: Fast jeder vierte Tafelkunde ist Rentner
Bei den Tafeln für kostenloses Essen stehen auch viele Senioren an. Der Bedarf ist oft weit größer als das Angebot. Denn die Zahl der armen Alten steigt seit Jahren kontinuierlich
Von Ulrike Herrmann
Mitten in der Weihnachtszeit fällt es wieder auf: Deutschland ist ein sehr reiches Land – trotzdem werden die Armen nicht weniger. Vor allem die Zahl der bedürftigen Rentner nimmt zu. Dies bekommen auch die Tafeln zu spüren, die gespendete Lebensmittel verteilen.
Fast jeder vierte Tafelkunde ist mittlerweile Rentner, wie der Jahresbericht des Bundesverbandes der Tafeln ausweist. Das sind etwa 350.000 Menschen, deren Rente nicht zum Leben reicht. Die Dunkelziffer dürfte sogar noch viel höher sein, denn Scham ist weit verbreitet, wie die Tafeln in ihrem Jahresbericht feststellen.
Die Tafeln sind ein Spiegel der Gesellschaft: Seit Jahren steigt die Zahl der armen Alten kontinuierlich an. 2003 bezogen noch 257.734 Senioren die Grundsicherung, die auf dem Niveau von Hartz IV liegt und für einen Alleinstehenden momentan 409 Euro plus Miete beträgt. Inzwischen sind es schon 535.540 Alte, die nicht für sich selbst sorgen können und die Grundsicherung benötigen.
Noch alarmierender ist die Entwicklung bei den Frührentnern, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden oder gar nicht erst einen Beruf aufnehmen können, weil sie gesundheitliche Einschränkungen haben. Inzwischen beziehen schon 513.540 Erwerbsgeminderte die Grundsicherung, 2003 waren es erst 181.097.
In keiner anderen Bevölkerungsgruppe ist die Armut so schnell gestiegen wie bei den Rentern. Künftig dürfte es noch mehr bedürftige Senioren geben. Eine Hochrechnung für die Bertelsmann-Stiftung ergab, dass im Jahr 2036 etwa 20 Prozent aller Rentner „armutsgefährdet“ sein werden. Derzeit sind es 14,8 Prozent. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens zur Verfügung hat.
Vor allem Selbstständige, Geringverdiener, Langzeitarbeitslose oder alleinerziehende Mütter laufen Gefahr, dass sie im Alter bedürftig sind. Die armen Senioren nehmen aber auch zu, weil das generelle Rentenniveau in Deutschland ungewöhnlich niedrig liegt. Wie die OECD kürzlich ermittelt hat, können deutsche Rentner künftig im Schnitt nur noch 51 Prozent ihres Nettoverdienstes vom Staat erwarten. Im OECD-Durchschnitt erhalten die Rentner 63 Prozent. Schlechter als in Deutschland ist das Rentenniveau nur noch in Mexiko, Polen, Chile, Großbritannien und Japan.
Einen einsamen Negativrekord hält Deutschland zudem bei den Frauen: In keinem anderen Industrieland ist der Abstand zwischen weiblichen und männlichen Renten so groß wie in der Bundesrepublik.
Doch nicht nur Alte sind Dauergäste bei den Tafeln. Ungefähr genauso groß ist die Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die von den Essensspenden leben. Hinzu kommen etwa 280.000 Flüchtlinge, die die Tafeln regelmäßig aufsuchen.
In Deutschland gibt es derzeit 934 Tafeln, die bis zu 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln versorgen. 60.000 Ehrenamtliche helfen mit – von denen viele selbst zu den Bedürftigen zählen.
Oft ist der Bedarf weit größer als das Angebot: Die Hamburger Tafel setzte im Oktober einen Hilferuf ab, dass ihre Lager „fast leer“ seien. Einen Monat später meldeten die Hamburger erleichtert auf Facebook: „Das Lager ist gut gefüllt, um mit dem Winter zu starten.“ Allerdings dürfe die „Welle der Hilfsbereitschaft“ nicht abreißen: „bitte weiter so!“
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