten und „Unruhestifter“ festgenommen worden, anderen sei man auf der Spur.

Die Nachrichtenübermittlung ist inzwischen durch erhebliche Einschränkungen im Internet erschwert worden. Soziale Netzwerke wie Telegram und Instagram sind kaum noch für normale Nutzer zugänglich. Privatpersonen berichten, seit Samstag machten Polizisten von ihren Waffen Gebrauch.

Iranische Medien veröffentlichten am Dienstag Stellungnahmen führender Politiker, die zumeist von ausländischen Drahtziehern sprechen. Ali Schamchani, Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats, warf in einem Interview mit einem libanesischen Sender Saudi-Arabien vor, „einen Stellvertreterkrieg im Internet“ begonnen zu haben. Hinter den Botschaften, die im Iran im Internet verbreitet würden, seien Saudis, Amerikaner und Briten am Werk. Er warnte die Saudis und drohte mit harten Gegenmaßnahmen.

Auch Revolutionsführer Ali Chamenei, der sich erst am Dienstag zu Wort meldete, warf ausländischen Mächten vor, sich in die inneren Angelegenheiten des Iran einzumischen. Die „Feinde der Islamischen Republik“ hätten in den vergangenen Tagen zu verschiedenen Mitteln gegriffen, um „Probleme“ für die islamische Staatsordnung zu schaffen, hieß es auf der Webseite Chameneis. Sie hätten Geld, Waffen und ihre Geheimdienstapparate eingesetzt, um das Feuer der Proteste zu schüren. Namen bestimmter Mächte nannte Chamenei nicht.

Das Teheraner Parlament hat in den vergangenen Tagen mehrere Krisensitzungen einberufen, an denen auch Präsident Hassan Rohani teilnahm. Er versuchte, etwas differenzierter als andere Politiker auf die Proteste einzugehen. Es sei falsch, die Proteste auf ausländische Verschwörungen zurückzuführen. Es gebe reale und berechtigte Gründe für die Unruhen. Diese seien nicht nur wirtschaftlicher Natur. Die Menschen wollen auch mehr Freiheiten.

Bereits in seiner ersten Stellungnahme hatte Rohani den Demonstranten das Recht zugestanden, zu protestieren. Iran sei ein freies Land und jeder könne frei seine Meinung äußern. Allerdings dürfe diese Recht nicht missbraucht werden.

Tatsächlich finden die Proteste in Iran in saudischen Medien und unter Politikern des Landes nahezu euphorische Zustimmung. Auch aus den USA sind ermunternde Stellungnahmen zu vernehmen. Dasselbe gilt für Israel. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte: „Das Regime (in Teheran) hat Angst vor seinem eigenen Volk, deswegen werfen sie Studenten ins Gefängnis, deshalb verbieten sie soziale Medien.“

Etwas zurückhaltender verhalten sich die Europäer. Der britische Außenminister forderte die iranische Regierung auf, „eine öffentliche Debatte“ über „legitime und wichtige Belange“ der Protestierenden zu eröffnen. „Die Menschen sollten die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung haben und auf legale Weise friedlich demonstrieren dürfen“, sagte Boris Johnson. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel appellierte an die iranische Regierung, „die Rechte der Demonstranten zu akzeptieren, sich zu versammeln und frei und friedlich ihre Stimme zu erheben“. Und die syrische Oppositionskoalition mit Sitz in Istanbul erklärte ihre Unterstützung für den „Kampf gegen das Mullah-Regime“.

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