: Mer losse dr Dom in Immerath
Greenpeace-Aktivisten besetzen die Kirche, die für den Braunkohle-tagebau Garzweiler abgerissen werden soll
Von Bernd Müllender
Immerath ist nicht mal mehr ein Geisterdorf. Der niederrheinische Ort südlich von Mönchengladbach mit einst 1.500 EinwohnerInnen ist lange zwangsentsiedelt, die meisten Menschen wohnen jetzt im Reißbrettdorf „Immerath (neu)“ acht Kilometer weiter. Häuser, Straßen, das Krankenhaus und der Friedhof wurden abgerissen oder weggebaggert, Grünanlagen eingeebnet. Die Geisterfläche am Rande des Braunkohle-Tagebaugebietes Garzweiler hat noch genau ein nennenswertes Leftover: die Kirche St. Lambertus. Weil sie für ein Dorf ungewöhnlich üppig ausgefallen ist, gleich zwei 40 Meter hohe Glockentürme hat und wegen ihrer neoromanischen Pracht, wird sie Immerather Dom genannt.
Den freigelegten Dom hat sich RWE Power, von einigen längst „die Kohle-Taliban“ genannt, als Filetstück bis zum Schluss aufgehoben. Das Wahrzeichen der Region sollte am Montagmorgen ab 9 Uhr abgerissen werden. Wobei RWE das Wort „Abriss“ meidet. „Besucher können den Rückbau an dem Montagvormittag von einem sicheren Unterstand“ beiwohnen, hieß es in einer öffentlichen Bürgereinladung: Zaungäste willkommen beim Happening per „Longfront-Bagger und dem Hydraulikbagger mit besonders langem Greifarm“.
Die Rückbaumaßnahme fiel allerdings erst mal aus: Aktivisten von Greenpeace hatten das Gotteshaus besetzt. Motto: „Die Kirche im Dorf lassen.“
In der Nacht waren die Greenpeacer in die Kirche eingedrungen und hatten das bereits 2013 entwidmete Gotteshaus besetzt. Andere seilten sich mit Protestplakaten an der Fassade ab. Slogan: „Wer Kultur zerstört, zerstört auch Menschen.“
Drei weitere Protestler hatten sich an die Rückbaubagger gekettet, um die Kohlegräber bei ihrem zerstörerischem Tun zu hindern. An den Bauzäunen stellten etwa 40 DemonstrantInnen einen brennenden „#End Coal“-Schriftzug auf.
Greenpeace-Energiefachfrau Anike Peters nannte den Kohleausstieg derweil unvermeidbar: „Deshalb fordern wir einen Stopp der Abrissarbeiten, bis die kommende Bundesregierung über die künftige deutsche Energiepolitik entschieden hat.“
Beim Eindringen in das abgesperrte Gelände wurden zwei Aktivistinnen verletzt. „Beide hatten blutende Bisswunden am Po, sie mussten ins Krankenhaus. Die Polizei hat ihre Hunde ganz gezielt auf die Leute gehetzt“, empört sich Anike Peters. „Deeskalierende Strategie“ nannte ein Polizeisprecher vor Ort das Geschehen. Die Polizei war bald mit einer Hundertschaft vor Ort und sprach vom „Bemühen um eine friedliche Lösung“. Gegen Mittag wurde der erste Besetzer aus der Kirche getragen, dann fischten „Höhenretter“ der Polizei weitere von der Domfassade. Um 14.05 Uhr war der Kampfplatz geräumt.
Guido Steffen, RWE-Sprecher
Zehn Minuten später schlugen die Bagger das erste deutlich sichtbare Rückbauloch in die Kirche. „Es ist ganz furchtbar“, sagt Peters, „hier werden sofort Tatsachen geschaffen.“ Von fröhlichen Baggertouristen keine Spur. Stattdessen gab es Buh-Rufe, als die Bagger loslegten. Hunderte waren gekommen, um sich traurig von ihrer Kirche zu verabschieden. Viele, erzählt Peters später, hätten sich bei den Kletterern ausdrücklich bedankt. Deren Personalien wurden festgestellt und Platzverweise ausgesprochen. Festnahmen gab es nicht.
„Wir werden weiterkämpfen“, so Anike Peters, die Aktion sei „ganz klar ein Erfolg“ gewesen. In spätestens zwei Wochen sei die ehemalige Pfarrkirche rückstandslos „rückgebaut“, heißt es bei RWE. Im Sommer soll nebenan die alte Autobahn A 61 weg, direkt danach soll der Tagebau weiterwuchern und aus Immerath endgültig ein ehemaliges Immerath machen. RWE-Sprecher Guido Steffen konnte sich freuen. Er hatte ohnehin nur von einer Theateraufführung der Konkurrenz gewittert und nannte die fünfstündige Besetzung „ein weiteres Schauspiel von Demonstranten gegen die Braunkohle“. Der Tagebau Garzweiler fördert laut RWE jährlich bis zu 35 Millionen Tonnen Braunkohle. Mit der Verbrennung deckt der Konzern in seinen rheinischen Kraftwerken ein Drittel aller CO2-Emissionen in NRW ab, hat der BUND berechnet. Deutschlandweit sind es fast zehn Prozent. Glück auf!
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